Berlin. Bundespräsident Christian Wulff bleibt nach seiner öffentlichen Entschuldigung unter Druck. Vertreter von SPD, Grünen und Linke bezeichneten seine Erklärungen als nicht ausreichend. Die “Bild“-Zeitung widersprach Wulffs Darstellung, er habe eine Berichterstattung zu der Affäre durch einen Anruf nicht unterbinden wollen.
Bundespräsident Christian Wulff hat mit seinem Interview in eigener Sache nicht alle überzeugt. Grünen-Bundestagsfraktionschefin Renate Künast monierte, Wulff habe lediglich über seine Gefühle gesprochen. Der schleswig-holsteinische SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner sagte, Wulff werde es schwer haben, Autorität und Integrität wiederzuerlangen. Dagegen sagte FDP-Fraktionsvorsitzende im schleswig-holsteinischen Landtag, Wolfgang Kubicki, Wulff habe die "Sache" aus der Welt geschafft.
Die "Bild"-Zeitung widersprach Wulffs Aussage, er habe mit seinem Anruf bei Chefredakteur Kai Diekmann eine Berichterstattung zu seiner Hausfinanzierung nicht verhindern wollen. Wulff hatte am Mittwoch eingeräumt, dass sein Anruf bei Diekmann ein Fehler gewesen sei, einen Rücktritt aber abgelehnt.
Künast sagte, Wulff habe keine der Fragen beantwortet, die das Land beschäftigten. "Niemand weiß, wie oft und wofür sich dieser Präsident noch wird entschuldigen müssen", sagte Künast der "Bild"-Zeitung.
Stegner sagte dem Düsseldorfer "Handelsblatt": "Es ist schade, dass Christian Wulff wieder die Chance vertan hat, für Orientierung zu sorgen."
Zweifel an Wulffs Darstellung
Der Leiter des "Bild"-Hauptstadtbüros, Nikolaus Blome, sagte im Deutschlandfunk, das Ziel von Wulffs Anruf bei Diekmann sei ganz klar gewesen, die Berichterstattung zu unterbinden. Wulff hatte im Interview gesagt, er habe lediglich darum gebeten, mit dem Bericht einen Tag zu warten.
Der SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy bezweifelte das. "Wenn es um eine reine Verschiebung ging, warum drohte Wulff dann mit rechtlichen Schritten?", fragte er im "Handelsblatt". Die "Bild"-Zeitung hat nach eigener Darstellung Wulff vor ihrem ersten Bericht zu seinem Hauskredit einen Fragenkatalog gemailt. Der Präsident hat diesen demnach zunächst beantwortet, seine Stellungnahme dann zurückgezogen und anschließend versucht, die Veröffentlichung des Artikels durch einen Anruf bei Diekmann zu verhindern.
Edathy sagte, viele Fragen seien offen geblieben. "Es wäre zudem souveräner gewesen, Wulff hätte sich ohne Zeitbegrenzung der Bundespressekonferenz gestellt, als lediglich ein 15-minütiges Interview im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zuzulassen", sagte er.
Kubicki fand hingegen, Wulff habe alle Fragen beantwortet. Er sei jedoch überrascht, wie unprofessionell Wulff mit den Vorwürfen umgehe. "Es wird immer nur soviel zugegeben wie gerade öffentlich geworden ist", sagte Kubicki der "Passauer Neuen Presse". "Das weckt schon Misstrauen, dass hinter alledem noch mehr stecken könnte."
Freie Wähler würden wieder Gauck wählen
Die Freien Wähler würden bei einer erneuten Bundespräsidentenwahl wieder auf den DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck setzen. Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger sagte der "Frankfurter Rundschau": "Wir haben beim letzten Mal Joachim Gauck gewählt. Und wir würden auch wieder für Gauck stimmen, wenn er anträte."
Aiwanger verzichtete aber auf eine Rücktrittsforderung gegen Wulff. Der Präsident sei zwar sehr ungeschickt. "Aber eine Rücktrittsforderung finde ich trotzdem übertrieben", sagte Aiwanger.
Das TV-Interview stieß bei den Zuschauern auf großes Interesse. Im Schnitt 11,49 Millionen Menschen verfolgten nach Senderangaben am Mittwochabend ab 20.15 Uhr das zeitgleich ausgestrahlte Interview von ARD und ZDF. Mehr als ein Drittel der Fernsehzuschauer entschieden sich damit für das rund 20-minütige Gespräch mit dem Staatsoberhaupt. Vorab waren Ausschnitte im Internet zu sehen.
8,04 Millionen Zuschauer sahen das Interview im Ersten. Das entsprach einem Marktanteil von 23,7 Prozent. Beim ZDF schalteten 3,45 Millionen Zuschauer ein, damit erreichte das Zweite einen Marktanteil von 10,2 Prozent.(dapd/afp)