Essen. . Das Bildarchiv der Stadt Essen soll ins Ruhrmuseum ziehen. Die Bilder zeigen die bauliche und gesellschaftliche Entwicklung Essens. Im Ruhrmuseum auf Zollverein entstünde dann die wohl größte Sammlung zur Region - ein fotografisches Elefantengedächtnis.

Manchmal wird die Bedeutung eines Fotos erst Jahre später klar, manchmal ändert sich der Blick, rücken Details plötzlich in den Mittelpunkt. Zum Beispiel bei diesem Bild von Willy Brandt, wie er im Juni 1973 am Essener Hauptbahnhof aus dem Zug steigt, auf dem Bahnsteig bereits erwartet von Horst Katzor, dem damaligen Oberbürgermeister. Aus heutiger Sicht ist neben den beiden vermeintlich zentralen Figuren der Aufnahme längst eine weitere interessant: Hinter Brandt in der geöffneten Zugtür steht sein Referent Günter Guillaume, der kurz darauf als DDR-Agent enttarnt werden sollte.

Peter Prengel kann viele solcher Bildergeschichten erzählen. Der Fotograf ist Leiter der „Stadtbildstelle“ und damit auch Hüter des städtischen Foto-Archivs, das im Rathaus lagert. Allerdings wohl nicht mehr lange, denn die Schätze sollen ins Ruhrmuseum auf Zollverein wandern. Dessen Kuratorium hat eine entsprechende Anfrage der Verwaltung gestern bereits positiv beschieden. Nun müssen noch die Politiker im Stadtrat grünes Licht geben. Peter Prengel sähe den Wegzug der Bilder gen Norden wohl mit etwas Wehmut, doch die Idee sei vernünftig und folgerichtig: „Wir legen Wert darauf, dass die Bestände konservatorisch gesichert werden.“

Bilder zeigen bauliche und gesellschaftliche Entwicklung

Mehr als 730.000 Fotos hat die Stadt über die Jahre gesammelt. Zusammen mit den drei Millionen Revier-Aufnahmen des Ruhrmuseums ergäbe sich ein in Größe und Qualität einmaliges „fotografisches Gedächtnis“ der Region, sagt Theo Grütter. Der Direktor des Ruhrmuseums bekommt leuchtende Augen, wenn er von diesem gigantischen, aus vielen Puzzleteilen bestehenden Stadtpanorama erzählt.

Bilder des Ruhrmuseums

Ernst Flügge fotografierte um 1897 die Rottstraße in Essen. Foto: Fotoarchiv Stiftung Ruhr Museum
Ernst Flügge fotografierte um 1897 die Rottstraße in Essen. Foto: Fotoarchiv Stiftung Ruhr Museum
Ein undatiertes Bild der Zeche Mathias Stinnes in Essen, das in der zweiten Hälfte der 50er-Jahre entstand. Foto: Josef Stoffels/Fotoarchiv Stiftung Ruhr Museum
Ein undatiertes Bild der Zeche Mathias Stinnes in Essen, das in der zweiten Hälfte der 50er-Jahre entstand. Foto: Josef Stoffels/Fotoarchiv Stiftung Ruhr Museum
Zwische Mitte der 50er-jahre und mitte der 60er-Jahre entstand dieses Bild mit Blick auf die Ruhr in Hattingen. Foto: Ludwig Windstosser/Fotoarchiv Stiftung Ruhr Museum
Zwische Mitte der 50er-jahre und mitte der 60er-Jahre entstand dieses Bild mit Blick auf die Ruhr in Hattingen. Foto: Ludwig Windstosser/Fotoarchiv Stiftung Ruhr Museum
Ernst Lerche präsentiert eine typische Hochzeitsgesellschaft aus den 50er-Jahren in Essen. Foto: Ernst Lerche/Fotoarchiv Stiftung Ruhr Museum
Ernst Lerche präsentiert eine typische Hochzeitsgesellschaft aus den 50er-Jahren in Essen. Foto: Ernst Lerche/Fotoarchiv Stiftung Ruhr Museum
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Keine Kunst-Fotos sind unter den Archivalien, das gilt für jene des Ruhrmuseums ebenso wie für die der Stadt, die nun hinzukommen. Vielmehr zeigen die Bilder die bauliche und gesellschaftliche Entwicklung Essens, das politische Leben und das alltägliche. Sie zeigen Staatsbesuche und Ehrungen, Heimtier-Schauen und Ferienspatz-Eröffnungen, das vor-industrielle Essen ebenso wie die Stadt des Kohle- und Stahlzeitalters und des Strukturwandels. Sie zeigen, wie klein Essen einmal war – wie ein mittelalterliches Dorf mutet es auf einer Aufnahme der Innenstadt von 1900 an – und wie groß: Als Oberbürgermeister Hans Toussaint 1956 an die Wiege der 700.000. Einwohnerin eilte, ahnte er wohl nicht, wie schnell der demografische Höhenflug vorbei sein würde.

Besitzer der Fotos bleibt die Stadt Essen

Die Bilder, die all das dokumentieren, sind durchaus noch gefragt. Sie finden Verwendung in Büchern und Zeitungen, in wissenschaftlichen Arbeiten, im privaten Bereich. Etwa 1000 werden jedes Jahr ausgeliehen. Die Nutzung ist kostenpflichtig, je nach Zweck – kommerziell, wissenschaftlich, für daheim – variieren die Preise. Wer auf der Suche nach einem bestimmten Foto ist, muss bislang an beiden Stellen vorsprechen: im Ruhrmuseum und beim Stadtarchiv. Künftig soll es nur noch eine Adresse geben.

Zudem, darin sind sich alle Beteiligten einig, wären die Stücke im Ruhrmuseum und in den Händen professioneller Archivare besser aufgehoben als im Rathaus, wo man – wie Museumsleiter Grütter betont – im Rahmen der Möglichkeiten zwar durchaus ordentlich mit den historischen Zeugnissen umging, aber: „In unserem klimatisierten Depot neben der Kohlenwäsche haben wir optimale Bedingungen und im Moment noch genug Platz.“ Das Ruhrmuseum übernähme die Fotos treuhänderisch, Besitzer bliebe die Stadt.

Fachleute des Ruhrmuseums archivieren die Fotos

Die beiden Archive arbeiteten bereits seit längerer Zeit zusammen, so Grütter. Die Systeme seien ähnlich, ebenso die Gebührenordnung. Dennoch werde eine Weile ins Land gehen, bis die Fachleute des Ruhrmuseums alle neuen Stücke – unter denen auch historische Glasplattenfotos sind – ausgewertet und archiviert hätten. Zumal man neben den Bildern selbstverständlich auch die Geschichten dazu bewahren will.