Essen. . Fast eine halbe Million Euro hat Essen im Jahr 2011 mit Daten-Auskünften eingenommen. Die einen suchen nach einem Schuldner, die anderen nach verschollenen Mitschülern. Anfragen von Firmen sind eher selten. Dafür hat der Daten-Handel längst enorme Ausmaße angenommen.
Lena* ist erst fünf Monate alt, doch dieser Tage hat sie schon Post von der Ruhr-Uni Bochum bekommen: Die Fakultät für Psychologie fragt an, ob Lena und ihre Eltern nicht an einer Studie teilnehmen wollen. „In dem Brief hieß es, die Stadt Essen gebe die Daten von Kindern bestimmter Altersstufen unter strengen Auflagen heraus“, sagt Roland Schmitz*. Irritiert war er trotzdem, dass die Daten seiner Tochter nicht besser geschützt sind. „Dieses neue Meldegesetz ist doch noch gar nicht in Kraft.“ (*Namen geändert)
Ende Juni hatte der Bundestag im Hauruckverfahren eine Lockerung des Meldegesetzes beschlossen:Die Städte hätten danach Adressen fast unbegrenzt verhökern können, die Bürger kaum Chancen auf Widerspruch gehabt. Es gab einen Aufschrei der Datenschützer, die hoffen, dass der Bundesrat das Gesetz in dieser Form stoppt.
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„Das hat auch hier für viel Aufregung gesorgt“, sagt Ilona Meier, die stellvertretende Leiterin des Essener Einwohneramtes. Etliche besorgte Bürger riefen an, viele legten schriftlich Widerspruch gegen die Weitergabe ihrer Daten ein. Das ist bislang möglich. „Nun machen davon immer mehr Bürger Gebrauch, die Unsicherheit wächst.“
Metropolen erzielen Millionen
Vielen ist wohl erst mit der Diskussion über das neue Meldegesetz klar geworden, dass Städte längst einen schwunghaften Datenhandel betreiben: Also genau jene Stellen, denen gegenüber jeder Bürger zu Auskunft über seinen Wohnort verpflichtet ist. Wie eine Befragung des Internet-Magazins Spiegel online jetzt ergab, erzielen Metropolen wie Hamburg und Berlin jährlich hohe Einnahmen mit der Weitergabe von Daten (1,9 bzw. 1, Millionen Euro). Mit 465 000 Euro im Jahr 2011 belegt auch Essen einen vorderen Platz. 220 000 Auskünfte hat die Stadt laut Spiegel erteilt – und damit mehr als München, das doppelt so viele Einwohner hat.
„Die Zahl kann hinkommen“, sagt Ilona Meier. „Ich schätze, wir haben täglich 400 schriftliche und 150 Online-Anfragen.“ Telefonisch werden keine Auskünfte erteilt: „Wir geben die Daten ja nicht wahllos weiter, sondern schauen genau hin.“ Das gelte nicht nur für Privatleute: Geprüft werde auch, ob eine Behörde ein rechtlich gedecktes Interesse an einer Auskunft habe.
Das könnte etwa das Straßenverkehrsamt einer anderen Stadt sein oder ein Gericht, das einen Erben ermitteln will. Amtliche Stellen bekommen die Auskünfte kostenfrei, alle anderen zahlen eine Gebühr von 7 Euro, wer online anfragt, ist mit 4 Euro dabei.
Firmen melden sich selten - der Kosten wegen
Firmen meldeten sich übrigens selten, so Meier: „Wer eine Massen-Werbesendung verschicken will, zahlt keine sieben Euro pro Adresse.“ Viel öfter melden sich Inkasso-Firmen auf der Suche nach Schuldnern – oder Bürger auf der Suche nach früheren Mitschülern. „Da hilft man gern mit der neuen Adresse.“ Und nur die werde herausgegeben: Geburts- und Sterbedaten seien tabu. Den Fall der Ruhr-Uni, die offenbar Lenas Geburtsdatum erhielt, wolle sie gern prüfen. Sie nehme an, dass hier ein besonderes wissenschaftliches Interesse glaubhaft gemacht werden konnte. Tatsächlich hat die Uni versichert, die Daten des Kindes seien schon mit Absenden des Briefes gelöscht worden. Vater Roland Schmitz will das gern glauben: „Aber wehe, wenn wir in drei Wochen Reklame-Post von Pampers bekommen.“