Essen. Die Bestätigung der Gefängnisstrafe für den früheren SPD-Fraktionschef Willi Nowack wirft wieder die peinliche Frage auf: Wie konnte dieser Mann in Essen soviel Einfluss bekommen? Ein Sittengemälde über den Klempner der Macht.
Willi Nowack muss ins Gefängnis - und mancher Jüngere wird vermutlich fragen: Aha, aber wer ist das überhaupt? Nun, zunächst kommt es nicht alle Tage vor, dass ein Ex-Politiker, Ex-Landtagsabgeordneter und Ex-Vorsitzender der früher allmächtigen SPD-Ratsfraktion so tief fällt, dass ihm tatsächlich die Zelle blüht. Viel wichtiger aber: Mit Nowack erlebt ein Politiker-Typus Schiffbruch, den es so heute in der Kommunalpolitik selten gibt: bauernschlau, durchtrieben, schamlos und gar nicht mal versteckt auf den eigenen Vorteil bedacht, an Sachfragen wenig, an Machtfragen umso mehr interessiert. Ein Klempner der Macht, das aber virtuos und mit einem guten Gespür für menschliche Schwächen und Eitelkeiten.
Verlorene Jahre für Essen
Wer Willi Nowack und sein „System“ verstehen will, muss sich in die Atmosphäre der 1990er Jahre zurückversetzen. Es war eine bleierne Zeit, für Essen im Rückblick weitgehend verlorene Jahre, in denen alle Probleme dieser Stadt bereits sichtbar waren, ohne dass sie wirklich angegangen oder auch nur als solche erkannt wurden: Überschuldung, städtebauliche Stagnation, Bevölkerungsschwund, Bedeutungsverlust im Konzert der Großstädte. Die politische Verantwortung trug eine SPD, die auf eine bräsige Weise selbstgewiss war, die sich nach Jahrzehnten der absoluten Ratsmehrheit einen anderen Zustand nicht mehr vorstellen konnte; die sich Essen, wie manche sagten, „zur Beute gemacht“ hatte. In zweiter Linie war da eine CDU, die zwar gerne Schaukämpfe ausfocht, in entscheidenden Fragen aber als Juniorpartner zu Diensten war - für ein bisschen Teilhabe an der Macht, „für ein stellvertretendes Fahrrad“, wie es der heutige Bundestagspräsident Norbert Lammert, ein Bochumer, mal spöttisch beschrieb.
„Willi, gib ein Zeichen“
Das war das Klima, in dem Willi Nowack, der ehrgeizige Ratsherr aus Altenessen, 1992 den Fraktionsvorsitz der SPD-Ratsfraktion übernahm, nachdem er seinen Vorgänger Rolf Drewel erfolgreich zermürbt hatte. Chef einer Mehrheitsfraktion - mehr Macht, konnte man damals in einer Stadt nicht erlangen. Der Oberbürgermeister - ein repräsentatives Amt. Der Oberstadtdirektor - zwar Chef der Verwaltung, aber letztlich abhängig von den Entscheidungen des Rates, und das hieß faktisch: von denen Nowacks.
„Willi, gib ein Zeichen“ - so demonstrierte die damalige, von Nowacks Gnaden abhängige Umweltdezernentin Eva-Maria Krüger, wer das Sagen hatte - ein zufälliger Fund in Krügers Akten, eigentlich eine Unvorsichtigkeit. Aber es entlarvte ungewollt die schlichte Wahrheit: Denn bevor Nowack „Zeichen“ gesetzt hatte, lohnte sich für einen Dezernenten nicht mal das Nachdenken, was die Gemeindeordnung durchaus anders sah.
Politik und Stadtverwaltung und übrigens auch Stadttöchter wie die Sparkasse, die ihm zum eigenen Schaden einige Millionen D-Mark für seine privaten Immobiliengeschäfte lieh, erlebten ein Machtspiel wie aus dem Lehrbuch: Wer Nowack nützlich war, seinen Interessen diente, konnte mit Belohnung und Beförderung, mit Unterstützung seiner Geschäfte oder politischen Ziele rechnen. Wer nicht, wurde kalt gestellt, klein gehalten, von Entscheidungen abgeschnitten, kalt überstimmt, auch beschimpft.
Harter Junge aus dem Norden
Nowack war da nicht zimperlich - ein harter Junge aus dem Norden, gesegnet mit einem dröhnenden Raubtier-Charme, in diesem Punkt dem späteren Bundeskanzler Gerhard Schröder nicht unähnlich. Es gab Leute, die ihm verfallen waren und das heute nicht mehr wissen wollen. Und nicht wenige, die noch heute aktiv sind, hat Nowack erst auf die politische Karriereschiene gesetzt, - vorausgesetzt sie waren ihm loyal ergeben. Einer ist Reinhard Paß, der heutige Oberbürgermeister, der von 1998 bis 2003 als Nowacks Stellvertreter amtierte und danach selbst den Vorsitz der SPD-Ratsfraktion übernahm. Wenn es nicht so despektierlich klänge, könnte man sagen: Paß hat Nowack viel zu verdanken.
All das ist lange her, Willi Nowack hat längst keine Funktionen mehr, SPD und Stadt mühen sich etwas verschämt, den Mann aus ihrem Gedächtnis zu tilgen. Nur manchmal kommt das sorgsam Verdrängte wieder hoch. Wie jetzt, da der 62-Jährige wegen Insolvenzverschleppung ins Gefängnis soll.