Essen. Ein Lehrer der Frida-Levy Gesamtschule in der Innenstadt von Essen hat eine Biografie über die Essener Bürgerin geschrieben, die als Jüdin 1942 ermordet wurde. Und er sorgte für einen „Stolperstein“ vor Levys letzter Wohnung in Berlin.
Sie war Essenerin, die Namensgeberin der Frida-Levy-Gesamtschule, das darf man wohl sagen: 32 Jahre lebte sie als angesehene Bürgerin in der Stadt, mit ihrem Mann Dr. Friedrich Levy, einem bekannten Anwalt und Politiker.
Dann jagte Essen das Ehepaar 1933 davon: Juden! Sozialdemokraten! Neun Jahre später wurde Frida Levy von Berlin „nach dem Osten“ verfrachtet und ermordet. Ihre letzte Adresse: Xantener Straße 20, Wilmersdorf. Vor dem Haus erinnert jetzt ein „Stolperstein“ an Frida Levy, gespendet von „ihrer“ Essener Schule.
Es ist ein heißer Augusttag, als Ludger Hülskemper-Niemann vor dem Haus Xantener Straße 20 steht. Er ist Lehrer an der Frida-Levy-Gesamtschule und hat eine Biographie der Namensgeberin geschrieben. Mit ihm stehen Ingeborg Glöckner und Walter Kern in der Xantener Straße – Lehrerkollegen, die seit ihrer Pensionierung in Berlin leben. Vor der Hausnummer 20 schauen die drei nach oben. Frida Levy bewohnte damals ein Zimmer im ersten Stock. Dort steht jetzt ein Mann am Balkongeländer. Wie wird er reagieren auf die Erinnerung an trübe Zeiten? Darf man – darf man vielleicht sogar . . .? „Kommen Sie herauf“, ruft Edgar Schlaefle schließlich.
Nachbar Friedrich Hagenmann hat eine rote Rose für Frida Levy
Die Besucher gehen durch das große Treppenhaus. Sie gehen ein paar Minuten lang scheu in der riesigen, fremden Wohnung herum, die bis etwa 1930 noch größer war: Im abgetrennten, kleineren Teil lebt Friedrich Hagemann, seit 36 Jahren. Hagemann und Schlaefle folgen den Besuchern schließlich hinunter vor die Tür: Das Auto mit den „Stolperstein“-Leuten ist eingetroffen. Unter ihnen ein bulliger Mann mit Jeanshemd und Schlapphut: Gunter Demnig, Erfinder der Stolperstein-Aktion.
Mit Werkzeug, Sand und einem Kanister Wasser setzen Demnig und ein Helfer den neuen Stein routiniert ins Pflaster. Auf der glänzenden Messingfläche steht: „Hier wohnte Frida Levy Geb. Stern Jg 1881, deportiert 15.1.1942, ermordet in Riga“. Friedrich Hagemann, der „Nachbar“, legt eine rote Rose neben den Stein. Die jüdische Vergangenheit ihres Hauses ist den Bewohnern bekannt; von Frida Levy wussten sie bislang nichts. Die Besucher aus Essen erzählen.
Sie kämpfte für Frauenrechte und bessere Bildung
In Geseke wurde Frida Stern geboren. 1901 heiratete sie Fritz Levy und zog im selben Jahr mit ihm nach Essen. Bald zählten die Levys zur Essener Gesellschaft. Sie führten ein offenes Haus, zählten viele Künstler zu ihren Freunden und förderten sie. Die bürgerliche „Hausfrau“ Frida Levy kämpfte aber auch für Frauenrechte und bessere Bildung. Dazu gehörte, dass sie von ihrer Villa an der Moltkestraße immer wieder in Richtung Segeroth, Altenessen oder Karnap fuhr, um Vorträge zu halten, auch über Sex und Verhütung.
Natürlich waren diese Levys für Rassisten und Spießer ein Ärgernis. 1933 brachen solche Abneigung und solcher Hass sich als Element staatlichen Handelns ungehindert Bahn und vernichteten binnen kurzer Zeit die bürgerliche Existenz der Levys und ihrer vier Kinder. Fritz Levy wurde noch im Februar 1933 ins Gefängnis geworfen. Da er bereits schwer krank war, kam er nach einigen Tagen frei, musste Essen aber „sofort und auf immer verlassen“.
Ihren zwei Söhnen und zwei Töchtern gelang die Emigration
Das Ehepaar ließ sich in Wuppertal nieder, Fritz Levys Geburtsstadt. Dort lebten sie zurückgezogen, bis Fritz Levy im Mai 1936 starb. Da waren die beiden Söhne, in Ausbildung und Beruf drangsaliert, bereits emigriert. Die jüngste Tochter ging im September 1936 nach Palästina. Kurz darauf zog Frida Levy nach Berlin, zur Tochter Hanna und deren Mann. Doch wenige Wochen später wurden diese beiden wegen geheimer politischer Treffen verhaftet und zu Zuchthausstrafen verurteilt. Frida Levy setzte nun alles daran, den Kindern die Emigration zu ermöglichen. Dafür kehrte sie sogar 1938 von Reisen nach Palästina und Schweden zurück. Die Tochter konnte 1939 ausreisen, der Schwiegersohn kam trotz aller Bemühungen ins KZ und wurde 1942 umgebracht.
Frida Levy zog 1939 in die Xantener Straße, bewohnte ein Zimmer in der Wohnung des Ehepaares Rothmann. Vermutlich hatten Berliner Behörden dabei schon die Finger im Spiel: Sie versuchten, Juden in reinen „Judenhäusern“ straßenweise zu konzentrieren. Wie Frida Levy das lebendige Viertel am Kurfürstendamm erlebte, ist nur zu ahnen. Sie kannte nur wenige Menschen in Berlin, und Juden wurden immer mehr isoliert, schikaniert: Museen, Freizeiteinrichtungen, Ausgang nach acht und Cafés verboten, dann Radio und Telefon. Von September 1941 an der Judenstern. Kurz darauf erklärten Schwedens Behörden sich endlich bereit, Frida Levy aufzunehmen. Zu spät.
Schüler, Lehrer und Eltern folgten ihren Spuren bis nach Riga
Im Oktober verboten die Nazis jede Emigration für die Dauer des Krieges. Statt dessen deportierten sie Juden aus Deutschland plötzlich massenhaft „nach dem Osten“. In Ghettos, deren Bewohner gerade zu Tausenden ermordet wurden. Wochenlang musste Frida Levy mit dem Deportationsbefehl rechnen. Am 23. Januar 1942 hat man sie abgeholt und zur Synagoge Levetzowstraße gebracht, zwei Tage später zum Deportationsbahnhof Grunewald.
Es war schrecklich kalt; trotzdem bestand der Zug nach Riga aus ungeheizten Güterwagen. Gut möglich, dass Frida Levy schon die fünftägige Fahrt nicht überlebt hat. Das Ghetto hat sie jedenfalls kaum mehr erreicht. Sie war 60 Jahre alt und sicher geschwächt. Wer aber nicht arbeitsfähig war, wurde in Riga sofort zu einem Wäldchen geführt und erschossen.
Als sich die „Gesamtschule Essen-Mitte“ 2000/2001 nach Frida Levy nannte, begannen Ludger Hülskemper-Niemann und Kollegen, das Leben dieser Frau zu erforschen. Im Lauf der Zeit folgten sie, teils mit Schülern und Eltern, ihren Spuren über Berlin bis nach Riga. Der Stolperstein vor der letzten Wohnung ist nun ein weiteres Mosaikstück in der Erinnerung. Die Essener sind froh, dass mindestens zwei Hausbewohner der Xantener Straße 20 sich mit Sympathie an diesem Erinnern beteiligen.
Sie ist sich bis zuletzt treu geblieben
Es ist traurig, von Frida Levys Leben zwischen 1933 und 1942 zu lesen. Aber wie sie noch von ihrem Berliner Zimmer aus, als Ausgestoßene und Bedrohte, mit Nazibehörden selbstlos um ihren Schwiegersohn kämpfte, das zeigt: Sie ist sich bis zuletzt treu geblieben. Die Schule hat sich, weiß Gott, eine mutige Frau zum Vorbild genommen.