Essen. Essens Plan für einen effektiveren und moderneren Nahverkehr scheitert an der finanziellen Lage der Stadt. Bund und Land stellen der Stadt kein Geld mehr für den Ausbau von Haltestellen und die Aufstockung von Fahrzeugen zur Verfügung. Lediglich eine kleinschrittige Realisierung wird möglich sein.
Essens Nahverkehrs-Träume sahen einmal so aus: Nach Steele und Borbeck hinaus sollten U-Bahn-Strecken führen, Straßenbahnen mit zwei Wagen (Doppeltraktion) auf nahezu allen Linien fahren und für die langen Züge die Haltestellen zwischen Frintrop und Steele, Katernberg und Bredeney auf 60 Meter Länge ausgebaut werden, dazu barrierefrei. Per Beschleunigungsprogramm wollte die Evag die Tram aus dem Berufsverkehr heraushalten. Dies alles, ohne etwas an der Taktdichte zu ändern. Auf gut 180 Fahrzeuge hätte die Evag ihren Fuhrpark aufstocken müssen, entsprechend auch die Betriebshöfe, die bereits bei den momentan 88 Straßenbahnen aus allen Nähten platzen.
Schöne Träume waren das – bis im Laufe der Jahrzehnte allen Beteiligten dämmerte: Bei der Finanzmisere der öffentlichen Hand wird es das Nahverkehrs-Paradies nicht geben, jedenfalls nicht in Essen. Das steht nun auch schwarz auf weiß fest: Evag, VRR und Stadt haben sich darauf geeinigt, Abschied zu nehmen von allen Doppeltraktion-Plänen, dazu von allen 60-Meter-Bahnsteigen, einmal abgesehen von Knotenpunkten, an denen zwei verschiedene Bahnen hintereinander halten müssen.
Keine Fördergelder
Fördermittel für die Beschleunigung der Bahnen gibt es ohnehin nicht mehr, ein entsprechender Antrag für die Haltestellen Schwanenbusch und Parkfriedhof auf der Steeler Strecke musste komplett neu ausgearbeitet werden, weil Bund und Land für Straßenumbau und Signaltechnik nicht zahlen wollten (die NRZ berichtete). Dafür städtische Gelder einzusetzen, halten Stadt und Evag bei der aktuellen Haushaltsmisere für „nicht darstellbar“, nicht hier und nicht anderswo auf der Steeler Strecke, auf der Trasse hinaus nach Altendorf, Katernberg oder Bredeney, die der Strategie-Wechsel trifft.
Das liebe Geld: Berlin und Düsseldorf geben sich derzeit deutlich zugeknöpfter. Nicht ohne vorher noch ein Gesetz auf den Weg gebracht zu haben, das es gut meint mit der Teilnahme behinderter Menschen am öffentlichen Nahverkehr: Zum 1. Januar 2022 soll die „vollständige Barrierefreiheit“ erreicht sein. Wer den Umbau bezahlen soll, ist allerdings nicht ganz klar.
Barrierefreiheit ist nur lückenhaft realisierbar
Dass das Gesetz bis zum Stichtag vermutlich nur sehr lückenhaft realisiert werden kann, zeigt allein ein Blick auf die Essener Zahlen: Für den Umbau der 78 Tram-Haltestellen, die zurzeit noch weit entfernt sind von den Vorgaben, wären nach vorsichtigen Schätzungen der Evag gut 200 Millionen Euro nötig, dazu kommen zehn Millionen für die Stadtbahn-Linien und rund 35 Millionen Euro für die Bushaltestellen und Bahnsteige. Selbst wenn es bei der 85-prozentigen Kostenübernahme bliebe, würde der Essener Haushalt mit gut 36 Millionen Euro belastet. Nicht eingerechnet ist dabei, dass auch im Straßenraum, an der maroden Signal- und Ampeltechnik einiges ausgetauscht werden muss.
Ein nötiges Haltestellen-Großbauprogramm dürfte allein schon am Planungs-Umfang scheitern: Personell ist der Umbau von fast 900 Haltestellen nicht zu stemmen, jedenfalls nicht mit den aktuellen Planungsabteilungen: „Wir haben bei den zum Teil sehr aufwendigen Planungen und Baugenehmigungen eine Vorlaufzeit von bis zu vier Jahren“, sagt Michael Szamlewski, Via-Abteilungsleiter Planung Gleisanlagen/Haltestellen.
Neue Strategie weit entfernt von ursprünglichen Träumen
Denn während der Bus an den Bürgersteig heranfahren kann, halten die Straßenbahnen häufig mitten auf der Straße. Dort hinein lässt sich aber nicht immer ein Mittelbahnsteig bauen, ein so genannter „Kapbahnsteig“ würde eine Fahrbahn kosten, an massiven Eingriffe in den Straßenraum führt vielerorts kein Weg vorbei, um stufenfrei in die Tram zu kommen. Dass dies nicht ohne Diskussionen ablaufen wird, ist allen Beteiligten klar.
Aktuell steht der Umbau der Haltestelle Alfred-Krupp-Schule an, der im Sommer 2014 beginnen soll, um rechtzeitig zum Start des neuen Linienweges der 109 über den Bertold-Beitz-Boulevard abgeschlossen zu sein. Die Steeler Strecke soll völlig neu überplant, mit dem Umbau der Schwanenbuschstraße möglichst noch 2013/2014 begonnen werden. Auch für die Südstrecke laufen erste Gespräche mit dem VRR. Damit wäre der Rahmen bis 2022 dann wohl beschrieben. Die neue Strategie, sie ist vor allem aufs Geld ausgerichtet, weit entfernt von allen Nahverkehrs-Träumen.