Essen-Altendorf. Die Tagespflege in Altendorf ermöglicht es Pflegebedürftigen, im häuslichen Umfeld zu bleiben. Warum dennoch viele das Angebot nicht kennen.
Ein normaler Montagnachmittag bei der Tagespflege am See in Essen-Altendorf: Gemeinsam sitzen 15 pflegebedürftige Menschen zusammen und spielen „Bingo“. Jeder hat einen Zettel vor sich liegen und hofft auf eine gute Partie. Zwischendurch wird das Spiel mit Fragen gespickt: „In welchem Alter ist man in Deutschland volljährig?“ Die Antworten werden untereinander diskutiert, am Ende einigt sich die Gruppe auf 18.
Auch Renate Riehl spielt hoch konzentriert um den Gewinn. Die 83-Jährige geht seit zehn Jahren an vier Tagen in der Woche in die Tagespflege der Familien- und Krankenpflege e.V.: „Nachdem mein Mann gestorben war, wollte meine Tochter, dass ich wieder unter Leute komme und aus der Trauer herausfinde. Das hat durch die Tagespflege wunderbar geklappt.“ Ihre Tochter werde enorm entlastet, es seien viele Freundschaften entstanden und es sei immer was los, erzählt die Rentnerin.
Zum Team der Essener Tagespflege gehört auch ein Hund
Ob gemeinsame Spaziergänge um den Niederfeldsee, Rikschafahrten, Kegeln, Gedächtnistraining, Sitzgymnastik oder „Mensch ärgere Dich nicht“ im XXL-Format: „Gemeinsam sind wir sehr oft unterwegs und erkunden die Umgebung. Wir sitzen nicht nur herum und warten darauf, dass der Tag vorbeigeht“, sagt Renate Riehl.
Neben sieben Festangestellten, die sich um die Pflegebedürftigen kümmern, gehört auch Labrador Paul zum Personal. Er ist fester Bestandteil der Tagespflege und sorgt für gute Laune bei den Gästen. Die Räumlichkeiten der Tagespflege an der Uferpromenade 1 wirken wohnlich: Ein Wohnzimmer für Gespräche in kleineren Gruppen, ein Gemeinschaftsraum mit großen Tischen und Sesseln, ein Ruheraum mit Betten für einen Mittagschlaf.
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Tagespflege in Essen-Altendorf „ist für viele Menschen ein zweites Zuhause“
„Die Tagespflege ist für viele Menschen ein zweites Zuhause“, sagt Pflegedienstleiterin Britta Hartel und erklärt weiter: „Wir ermöglichen pflegebedürftigen Menschen, auch mit hohem Pflegegrad in der häuslichen Umgebung zu verbleiben und bieten ein soziales Umfeld sowie eine feste Tagesstruktur.“
Dabei verstehe sich die Tagespflege oftmals als Ergänzung zur ambulanten Pflege und sei für die pflegenden Angehörigen eine große Entlastung. „Bei uns geht es nicht darum, die Menschen zu verwahren, sondern den Tag aktiv mit ihnen zu gestalten“, so Hartel.
Tagespflege in Essen: „Viele Menschen wissen von dem Angebot gar nichts“
Dirk Brieskorn, Geschäftsführer des Vereins Familien- und Krankenpflege, sieht in der Tagespflege noch viel Potential, welches aufgrund von Barrieren an verschiedensten Stellen nicht ausgeschöpft werde: „Viele Menschen wissen von dem Angebot gar nichts. Oftmals wird in einer Notsituation schnell eine Lösung gesucht, die dann nur das Heim zu sein scheint. Auch in Krankenhäusern wird oft eine Betreuung im Pflegeheim empfohlen.“
Doch genau an dieser Stelle gebe es einen Systemfehler, so Brieskorn: „Es müsste mehr moderiert werden, die Situation jedes Einzelnen müsste genauer betrachtet und alle Möglichkeiten in Erwägung gezogen werden. Es könnten viele Menschen in ihrem gewohnten häuslichen Umfeld bleiben und den Umzug in ein Heim vermeiden, wenn alle besser informiert wären und das Angebot der Tagespflege nutzen würden.“
1400 Essenerinnen und Essener nutzen das Angebot der Tagespflege
Laut aktueller Datenerhebung der Pflegeplanung der Stadt Essen sind rund 36.000 Essenerinnen und Essener pflegebedürftig. 7200 Personen werden in Altenheimen vollstationär versorgt, etwa 1400 nutzen das Angebot der 29 Tagespflegen in Essen. Zahlen, die Brieskorn mit Ernüchterung betrachtet: „Das Angebot der Tagespflege ist nicht weit genug verbreitet und müsste sich mehr etablieren.“
Neben der Tatsache, dass das Tagespflegebudget neben den anderen Pflegebudgets stehe und keine Einschränkungen beim Pflegegeld verursache, habe die Tagespflege auch für die Angehörigen einen entscheidenden Vorteil: „Viele Angehörige sind an ihrem persönlichen Limit. Ihr gesamter Alltag dreht sich nur noch um das zu pflegende Familienmitglied. Diese Situation ist eine Belastung, die für alle Beteiligten nicht zu unterschätzen ist.“
Corona-Pandemie war schwierige Zeit für die Tagespflege in Essen
Ein weiteres Problem sei, dass professionelle Hilfe immer später in Anspruch genommen werde, auch weil Pflegebedürftigkeit ein Tabuthema sei, so Pflegedienstleiterin Britta Hartel: „Viele Angehörige schämen sich auch, Hilfe in Anspruch zu nehmen oder denken, dass sie nicht mehr mit in die Pflege einbezogen werden. Uns ist Angehörigenarbeit enorm wichtig. Unser Motto ist: ,Gemeinsame Sorge, geteilte Verantwortung‘.“
Den größten Riss in das Konzept der Tagespflege habe im Übrigen die Corona-Pandemie gebracht, so Hartel: „Für insgesamt drei Monate durften wir nicht öffnen, es gab zwar telefonischen Kontakt, jedoch sind viele ältere Menschen durch die Angst, sich anzustecken, in die Einsamkeit abgerutscht.“ Brieskorn fügt hinzu: „Viele ältere Menschen haben es immer noch nicht aus der Einsamkeit geschafft, dabei sind gerade pflegebedürftige Menschen sehr sensibel und wir können in der Tagespflege auch die emotionalen Antennen bedienen.“
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