Essen. . Das Bundesfinanzministerium will offenbar zur Finanzierung des Atomausstiegs die Konzerne zur Kasse bitten. So werde eine höhere Atomsteuer in Erwägung gezogen. Derweil will NRW will mit eigenem Energiekonzept den Ausstieg forcieren.

Das Bundesfinanzministerium erwägt einem Magazinbericht zufolge eine Erhöhung der Kernbrennstoffsteuer, um Einnahmeausfälle durch abgeschaltete Atomkraftwerke auszugleichen. Experten von Finanzminister Wolfgang Schäuble prüften derzeit, ob durch eine höhere Steuer für Brennelemente Haushaltslücken zumindest teilweise ausgeglichen werden könnten, berichtete der „Spiegel“ am Samstag vorab. Ein Sprecher Schäubles wollte den Bericht weder dementieren noch bestätigen. „Wir beteiligen uns nicht an Spekulationen“, sagte er. Es bleibe beim vereinbarten Zeitplan, dass im Juni über das neue Energiekonzept und dessen Folgen entschieden werde.

Hintergrund der Überlegung im Finanzministerium sollen die Verhandlungen zum Energiekonzept vom vergangenen Herbst sein. Damals hatten die vier großen Energieunternehmen durchgesetzt, dass die Regierung statt der ursprünglich geplanten 220 Euro pro Gramm Kernbrennstoff nur noch 145 Euro ansetzt. Andernfalls seien ältere Atomkraftwerke nicht mehr profitabel, hatten die Versorger damals argumentiert. Da diese älteren AKW im Zuge des Atommoratoriums nun aber wohl nie wieder ans Netz gehen dürften, sei dieses Argument entfallen, berichtete das Magazin unter Verweis auf Überlegungen im Finanzministerium.

Die Kernbrennstoffsteuer beträgt 145 Euro je Gramm Uran oder Plutonium, das neu in einem AKW zur Stromerzeugung eingesetzt wird. Dadurch sollen jährlich 2,3 Milliarden Euro in Schäubles Kasse gespült werden, womit der Bundeshaushalt konsolidiert werden soll. Die Kernbrennstoffsteuer ist bis einschließlich 2016 befristet und steht in keinem rechtlichen Zusammenhang mit der im Herbst beschlossenen Laufzeitverlängerung.

NRW will mit eigenem Energiekonzept Atomausstieg forcieren

Die nordrhein-westfälische Landesregierung will mit einem eigenen Energiekonzept den Atomausstieg forcieren. Mit einer Bundesratsinitiative habe NRW die Bundesregierung aufgefordert, die Laufzeitverlängerung aufzugeben und zum rot-grünen Ausstiegskonsens zurück zu kehren. „Darüber hinaus werden wir demnächst ein eigenes Energiekonzept vorlegen“, sagte Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger (SPD) am Samstag im Interview mit „Handelsblatt Online“.

Dazu gehörten neben neuen Kraftwerksbauten, möglichst mit Kraft-Wärme-Kopplung, auch die Themen Energieeffizienz, energetische Sanierung, energieeffizientere Technologien und Werkstoffe. Voigtsberger bekräftigte in diesem Zusammenhang seine Forderung an die Atomkonzerne und die Industrie, sich nicht länger gegen eine schnelle Energiewende zu stemmen.

„Bereits mehrfach habe ich die großen Energieversorgungsunternehmen aufgefordert, die nach Fukushima unausweichliche energiepolitische Wende konstruktiv zu begleiten“, sagte der Minister. „Sie sollten sie auch als Chance für notwendige strategische Neuorientierungen betrachten.“ Der SPD-Politiker hält einen Atomausstieg innerhalb der nächsten zehn Jahre für möglich. „Wenn es ein stimmiges Energiekonzept und energiepolitischen Konsens über massive Investitionen in Erneuerbare und für eine nachhaltige und dezentrale Energieversorgung gibt, halte ich ein Ausstiegsdatum um 2018 für durchaus denkbar“, sagte Voigtsberger.

Zugleich riet der Minister dazu, nicht darauf zu warten, dass auch andere EU-Staaten der Atomenergie den Rücken kehren. Deutschland und insbesondere NRW seien bereits besonders weit bei der Entwicklung eines intelligenten Energiemixes aus erneuerbaren Energien und modernen Gas- und Kohlekraftwerken, die für eine lange Übergangszeit unverzichtbar sein werden. „Wir haben die Technologie und die Kraftwerke, um eine atomenergiefreie Energiepolitik umzusetzen, die sowohl Versorgungssicherheit, Netzstabilität wie akzeptable Strompreise gewährleistet“, unterstrich der SPD-Politiker.

SPD rebelliert gegen Schnellverfahren für neues Atomgesetz

Nach dem Energiegipfel von Bund und Ländern rebelliert die SPD im Bundestag gegen das vereinbarte Schnellverfahren für das neue Atomgesetz. Kanzlerin Angela Merkel will die Novelle in nur zwei Wochen bis zum 17. Juni durch Bundesrat und Bundestag bringen. „Der vorgesehene Zeitplan ist unseriös und eine Entmündigung des Parlaments“, kritisierte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, am Samstag in Berlin. Die CDU-Chefin wolle „ihre eigene Partei überrumpeln“.

Nach einem Kabinettsbeschluss am 6. Juni und einer Bundesratsentscheidung am 17. Juni blieben für die Beratungen im Bundestag höchstens fünf Tage Zeit, beklagte Oppermann. In diesen fünf Tagen sollten mindestens vier Gesetze beraten werden - nämlich das neue Atomgesetz, eine Korrektur des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz und das Energiewirtschaftsgesetz. „Es ist schlicht nicht möglich, vier Gesetze in fünf Tagen seriös zu beraten“, kritisierte Oppermann. „Das ist eine Missachtung des Parlaments.“

Zwar wolle die SPD einen schnellen Atomausstieg, und eine rasche Beratung im Bundestag sei auch machbar. „Das geht aber nur, wenn wir vorher einen politischen Konsens erzielt haben“, sagte Oppermann. „Das ist hier gerade nicht der Fall.“ Das Thema sei sehr wichtig für Bürger und Wirtschaft, und die Fehlergefahr sei groß. „Am Ende müssen dafür die Stromkunden zahlen“, warnte der SPD-Politiker. „Ich will Gründlichkeit und Qualität und nicht nur Schnelligkeit.“

Biblis-Ausstieg beschert RWE Zusatzgewinne

Eine Abschaltung der Atomreaktoren in Biblis könnte sich angeblich mittelfristig sogar positiv auf das Ergebnis des Energiekonzerns RWE auswirken. Das berichtet das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ am Samstag vorab unter Berufung auf bislang unbekannte interne Berechnungen des Konzerns.

Eine Stilllegung der Meiler, heiße es in einem vergangenen Sommer erstellten Ausstiegsszenario, würde die Strommenge verknappen und den Strompreis ansteigen lassen. Davon würden die nur teilweise ausgelasteten Kohlekraftwerke des Konzerns profitieren.

Die Zusatzgewinne dort könnten laut RWE-Szenario die Ausfälle in Biblis mittelfristig deutlich überkompensieren, zumal der Bund durch die Brennelementesteuer Teile des Atomgewinns abschöpfe. Kurzfristig, heiße es bei RWE, seien durch die Stilllegung der Meiler allerdings Verluste in dreistelliger Millionenhöhe zu verkraften.

Das Szenario wurde laut Magazin auch dem Aufsichtsrat zugeleitet. Die Kontrolleure wollen RWE-Vorstandschef Jürgen Großmann auf einer Sitzung am Dienstag zu seinen Plänen befragen. Am Mittwoch ist die RWE-Hauptversammlung. Ein RWE-Sprecher konnte auf dapd-Anfrage kurzfristig zu dem Bericht keine Stellungnahme abgeben.

Grüne warnen vor Panikdebatte über Strompreise bei Atomausstieg

In der Debatte über den Ausstieg aus der Atomenergie haben die Grünen vor Panikmache bei der Strompreis-Entwicklung gewarnt. Die „hysterische Debatte“ müsse dringend mit konkreten Zahlen versachlicht werden, forderte die stellvertretende Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Bärbel Höhn, in der „Rheinpfalz am Sonntag“. Es gebe keine ernsthafte Studie über Preissprünge bei einem schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie, wie sie von Atomkraftbefürwortern aus Union, FDP und SPD an die Wand gemalt würden. Offenbar werde versucht, eine Verschiebung des Atomausstiegs vorzubereiten, sagte Höhn.

Die Grünen-Politikerin verwies auf eine Untersuchung der Bundesregierung von 2010, die bei einem schrittweisen Atom-Ausstieg von einer Erhöhung von weniger als 0,5 Cent pro Kilowattstunde in den nächsten Jahrzehnten ausgehe. Dieser Betrag lasse sich leicht ausgleichen, „wenn endlich die monopolartige Stellung der Energieunternehmen RWE und Eon aufgebrochen wird“, sagte Höhn der Zeitung. Die Konzerne müssten bei der Preisbildung entmachtet werden.

Experten von Union und FDP warnten indes erneut vor milliardenteuren Zusatzbelastungen durch einen raschen Atom-Ausstieg. Nach „groben“ Schätzungen der Koalitionsexperten beliefen sich die Zusatzbelastungen allein bis 2015 auf rund 16 Milliarden Euro, berichtete die „Bild“-Zeitung am Samstag. Das wären durchschnittlich vier Milliarden Euro pro Jahr. Der Betrag ergebe sich unter anderem aus stärkerer staatlicher Förderung von Windparks und Gebäudesanierungen sowie einem beschleunigten Netzausbau. Hinzu kämen Einnahmeverluste bei der Kernbrennstoffsteuer. Unklar sei, wie die Kosten auf Bürger, Wirtschaft und Bundeshaushalt verteilt werden sollen. (afp/dapd/rtr)