Essen. Es wird geherzt, gebaggert und so mancher Witz unter der Gürtellinie zum Besten gegeben: Bei den Jecken geht es locker und enthemmt zu - trotz Sexismus-Debatte. „Wem es nicht gefällt, der muss nicht wiederkommen“, sagt Peter Sander, 1. Vorsitzende des Festkomitees Essener Karneval.
Ein Bützchen in Ehren kann niemand verwehren - für die meisten Narren im Straßenkarneval mag die Kussfreiheit selbstverständlich sein. Und auch sonst geht es an den tollen Tagen eher enthemmt zu: Es wird auf Teufel komm raus geherzt, gebaggert, man fasst sich an, kommt sich näher. Der Alkohol senkt die Hemmschwelle, die Witze werden zotiger, die Anmache plumper - doch wo hört der Spaß auf?
Sexuelle Belästigung fängt grundsätzlich da an, wo die Grenzen überschritten werden, sagt Tanja Hagelüken, Sprecherin der Polizei Essen. Diese Grenzen definiere jeder für sich selbst. Schon der Klaps auf den Po, der Griff ins Dekolleté, die verbale sexuelle Beleidigung gilt als Straftatbestand. Aber die meisten Fälle werden nicht erfasst, „weil sie nicht angezeigt werden“.
Tabu-Thema sexuelle Belästigung
Auch Fälle, in denen vor Ort geschlichtet wird, tauchen nicht in der Kriminalstatistik auf. Einen besonderen Anstieg zur Karnevalszeit kann Tanja Hagelücken jedoch nicht bestätigen: „2011 hatten wir genau sechs Delikte rund um die tollen Tage.“
„Viele Frauen erleben in der Karnevalszeit verbale und körperliche Übergriffe, trauen sich aber nicht, sie anzuzeigen“, weiß Kornelia Banke, Psychologin bei der Frauenberatung Essen. Ihnen sei es häufig zu peinlich, manche empfinden Schuld und Scham und so würden sexuelle Belästigungen oft tabuisiert.
Sexismus-Debatte überfällig
Die derzeitige Sexismus-Debatte, ausgelöst durch die Vorwürfe gegenüber FDP-Politiker Rainer Brüderle, findet die Beraterin längst überfällig. So würde die Gesellschaft dafür sensibilisiert, was gegenüber Frauen anzüglich und unangebracht ist. Denn diese Form der Übergriffe sei durch nichts zu rechtfertigen und sollte auch nicht heruntergespielt werden. Ihr Rat: „Frauen sollten sich selbstbewusst und deutlich abgrenzen und müssen lernen, Nein zu sagen.“
Kettwiger Karnevals Club
Peter Sander mag sich eigentlich gar nicht zu „dieser Geschichte“ äußern, fühlt sich in eine Ecke gedrängt, „in die der Karneval weiß Gott nicht hingehört“. „Klar geht es im Karneval etwas lockerer als sonst zu, werden gesellschaftliche Grenzen überwunden, aber sexuelle Belästigung ist und war bei uns noch nie ein Thema“, so der erste Vorsitzende des Festkomitees Essener Karneval.
Altherrenwitze unter der Gürtellinie
Zwar würden bei den Sitzungen manche Altherrenwitze zum Besten gegeben, die unter die Gürtellinie gehen, werden Tanzmariechen so weit in die Höhe gestemmt, dass man ihnen unter den kurzen Rock sehen kann, „doch was soll daran schlimm sein. Wem es nicht gefällt, der braucht ja im nächsten Jahr nicht wiederzukommen“.