Essen/Gelsenkirchen. . Bis zu zwei Jahre Haft drohten der 20-Jährigen und ihrem vier Jahre älteren Bruder wegen „Beischlafes unter Verwandten“: Die beiden Angeklagten stammen von einem Vater ab, haben aber unterschiedliche Mütter – und ein gemeinsames Kind.
Für Vorabendserien wie „Verbotene Liebe“ mag es ein spannender Unterhaltungsstoff sein. Aber für die Halbgeschwister aus Essen und Gelsenkirchen ist es strafrechtliche Realität. Wegen „Beischlafes unter Verwandten“ mussten sie sich am Mittwoch vor dem Jugendschöffengericht verantworten.
Bis zu zwei Jahre Haft drohten der 20-Jährigen und ihrem vier Jahre älteren Bruder. Richter Denis Wissmann stellte das Verfahren aber gegen Auflagen ein, sah wohl die Besonderheit dieses Falles. Die beiden Angeklagten stammen von einem Vater ab, haben aber unterschiedliche Mütter. Von innigen Familienverhältnissen kann nicht die Rede sein. Erst 2010, da war sie 17, lernte die Gelsenkirchenerin laut Anklage ihren leiblichen Vater kennen. Er erzählte ihr, dass sie einen Halbbruder habe, der in Baden-Württemberg lebe. Schnell nahm sie Kontakt zu ihm auf.
Richter geht es ums Kindeswohl
Anfang 2011 trafen die beiden sich zum ersten Mal. Im Juli 2011 schliefen sie erstmals miteinander. Vier weitere Male hatten sie bis März 2012 Sex, listet die Anklage auf. Dann war wohl Schluss mit der Liebe. Folgenlos blieb die Beziehung nicht, acht Monate alt ist das gemeinsame Kind.
Vor dem Jugendgericht schweigen die beiden zunächst. Hätte die 20-Jährige sich schon früher so verhalten, wäre es wohl nie zu der Anklage gekommen. Doch den Eltern erzählte sie davon, so dass es zur Anzeige kam. Auch im Ermittlungsverfahren machte sie Angaben, auf die die Anklage sich stützte.
Nicht verfassungswidrig
Dass die Geschwisterliebe,der Inzest, strafbar und nicht verfassungswidrig ist, hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt.
Unter Juristen ist der Paragraf 173 im Strafgesetzbuch umstritten. Aber die Karlsruher Richter gestehen dem Gesetzgeber zu, die gesellschaftliche Ablehnung klar zum Ausdruck zu bringen.
Ohne Aussage vor Gericht ließe sich ein Urteil kaum fällen. Verteidigerin Eva Berger weist vorab darauf hin, dass es nicht mal ein Abstammungsgutachten gibt, das die Verwandtschaft der Angeklagten beweist. Richter Wissmann bittet alle Juristen ins Beratungszimmer, um die Rechtslage zu diskutieren.
Wieder im Saal fragt er nach den Lebensumständen der beiden. Obdachlos war die Angeklagte in den letzten Jahren, lebt jetzt bei ihrer Mutter in Gelsenkirchen. Arbeitslos und ohne Ausbildung ist sie ebenso wie ihr Halbbruder. Dem Kind gehe es gut, die Untersuchungen durch den Arzt fänden statt: „Ich war mit ihm bei der U 5, im Januar ist die U 6 dran.“ Spontan bekennt sich der Angeklagte zu seiner Vaterschaft: „Der Vater sitzt hier“. Amtlich anerkannt habe er sie nicht: „Ich könnte den Unterhalt auch nicht zahlen.“
Die Einstellung des Verfahrens gibt es unter Auflagen. Der 24-Jährige muss 80 Stunden gemeinnützig arbeiten. Die 20-Jährige muss nachweisen, dass sie ein Gespräch mit dem Jugendamt führt. Offenbar geht es dem Richter ums Kindeswohl: Sie muss dem Gericht auch das U-Heft vorlegen, in dem die ärztlichen Untersuchungen ihres Kindes dokumentiert sind.