Essen. . Mittellose Patienten aus dem Ausland kommen mit ihren krebskranken Kindern ans Uniklinikum Essen. Dort müssen Ärzte und Leitung abwägen, wie viel Hilfsbereitschaft man sich leisten kann. Im Falle der krebskranken Melisa, die vor dreieinhalb Jahren nach Deutschland kam, fiel das Votum positiv aus.

Sie kommen mit nichts als der Hoffnung im Gepäck: Krebspatienten aus den weniger begünstigten Regionen der Welt hoffen auf Heilung am Uniklinikum in Essen, doch die Heilung kostet Geld. 20.000 Euro sind nötig, um das linke Auge des sechs Monate alten Ruslan (Name geändert) aus Usbekistan zu retten, das rechte musste bereits entfernt werden. Das Baby hat ein Retinoblastom, das mit einer Chemotherapie geheilt werden könnte. Die Eltern bitten um Spenden. 300.000 Euro kostete die Behandlung eines 17-jährigen Armeniers, der 2008 allein und mittellos nach Essen kam.

Wie viel darf ein Leben kosten?

Zu den beiden Fällen mag sich das Uniklinikum wegen der ärztlichen Schweigepflicht nicht äußern. Fast 50.000 Menschen wurden dort im vergangenen Jahr stationär behandelt, nur rund 200 von ihnen kamen aus dem Ausland. Die Zahl der Anfragen jedoch ist ungleich höher, und nur die wenigsten Patienten können selbst für ihre Behandlung aufkommen. Wie also zieht eine Klinik die Grenze zwischen Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit: Wie viel darf ein Leben kosten?

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Das mag der ärztliche Direktor des Uniklinikums, Professor Eckhard Nagel, der auch dem Deutschen Ethikrat angehört, so nicht beantworten. „Wir als Ärzte nehmen nur eine medizinisch indizierte Bewertung des Falles vor, keine finanzielle. Wir fragen: Nutzt diese Behandlung diesem Patienten?“ Hohe Kosten dürften da keine Rolle spielen: „Für ein deutsches Kind mit Retinoblastom würden die 20.000 Euro selbstverständlich von den Krankenkassen übernommen.“

Auch wenn jemand nicht hierzulande krankenversichert ist, gelte: „Wir haben als Ärzte die innere Verpflichtung, das zu tun, was wir können.“ Das heiße indes nicht, dass man arme Patienten einfach kostenlos behandeln könnte; der absehbare Medizin-Tourismus würde jede Klinik überfordern. „Es ist in vielen Ländern trauriger Alltag, dass Kinder wegen eines Retinoblastoms ihr Augenlicht verlieren“, sagt Nagel. Diesen Missstand zu beheben sei eine entwicklungspolitische Aufgabe, bei der die Uniklinik helfe, etwa indem sie Ärzte vor Ort ausbilde.

Abwägung zwischen Hilfsbereitschaft und Controlling

Das ist ein Versprechen auf die Zukunft, doch Kinder wie Ruslan brauchen jetzt Hilfe – und die Uniklinik sucht für sie nach Wegen: „Wir stellen Kontakt zu karitativen Einrichtungen her oder die Stiftung Universitätsmedizin versucht, Geld bereitzustellen. Wir können ja das Geld nicht aus dem deutschen Gesundheitssystem schöpfen: Schließlich sind wir hier auch aufgefordert, wirtschaftlich zu agieren und uns an die Fallpauschalen zu halten.“

Bei armen Patienten aus dem Ausland treffen Hilfsbereitschaft und der Eid des Hippokrates auf Controlling und Kalkulation. „Wir können nicht jedem helfen, wir müssen eine Abwägung treffen“, formuliert Nagel. Diese Abwägung werde zuerst von den Leitungen der Abteilungen vorgenommen: Die Spezialisten machen sich ein Bild über die mutmaßliche Behandlungsdauer, den Heilungserfolg und den Betreuungsbedarf der jungen Patienten. „Und wenn ein Votum klar gegen eine Behandlung ausfällt, muss man das den Betroffenen auch so sagen.“

„Wir können nicht jedem helfen“

Im Falle der krebskranken Melisa, die vor dreieinhalb Jahren nach Deutschland kam, fiel das Votum positiv aus. Auch die Kosten der Erstbehandlung wurden aufgebracht. Nach einem Aufruf in der WAZ kamen zunächst 200.000 Euro zusammen. Nagel spricht von einer schönen Aktion, „vor allem weil dem Mädchen geholfen werden konnte“. Gleichzeitig sei die Aufmerksamkeit auf die hohen Summen für eine Krebsbehandlung gelenkt worden: „Für die Öffentlichkeit ist das ein Signal: Uns steht in Deutschland eine hervorragende medizinische Versorgung zur Verfügung, in deren Genuss jeder Versicherte kommt.“ Die Spendenaktion zeige, „dass unsere Solidargemeinschaft absolut erhaltenswert ist“.

Der Fall Melisa zeigt aber auch, wie trügerisch ein Happy End sein kann: Die heute Zwölfjährige benötigte nicht nur eine Knochenmarktransplantation, sondern drei; und die Spenden sind aufgebraucht. 300.000 Euro sind noch offen. Das sagt nicht Eckhard Nagel, sondern Peter Hennig, der Vorsitzende der „Elterninitiative zur Unterstützung krebskranker Kinder e.V.“. Die hat die Paskovs 2009 aufgenommen, hat Melisas Schicksal bekannt gemacht, die Spendenaktion angestoßen. Sie beherbergt die fünfköpfige Familie seither in ihrer Elternwohnung, die eigentlich für Kurzaufenthalte von Angehörigen gedacht ist.

Die Rechnungen stapeln sich

Bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit hat der Elternverein geholfen. „Und nun schickt uns das Klinikum die Rechnungen und Mahnungen“, sagt Hennig. Denn damals, als das Spendenkonto gefüllt war, sagte der Verein die Kostenübernahme zu – für Melisas erste Behandlung.

Mehr zahlt Hennig nicht. Er setzt darauf, dass das Uniklinikum weiß, was es an der Elterninitiative hat: Zahllose Familien mit krebskranken Kindern hat sie betreut, in nun fast 30 Jahren. Melisa sei so ein lebensfrohes Mädchen, sagt Hennig: „Aber einen zweiten Fall wie ihren könnten wir uns nicht leisten.“