Essen. . Bundespräsident Christian Wulff handelt in der Debatte um sein Amt und seine Person “politisch amateurhaft“, sagt Martin Florack, Politikwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen: Der Präsident “hätte längst früher dem berechtigten Informations-Interesse der Öffentlichkeit konsequent nachkommen müssen“.

Justiziabel sind die Vorwürfe bislang nicht, die gegen den Bundespräsidenten Christian Wulff erhoben werden – trotzdem nimmt der überwiegende Teil der Bevölkerung erheblichen Anstoß an dem, was bekannt geworden ist. Es ist also eher eine Frage des Stils, um die es hier geht. Was aber zeichnet „politischen Stil“ aus? Fragen an den Politikwissenschaftler Martin Florack (34) von der Uni Duisburg-Essen.

Herr Florack, ist unserem Bundespräsidenten der politische Stil abhanden kommen?

Martin Florack: Er handelt politisch amateurhaft. Er missachtet sämtliche Grundregeln, die man zur Bewältigung einer Affäre beachten muss.

Welche sind das?

Florack: Bei einer Affäre geht es meistens nicht um einen heiklen Vorgang an sich, sondern um dessen kommunikative Bewältigung. Christian Wulff hätte längst früher dem berechtigten Informations-Interesse der Öffentlichkeit konsequent nachkommen müssen. Doch er gibt zögernd nur das zu, was ohnehin schon bewiesen ist. Das mag juristisch klug sein, politisch ist es hingegen falsch.

Was wäre politisch richtig?

Florack: Der Bundespräsident macht das Falsche zu spät. Richtig wäre gewesen, frühzeitig Transparenz in der Sache herzustellen und sich zu entschuldigen. Das hat er nur ansatzweise gemacht. Man gibt keine halbgaren Erklärungen ab. Und man droht auch keinem Chefredakteur, um eine Berichterstattung zu verhindern. Das kann man vielleicht als Landrat in der niedersächsischen Provinz machen, nicht aber als Bundespräsident.

Hat man nicht früher den Politikern viel mehr durchgehen lassen? Denken Sie an Franz-Josef Strauß.

Florack: Ganz sicher wird der politische Betrieb heute intensiver durchleuchtet als früher. Politiker wie Wulff haben Medien aber Jahre lang auch für sich benutzt – in der Boulevardpresse hat sich Wulff mit seiner neuen Frau wie ein ungekröntes Königspaar inszeniert. Das hat er bewusst gesteuert. Er musste sich aber darüber im Klaren sein, dass die Medien sich irgendwann gegen einen richten können.

Haben wir es mit einer Krise der politischen Autorität zu tun? Der Fall Guttenberg ist noch kein Jahr her.

Florack: Nein, ich glaube, es gibt genug Amtsträger, die ihrem Mandat gerecht werden. Bei Wulff ist das nicht der Fall. Wulff kann den Mangel an politischer Statur und persönlicher Glaubwürdigkeit nicht ausgleichen.

Warum hat er keine politische Statur?

Florack: Ihm fehlt eine erkennbare Persönlichkeit außerhalb des Amtes. Sowas rettet einen im Zweifel. Johannes Rau hat die Vorwürfe, die Flugbereitschaft der West LB für private Zwecke genutzt zu haben, überstanden, weil er das einbringen konnte, was Wulff fehlt: persönliche Autorität außerhalb eines Amtes.

Kann man kein Amt ausüben ohne persönliche Autorität?

Florack: Doch, aber dann muss man die Geschäfte wirklich sauber führen ohne jeden Makel

Wie lange hält er sich noch?

Florack: So lange niemand von Rang ernsthaft seinen Rücktritt fordert, bleibt er im Amt. Er könnte mit einem kommunikativen Befreiungsschlag durchaus bis zum Ende regulär im Amt bleiben – dann allerdings als „Lahme Ente“. Also als jemand, der handlungsunfähig ist aufgrund des entstandenen Glaubwürdigkeits- und Autoritätsdefizits.