Essen. Jeder fünfte Lehrer an Essener Schulen ist nicht verbeamtet. Sie machen die gleichen Arbeit wie ihre Kollegen, bekommen als Angestellte aber weniger Geld. In ganz Deutschland streiken die Pädagogen daher für höhere Löhne - und sorgen in Essen besonders an den Gesamtschulen für Turbulenzen.
Thomas Koritko mag seinen Beruf. Seit bald 20 Jahren ist er Lehrer an einer Schule für Hörgeschädigte in Bedingrade. Weil er früher als Erzieher gearbeitet hat, ist er vor allem im schuleigenen Kindergarten im Einsatz. Gemeinsam mit einer Kollegin betreut er eine Gruppe von sechs Kleinkindern. Am Donnerstag werden Kinder und Kollegin ohne ihn auskommen müssen, denn Thomas Koritko streikt. Er fühlt sich als Lehrer zweiter Klasse.
Etwa ein Fünftel der Lehrer an Essener Schulen sind Angestellte, keine Beamten. Der Staatsdienst bleibt ihnen verwehrt, weil sie die in NRW für eine Verbeamtung geltende Altersgrenze von 40 Jahren bereits überschritten haben, weil sie nicht gesund sind oder anderweitig beeinträchtigt. Auch unter den so genannten Seiteneinsteigern, die wie Koritko von der Praxis ins Lehramt wechselten, finden sich viele Angestellte. Sie seien deutlich schlechter gestellt als ihre verbeamteten Kollegen, kritisiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und ruft für morgen zu Warnstreiks auf.
Die gleiche Tätigkeit, unterschiedlicher Lohn
Die GEW fordert für die angestellten Pädagogen einen bundesweit einheitlichen Tarifvertrag und 6,5 Prozent mehr Gehalt. Bei der Bezahlung herrsche Wildwuchs, sagt Christiane Pape, Geschäftsführerin der GEW in Essen. Nicht nur die verbeamteten Lehrer und ihre angestellten Kollegen würden ungleich behandelt, auch innerhalb der Gruppe der Angestellten gebe es Unterschiede. „Sie werden per Erlasslage einsortiert in eine Entgeltgruppe, da wird von oben nach unten bestimmt, das ist für uns ein unhaltbarer Zustand.“
Familienvater Thomas Koritko verdient 2.500 Euro netto. Dass seine verbeamteten Kollegen monatlich mehrere hundert Euro mehr im Portemonnaie haben, stößt dem 51-Jährigen bitter auf. Schließlich übernimmt er die selben Aufgaben, sieht sich als ebenso gut qualifiziert. Nach seiner Ausbildung arbeitete er zunächst in einem Heim für schwer Erziehbare, dann in einem Internat für Hörgeschädigte, bevor er sich für den Wechsel in den Lehrerberuf entschied. Elf Monate lang paukte er Theorie im Studienseminar in Düsseldorf und sammelte Lehrerfahrung an seiner jetzigen Schule – mit Unterrichtsbesuchen und all den weiteren Prüfungen, die jeder Lehramtsanwärter durchläuft. Später ließ er sich noch zum Beratungslehrer fortbilden. Klaus Prepens, Leiter der Gesamtschule Bockmühle, hat denn auch Verständnis für den Unmut von Menschen wie Koritko – obwohl gerade seine Schule von dem morgigen Streik betroffen sein dürfte.
Essener Gesamtschulen am stärksten betroffen
Wie stark der morgige Pädagogen-Ausstand sich bemerkbar machen wird, ist schwer abzusehen. Fast jeder fünfte Lehrer in Essen ist „nur“ angestellt: viel zu viele, findet die Gewerkschaft – aber möglicherweise zu wenige, als dass die Streikenden unter ihnen den Schulbetrieb tatsächlich zum Erliegen bringen könnten. Von einer Situation wie in den neuen Bundesländern, wo man nach der Wende kaum Lehrer verbeamtete und die Kollegien laut GEW inzwischen zu 80 bis 100 Prozent aus Nicht-Beamten bestehen, ist NRW dann doch weit entfernt.
Am deutlichsten dürfte der Ausstand in Essen noch an den Gesamtschulen zu spüren sein. Nicht zufällig hat die GEW sich die Gesamtschule Bockmühle als Ziel ihres morgigen Protestzugs ausgeguckt. An dem Standort in Altendorf, wie überhaupt an den Gesamtschulen, gebe es besonders viele nicht verbeamtete Lehrer. An der Bockmühle stellen sie mehr als die Hälfte des 135-köpfigen Kollegiums, heißt es aus Gewerkschaftskreisen. Schulleiter Prepens kennt die genaue Zahl nicht. „Unter den Kollegen ist das Gott sei Dank kein Thema – was mich eigentlich wundert. Es kann nicht sein, dass ein Einsteiger mehr verdient als ein langjähriger Lehrer, nur weil der eine Beamte ist und der andere nicht.“
Lehrer-Demo
Beamter wolle er übrigens gar nicht unbedingt werden, er streike lediglich für gleichen Lohn, sagt der Förderschullehrer Thomas Koritko – ja, er habe das Angebot damals sogar ausgeschlagen, das Beamtentum entspreche nicht seinem Selbstverständnis. „Hätte ich gewusst, wie deutlich die Schere in den folgenden Jahren auseinandergeht, ich hätte anders entschieden.“
Müssen Lehrer Beamte sein?
Müssen Lehrer überhaupt Beamte sein? Immer mal wieder warfen Politiker in der Vergangenheit diese Frage auf. Gewerkschaftsfrau Pape steht dazu ebenso wie Lehrer Koritko: „Uns geht es um gleiches Geld für gleiche Arbeit, dann stellt sich diese Frage gar nicht.“
An der Gesamtschule Bockmühle stellt man sich derweil für morgen schon mal auf einen schwierigen Schultag ein. „Bei uns wird sicherlich Unterricht ausfallen“, so Schulleiter Prepens, „zumal viele Kollegen die Grippe haben. Wir werden uns was einfallen lassen müssen.“ Ein weiterer Streik-Schwerpunkt in Essen könnte laut GEW die Erich Kästner-Gesamtschule in Steele sein. Auch an den Berufkollegs fänden sich viele Nicht-Beamte. „Je größer die Systeme, desto eher gibt es dort angestellte Lehrer.“ Nicht verbeamtet seien ebenso die meisten der herkunftssprachlichen Lehrer, die Kinder mit Migrationshintergrund in ihrer Muttersprache unterrichten. Insofern könnten auch Grundschulen den Streik zu spüren bekommen, so die GEW..
Lehrer in Essen: 4.601 Beamte – 1.081 Angestellte
An den Essener Schulen unterrichten laut Landesschulministerium derzeit 5.682 Lehrer. Davon sind 4.601 Beamte, 1.081 Angestellte. Das entspricht in etwa der Situation in ganz NRW, von rund 180.000 Lehrern sind 40.000 angestellt. 8.000 von ihnen sind Mitglied bei der GEW.
In NRW wird abwechselnd in den einzelnen Regierungsbezirken gestreikt, am Donnerstag ist der Regierungsbezirk Düsseldorf an der Reihe, mit Essen, Duisburg, Wuppertal und Düsseldorf als Schwerpunkten. Den Anfang der bundesweiten Proteste machten vergangene Woche Lehrer in Berlin.