Essen. . Am wohlsten fühlen sich Essener tagsüber in ihrem Wohnumfeld. Die nächtliche City schreckt die meisten ab. „Wie sicher fühlen Sie sich in Essen?“, wollten wir wissen. Insgesamt fühlen sich die Befragten aus dem Norden der Stadt etwas unsicherer als die aus dem Süden.

Angst-Orte sind keine Tat-Orte. Nicht überall, wo die Furcht zupackt, passieren Straftaten. Doch wer sich nur wenige Straßen weiter vermeintlich sicher fühlt, kann plötzlich und unerwartet zum Opfer werden. Die sichere Stadt ist eben nicht die wirkliche Großstadt, und Essen wiederum nicht wirklich unsicher, eher ein überdimensionales Schwarzwalddorf, was zumindest die von der Polizei erfasste Zahl der Delikte angeht. Die so genannte Kriminalitätshäufigkeitszahl, die bemisst, wie viele Straftaten auf 100.000 Einwohner kommen, liegt seit Jahren deutlich unter der Belastung vergleichbarer Groß- und Nachbarstädte in Nordrhein-Westfalen wie Köln, Düsseldorf, Dortmund oder Duisburg.

Doch auch diese Statistik bildet – und das ist eine so wichtige wie alte Erkenntnis – nur das ab, was die Strafverfolgungsbehörden tatsächlich beschäftigt. Und wie viel sie letztendlich zu tun bekommen, hängt dabei auch von dem Anzeigeverhalten der Bürger ab. „Das Dunkelfeld ist die Kriminalität“, sagt Heinz Jüschke, Leitender Kriminaldirektor der Essener Polizei. Und der Schutz davor ist wiederum das, was einen großen Teil der Lebensqualität in einer Stadt ausmacht.

521 Menschen standen Rede und Antwort

„Wie sicher fühlen Sie sich in Essen?“ heißt deshalb die Frage bei einem der wichtigen Brennpunkt-Themen des aktuellen NRZ-Bürgerbarometers, bei dem 521 Essenerinnen und Essener Rede und Antwort standen.

Am sichersten fühlen sich die Bürger tagsüber in ihrem direkten Wohnumfeld, am unsichersten nachts in der Innenstadt. Dieses zentrale Ergebnis mag nicht überraschen, doch es lohnt sich tiefer einzutauchen in die lokale Gefühls-Welt der Essener. Denn mehrheitlich beurteilen die Befragten sowohl ihr Wohnumfeld rund um die Uhr als sicher wie auch die Innenstadt – zumindest so lange es dort taghell ist.

Wenn die künstlichen Lichter angehen, die Geschäfte schließen, die Einkaufsstraßen sich leeren und es schließlich Nacht wird in der City, sieht die Gemütslage entscheidend anders aus: Nur ein Prozent fühlt sich dann noch „sehr sicher“, fünf Prozent „sicher“, jedoch 25 Prozent „sehr unsicher“. Nach Noten kommt die Innenstadt durch die subjektive Beobachter-Brille gesehen mit nicht mehr als einem „ausreichend“ davon.

Ein beachtlicher Negativwert, der sich unter Sonneneinstrahlung wiederum in einen durchaus positiven verwandel kann. Denn den Menschen erscheint die Innenstadt am Tage in einem völlig anderen Licht: Über die Hälfte der Befragten (53 Prozent) fühlen sich dort dann wohl, nur neun Prozent „unsicher“ oder zwei Prozent „sehr unsicher“. Am Ende steht eine 2,4.

Eine Beurteilung übrigens, bei der die Innenstadt am Tage sogar noch besser wegkommt, als wenn die Bürger sich vorstellen müssen, nachts in ihrem direkten Wohnumfeld unterwegs sein zu müssen. Dafür gab’s die Note 2,7. Nur 43 Prozent fühlen sich vor ihrer Haustür noch sicher, wenn es draußen dunkel ist. Doch tagsüber herrscht in den Quartieren der Stadt nahezu eitel Sonnenschein: Dann empfinden immerhin 86 Prozent der Essener ihr direktes Wohnumfeld als „sehr sicher“ bis „sicher“. Und unsicher fühlt sich dort kein einziger. Dafür gibt’s eine mehr als gute Note: 1,8.

Die wenigsten Sorgen machen sich die 20- bis 39-Jährigen 

Insgesamt fühlen sich die Befragten aus dem Norden der Stadt in allen Kombinationen aus Tageszeiten und Aufenthaltsorten etwas unsicherer als die aus dem Süden. Die wenigsten Sorgen machen sich die 20- bis 39-Jährigen, während die Menschen jenseits der 70 am ehesten das mulmige Gefühl beschleicht, Opfer einer Straftat werden zu können. „Tagsüber in der Innenstadt“ sind’s allerdings die 14- bis 19-Jährigen, die sich am unwohlsten fühlen in ihrer Haut. Die Vielzahl von Straftaten jugendlicher Krimineller an Gleichaltrigen dürften hier ihre Spuren hinterlassen haben, könnte man meinen. Doch nicht einmal das kann als sicher gelten, ist in einem Gespräch mit leitenden Essener Polizeibeamten zu erfahren.

Das Grundbedürfnis nach Sicherheit, die eine empfundene oder tatsächliche sein kann, hat für das Lebensgefühl der Menschen in einer Stadt höchste Priorität. Längst hat sich der Blick erweitert, bei den Stadtentwicklern, bei der Politik und auch der Polizei, die ihr Augenmerk nicht mehr allein auf die Kriminalität, sondern auch auf die Furcht der Bürger richten, bedroht, beraubt oder verletzt zu werden.

Mag die Erkenntnisbereitschaft eine durchaus größere geworden sein, so ist das Phänomen zwischen subjektiver Kriminalitäts-Angst und objektiver Sicherheit nach wie vor kaum zu fassen. Tatsächlich füllen weitestgehend allein die Strafanzeigen jene Statistiken, die die Polizei Jahr für Jahr mit „Kriminalitätsentwicklung“ übertitelt und die letztlich mehr versprechen als sie halten. „Viel schwieriger ist es, die Realität abzubilden“, sagt Essens Kripo-Chef Heinz Jüschke: „Die Fallzahlen sagen nichts aus.“ Würde man sie für bare Münze nehmen, wäre Vatikanstadt der kriminellste Staat der Welt. Nirgendwo sonst auf der Welt passieren gemessen an der Zahl der Einwohner so viele Straftaten wie in der allerkleinsten Unabhängigkeit: Weil dort Diebe und Betrüger Touristen in Massen abziehen, die wiederum Anzeige erstatten.

Kripo-Chef gibt selbst die entlarvend offene Antwort

Was also sagt im Umkehrschluss eine durchaus entspannte Kriminalitätshäufigkeitszahl für Essen aus, was heißt es für den Bürger, dass „die Ladendiebe fast alle in der Innenstadt unterwegs sind“, fragt Jüschke: „Ist sie deshalb krimineller als Bredeney, wo viele Wohnungseinbrüche passieren?“ Der Kripo-Chef gibt selbst die entlarvend offene Antwort: „Ich vermag das nicht zu sagen.“

In einer Wohngegend mit einem hohen Anteil von Zugewanderten mag sich manch Eingesessener mit einem Mal unwohl fühlen, während die Migranten gleichzeitig nichts Schlimmes an ihrem Sprengel finden können, gibt Thorsten Güth, Oberrat und stellvertretender Polizei-Chef, zu bedenken und lenkt den Blick auf eine Zahl, die ebenso manches verschiebt: Auf den ersten Blick stieg die Gesamtkriminalität in Essen zwischen 2010 und 2011 um 5,9 Prozent. Erschreckend? Nein: Dahinter steckte eine Zunahme der entdeckten Schwarzfahrten in Bus und Bahn um 52,4 Prozent. Bereinigt um diese 6326 Fälle von so genannter Beförderungserschleichung blieb unterm Strich ein Kriminalitätsplus von gerade einmal 1,9 Prozent, die letztlich auf die Sicherheit oder das, was man dafür hält, allenfalls marginalen Einfluss gehabt haben dürften – jedenfalls bei einer Gesamtzahl von 55.308 Essener Straftaten im vergangenen Jahr.

Die Ergebnisse des NRZ-Bürgerbarometers, dass sich die Bürger tagsüber vor ihrer Haustür weitaus sicherer fühlen als nachts in der Innenstadt, sind für Jüschke und Güth wenig überraschend. Doch wieder geht da etwas Empfundenes an der Realität vorbei. Während die Wohnungseinbrüche quer über die Stadt verteilt um „30 bis 40 Prozent“ zunehmen, also zur richtigen Hausnummer werden, fühlen sich die Essener in ihrem direkten Wohnumfeld nach wie vor am allersichersten. Für Heinz Jüschke ist dies allenfalls ein weiteres Indiz dafür, wie es um die Beziehung zwischen subjektivem Sicherheitsgefühl und tatsächlicher Kriminalität wirklich bestellt sein könnte: „Letztlich ist es eine Frage der Betroffenheit.“