Essen. . Rund 200 Atomkraftgegner demonstrierten am Morgen an der Grugahalle, wo die Jahreshauptversammlung des Energiekonzerns RWE stattfindet. Bei der steht eine lange Generalaussprache an. Konzernchef Jürgen Großmann wird scharf kritisiert.
Friedlich aber lautstark demonstrierten am Mittwochmorgen rund 200 Atomkraftgegner auf dem Gelände zwischen Messe Ost und Grugahalle, wo heute die Jahreshauptversammlung des Energiekonzerns RWE stattfindet. Mit einer Sitzblockade vor der Gruga erschwerten die Demonstranten den rund 5000 Aktionären ab 9 Uhr den Eingang. Immer wieder bildeten sich Staus, die Polizei musste die Aktionäre außen herum führen. Bis zu einer halben Stunde dauerte der Einlass zeitweise.
Der für 10 Uhr geplante Beginn der Jahreshauptversammlung musste um 20 Minuten verschoben werden. Für die zum Teil betagten RWE-Funktionäre war der Weg zum Eingang ein beschwerlicher: Die AKW-Gegner bewarfen sie mit Wollknäulen. Dies solle die "Verflechtungen innerhalb des Konzerns und die Geschäftsbeziehungen des Unternehmens" symbolisieren, erklärten die Organisatoren. Zu den Kundgebungen hatten mehrere Anti-Atomkraft- und Umweltorganisationen, die Gesellschaft für bedrohte Völker sowie Grüne und Linke aufgerufen.
"RWE ist aber ein tief gestaffeltes Energieunternehmen, KEIN Atomkonzern"
Mit lauten Trommeln und Anti-AKW-Rufen übten die Demonstranten Druck auf die RWE-Funktionäre aus. Erst gegen 10.30 Uhr entspannte sich die Lage ein wenig. RWE steht im Mittelpunkt der Kritik der Atomgegner, weil der Konzern als einziger der vier großen Energieversorger in Deutschland gegen das Atommoratorium der Bundesregierung klagt. RWE will damit gegen die vorläufige Abschaltung des Reaktors Biblis A vorgehen.
Zu Beginn der Jahreshauptversammlung sagte Konzernchef Jürgen Großmann, dass Fukushima eine Zäsur bedeute, vor allem in Deutschland. Rigoroser als jedem anderen europäischen Land lehnten hierzulande viele Menschen die Kernenergie ab. Vor diesem Hintergrund sei es nachvollziehbar, dass die Politik nicht zur Tagesordnung übergehe, so Großmann weiter. In der öffentlichen Wahrnehmung werde RWE allerdings seither auf den Betrieb ihrer Kernkraftwerke reduziert. "RWE ist aber ein tief gestaffeltes Energieunternehmen, KEIN Atomkonzern. Aber wir betreiben Kernkraftwerke. Und dazu stehen wir", sagte Großmann.
"Von der beschleunigten Abschaltung der Kernkraftwerke profitieren viele - nur die Deutschen nicht"
Immer wieder hätten Politik und Industrie miteinander gesprochen, um gemeinsam Lösungen zu finden. Das solle auch in Zukunft so sein. "Man hat jedoch den Eindruck: Statt den volkswirtschaftlichen Schaden zu begrenzen, konzentriert sich die Politik darauf Schadenersatzforderungen der Versorger zu vermeiden. Dabei werden wir es sein, die den Umbau hin zu einer kernenergiefreien Erzeugung leisten müssen", sagte Großmann. Um die Energiewende herbeizuführen, müsse die Privatwirtschaft enorme Mittel einsetzen."Wir reden hier nicht von Peanuts, sondern von einem dreistelligen Milliardenbetrag. Dieses Geld stammt bisher zumindest in Teilen aus Kernenergie. Das weiß auch die Politik. Mit dem Moratorium hat die Bundesregierung schnell, nach Ansicht vieler in- und ausländischer Beobachter überhastet gehandelt", warf Großmann vor. An dieser Stelle brandete zum ersten Mal Applaus für den Konzernchef auf.
"Wir haben Gebrauch von unserem Recht gemacht und daher Klage gegen die Anordnung der hessischen Landesregierung eingereicht. Das sind wir Ihnen, unseren Aktionären, schuldig", gab sich Großmann kämpferisch. Die Klage sei weder eine Kampfansage an die Politik, noch wolle RWE die Menschen brüskieren, die sich ernsthaft sorgen. "Von der beschleunigten Abschaltung der Kernkraftwerke profitieren viele - nur die Deutschen nicht", kritisierte Großmann: "Wir machen es dem Klima schwer, gefährden Arbeitsplätze, verteuern Energie - jedenfalls so lange, bis echte Alternativen bereit stehen. RWE ist gesprächsbereit und an einer einvernehmlichen Lösung interessiert."
40 Wortmeldungen wurden angekündigt
Zu Beginn der Generalaussprache warfen Vertreter von Großaktionären dem RWE-Vorstand und Großmann vor, angesichts der neuen Entwicklung keine geeignete Strategie für die Zukunft zu haben. Es dürfte eine lange Debatte werden - 40 Wortmeldungen wurden angekündigt.
Marc Tüngler, Geschäftsführer der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW), unterstützt zwar die Klage gegen das Moratorium, warf Großmann aber auch indirekt vor, noch keine neue Strategie entwickelt zu haben und fragte: „Quo vadis, RWE? Quo vadis, Herr Großmann? Was bleibt übrig von RWE, wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet sind?“
Auch weitere Vertreter von Großanlegern machten klar, dass sie eine neue Ausrichtung vermissen. Es fehle an einer klaren strategischen Ausrichtung. Die Frage ist, wie der Kapitän auf die rauere See reagiert.
Christoph Hirt, Sprecher der Vereinigung der Institutionellen Privatanleger (VIP) formulierte große Sorge angesichts der Klage gegen das Moratorium. Es bestehe das Risiko, dass RWE auf Grund der Klage an Akzeptanz und Reputation verlören. Es werde schwierig für das Unternehmen, an einer sachlichen Diskussion zur Atomfrage teilzunehmen. Der Konfrontationskurs laufe womöglich dem eigentlichen Sinn der Klage – Schaden vom Unternehmen – abwenden zuwider. Deshalb solle RWE die Klage noch einmal überdenken.
Dauerhafter Interessenkonflikt
Immer stärker regt sich Widerstand gegen die kommunalen Vertreter im Aufsichtsrat. „Sie tragen kommunale Politik in den Aufsichtsrat. Das gehört sich nicht und muss abgestellt werden“, so Marc Tüngler (DSW). Er sieht einen dauerhaften Interessenkonflikt. Deutlich wird das am Beispiel Dortmund: Als neuer Besitzer der Steag ist die Stadt Konkurrent von RWE, sitzt aber gleichzeitig in dessen Aufsichtsrat. Tüngler machte darauf aufmerksam, dass bei einem dauerhaften Interessenkonflikt die Aufsichtsratswahl angefochten werden kann.
Christoph Hirt stellte gar den Gegenantrag, den Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) nicht in den Aufsichtsrat zu wählen. Angesichts dessen Ämterhäufung (sechs Aufsichtsrats-Mandate, etwa 50 Ausschüsse und Beiräte) habe er kaum Zeit für die Erfüllung seiner Aufgabe bei RWE. Auch der Vertreter von Union Investment lehnt die Wahl Sieraus ab. (Mit Material von dapd.)