Essen. Der Essener Konzern Thyssen-Krupp will bei seinem Tochterunternehmen Berco in Italien über 600 Mitarbeitern kündigen. Rund 60 Italiener machten sich deshalb auf den Weg nach Essen, um auf dem Thyssen-Gelände zu protestieren. Am Ende kam bei der “Reise der Hoffnung“ jedoch recht wenig Gutes bei rum.
Bei 30 Grad und Sonne war Giorgio Mantovani am Donnerstagnachmittag im italienischen Capparo in den Bus gestiegen. Knapp 17 Stunden und über 1000 Kilometer später steht der 39-Jährige vor dem Thyssen-Krupp-Hauptquartier. Der Essener Sommer empfängt ihn und seine rund 60 Kollegen mit Regen und 11 Grad Kälte.
Aber das trübe Wetter passt ohnehin besser zur Stimmung der Italiener. Dunkle Wolken sind über ihren Arbeitsplätzen bei der Thyssen-Krupp-Tochter Berco aufgezogen. 611 Leute von etwa 2000 sollen an den vier norditalienischen Standorten ihren Job verlieren. Das wissen sie seit Anfang Mai. Doch die Verhandlungen mit dem Management haben keine Ergebnisse gebracht. In der Heimat schlägt ihnen soziale Kälte entgegen, beklagen sie. Deshalb steht Mantovani nun in Essen und schwenkt eine Fahne: „Berco, das sind wir“.
Gespräch mit dem Personalvorstand
Der Protest gegen den weltweiten Konzernumbau bei Thyssen-Krupp hat an diesem Morgen in Essen ein Gesicht bekommen. Er steht da – zum Teil in kurzen Hosen, mit Fahnen und in Regenmänteln. Männer, Frauen – junge und ältere. An ihnen kriecht die Kälte hoch, während Betriebsräte und Gewerkschafter aus Deutschland und Italien anderthalb Stunden lang auf der kleinen Bühne stehen und die Wut der Berco-Leute laut in Worte fassen. Das Ganze zieht sich, auch weil die Reden übersetzt werden müssen.
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Gegen 10.30 Uhr sind die Ansprachen zu Ende. Für eine kleine Delegation aus Betriebsräten und Gewerkschaftern geht es jetzt ans Eingemachte. Sie werden mit Personalvorstand Oliver Burkhard sprechen. Eine Stunde ist eingeplant. Es werden am Ende fast zwei sein.
Verkauf nicht ausgeschlossen
Giorgio Mantovani zieht sich derweil mit den anderen ins Café Mocca auf dem Konzern-Gelände zurück. Endlich aufwärmen, die Jacke ist völlig durchnässt. Seit 15 Jahren arbeitet der 39-Jährige bei Berco. Er ist Schweißer. Das Unternehmen stellt Unterbauten für Kettenfahrzeuge wie Bauraupen her. Thyssen-Krupp sagt, Berco habe mit einer „konjunkturell bedingten negativen Marktentwicklung zu kämpfen.“
Eine Restrukturierung sei unausweichlich. Auch ein Verkauf wird nicht ausgeschlossen. Den Konzern drückt nicht zuletzt durch das Desaster mit den Stahlwerken in Brasilien und Amerika eine riesige Schuldenlast. Verkäufe sollen wieder Spielräume für Investitionen bringen.
Euro-Krise verschärft Situation
Selbst Mitarbeiter und die Gewerkschaft zweifeln grundsätzlich nicht, dass Berco saniert werden muss, aber sie wollen eine sozialverträgliche Lösung. „Wir sind mit großen Hoffnungen hierher gefahren“, so Gewerkschafter Leonardo Storari. Schließlich sei Berco einer der größten Arbeitgeber in der Region Ferrara, die schon tausende Jobs in der Metallindustrie in den letzten Jahren verloren habe. Die Euro-Krise verschärfe alles noch. „Die ganze Stadt lebt von Berco und sie ist solidarisch mit uns.“
Vor der Tür hat der Konzern eine Theke aufgebaut. Es gibt Gulasch und Kartoffelsuppe. Der eine oder andere beugt sich skeptisch über die Suppe mit den Würstchen. Es ist wohl nicht gerade das Lieblingsgericht eines Italieners. Anzugträger mischen sich im Café unter die Protestanten, die ruhig geworden sind. In den großen roten Sesseln übermannt viele der Schlaf.
Hoffnung im Gepäck
Dann ist das Gespräch mit Burkhard zu Ende. Er tritt lediglich vor die Fernsehkamera. Seine Botschaft ist kurz: „Wir werden helfen, wo wir können. Aber die Verhandlungen werden in Italien geführt.“ Die 611 Kündigungen stehen weiter im Raum. Betriebsrat Stefano Bondi hatte die Fahrt nach Essen als „Reise der Hoffnung“ bezeichnet. Am Nachmittag geht es wieder zurück. Und die Hoffnung ist noch immer im Gepäck.