Essen. . Erst war der Sex einvernehmlich - dann wurde eine Vergewaltigung daraus: Ein Essener Ratsherr hat vor Gericht gestanden, eine Disko-Bekanntschaft zu bizarren Sex-Praktiken gezwungen und misshandelt zu haben. Er hat 50.000 Euro an das Opfer gezahlt.

Ein Essener Ratsherr hat vor dem Landgericht Essen gestanden, eine Disko-Bekanntschaft vergewaltigt zu haben. Die SPD in Essen gab anschließend auf Nachfrage bekannt, dass der Mann sein Ratsmandat zurückgeben und von allen politischen Ämtern zurücktreten wird. Er ist Vorsitzender in einem Essener Ortsverein der SPD.

Außerdem zahlte der Ratsherr am Freitag 50.000 Euro an das mutmaßliche Opfer. Dieses Schmerzensgeld gehört zusammen mit seinem Geständnis zu den vor Gericht vereinbarten Bedingungen, für eine Bewährungsstrafe. Er müsste dann nicht ins Gefängnis.

Vor der XVII. Strafkammer waren die Prozessbeteiligten auf Antrag von Verteidiger Rüdiger Deckers vor allem bemüht, die Öffentlichkeit auszuschließen. Selbst die Anklage verlas Staatsanwalt Gabriel Wais in nicht öffentlicher Sitzung. Ein Vorgang von dem andere erwachsene Angeklagte nicht einmal zu träumen wagen. Hintergrund ist wohl die zwischen dem Angeklagten und dem mutmaßlichen Opfer getroffene Vereinbarung, die Tat zu gestehen und 50.000 Euro zu zahlen.

Sexualpraktiken aus dem Sado-Maso-Bereich

Kennengelernt hatten die beiden sich am 6. August 2009 auf einer „80er-Jahre-Nacht“ im Altenessener Kulturzentrum Zeche Carl. Gegen vier Uhr morgens gingen sie in die Wohnung des Angeklagten. Einvernehmlich kam es zum Sex. Doch plötzlich kippte die bis dahin romantische Stimmung. Der 48-Jährige, so die Anklage, misshandelte die 40-Jährige derart übel, dass sie diese von ihm gewählten Sexualpraktiken aus dem Sado-Maso-Bereich abgelehnt habe. Er soll sich aber darüber hinweggesetzt und den Sex an mehreren Orten in der Wohnung fortgesetzt haben.

Die Frau ging zur Polizei, die Verletzungen wurden per Foto dokumentiert. Über seinen früheren Verteidiger Karl Engels ließ der Angeklagte mitteilen, die gewalttätigen Übergriffe seien Teil der Sexualpraktiken gewesen und einvernehmlich mit der Frau erfolgt.

Rechtsgespräch bringt Strafkammer von Haft ab

Von dieser Linie wich der Angeklagte jetzt nach einem Verteidigerwechsel ab. Richter Bernd Koß teilte öffentlich mit, dass Rechtsanwalt Deckers ihn im Vorfeld der Hauptverhandlung angerufen habe: Sein Mandant sei bereit, auf die Schmerzensgeldforderung der Frau in Höhe von 50.000 Euro einzugehen. Ob für diesen Fall das Gericht zu einer Bewährung kommen könne? Das, so Koß, habe er aber nach Rücksprache mit seiner Richterkollegin abgelehnt. Die Kammer denke an eine Strafe zwischen zwei und drei Jahren Haft. Eine Bewährung ist dabei nicht mehr möglich.

Ein Rechtsgespräch zum Prozessauftakt änderte offenbar die Meinung der XVII. Strafkammer. Zuvor hatte das Gericht schon zur Kenntnis nehmen müssen, dass das mutmaßliche Opfer trotz Ladung nicht vor Gericht erscheinen wird. Ihr Anwalt Ernst van der Meulen: „Sie wird heute nicht erscheinen.“ Nach dem Rechtsgespräch gab Richter Koß dann die Vereinbarung zu Protokoll: Bei einem Geständnis und Zahlung der Schmerzengeldforderung von 50.000 Euro „kündigt die Kammer an, eine Strafe zu verhängen, die zwei Jahre Haft nicht überschreitet und zur Bewährung ausgesetzt werden kann“. Danach las er die Vereinbarung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin vor: Der Angeklagte übernimmt die Verantwortung für das Geschehen. Er entschuldigt sich. Die Nebenklägerin nimmt die Entschuldigung an. Außerdem sind mit Zahlung der 50.000 Euro „alle Ansprüche aus dem Schadensereignis abgegolten“.

15 Red Bull mit Wodka und zehn Bier getrunken

Nichtöffentlich ging es weiter. Offenbar legte der Angeklagte ein Geständnis ab und berief sich dabei auf reichlich Alkohol. Rechtsmediziner Kurt Trübner rechnete nach den Trinkangaben des 48-Jährigen („15 Red Bull mit Wodka und 10 Bier zwischen 21 und 4.30 Uhr“) aus, dass der Promillegrad rechnerisch zwischen 1,75 und 3,42 liegen müsse. Eine verminderte Schuldfähigkeit durch Enthemmung sei nicht auszuschließen. Aus den Angaben des Gutachters war zu schließen, dass der Angeklagte in seinem Geständnis gesagt hat, er habe das mehrfach geäußerte „Nein“ der Frau nicht wahrgenommen. Ende des Monats will das Gericht dann sein Urteil verkünden.

Die politische Karriere des Sozialdemokraten dürfte beendet sein. Führende Sozialdemokraten, darunter Essens Parteichef Dieter Hilser, zeigten sich „fassungslos“. Sie hätten vom Termin und vom Vorwurf im Vorfeld gehört, seien aber von der Unschuldsvermutung ausgegangen. Klar sei, dass er sein Ratsmandat aufgeben müsse. Das habe er jetzt auch schon angekündigt. SPD-Ratsfraktionschef Rainer Marschan erklärte: "Mit dem Entschluss, von allen Ämtern zu­rückzutreten" sei der Ratsherr "den notwendigen Konsequenzen, die Partei und Fraktion hätten ziehen müssen, zuvorgekommen." (mit woki)