Essen-Rüttenscheid. Die Familien- und Krankenpflege feiert 60. Geburtstag. Wie Essens ältester Pflegedienst Fachkräften die Begeisterung für den Beruf erhalten will.
Als sich der der gemeinnützige Verein Familien- und Krankenpflege e.V. (FuK) 1963 gründete, gab es in Essen keinen anderen Dienstleister dieser Art. Wahrscheinlich, sagt Geschäftsführer Dirk Brieskorn (55), ist die FuK sogar einer der ältesten ambulanten Pflegedienste in NRW. Jetzt feiert sie ihren 60. Geburtstag, genauso lange hat sie schon ihren Hauptsitz in der Moorenstraße in Rüttenscheid. In all den Jahren gab es nur drei Geschäftsführer. Brieskorn und seine Vorgängerin Ingeborg Schrader (84) blicken zurück auf Jahrzehnte, in denen sich einiges geändert hat.
„In den 60er Jahren waren Pflegedienste noch kein Thema. Die Frauen haben sich ja gekümmert“, sagt Brieskorn. Insofern habe der erste Geschäftsführer Hanns Gölitz, der den Verein mit sechs Mitstreitern gründete und noch bis zu seinem 78. Lebensjahr leitete, schon damals echte Weitsicht gezeigt: „Er erkannte, dass es hier im urbanen Raum eben doch viele Menschen gab, um die sich nicht die Familie kümmern konnte.“ Die Strukturen seien damals schon anders gewesen als auf dem Land.
Essens ältester Pflegedienst machte früher Reisen mit Patienten
Und dann gab es ja noch diesen Fall, schildert Ingeborg Schrader, die von 1992 bis 2004 Geschäftsführerin war: „Die Familien hatten viel mehr Kinder als heute, häufig vier oder fünf. Der Vater arbeitete den ganzen Tag, die Mutter kümmerte sich um alles. Wenn sie krank wurde, war man aufgeschmissen.“ Also brauchte es eine Familienpflegerin, die einsprang.
In all den Jahren haben sich die Anforderungen der ambulanten Pflege stark gewandelt. Es sei ähnlich wie vielerorts in Heimen, erklärt Brieskorn: „Die Patienten sind heute in der Regel älter und stärker pflegebedürftig als früher.“ Das war einer der Faktoren, der eine liebgewonnene Tradition des Pflegedienstes zum Erliegen brachte. „Früher haben wir mit alleinstehenden Senioren, die wir versorgten, Reisen gemacht“, erinnert sich Schrader.
Gründer von Essener Pflegedienst fühlten sich Gedanken der Anthroposophie verbunden
Eine Patientin hatte erzählt, dass sie noch nie das Mittelmeer gesehen hatte. Also ging es mit einer ganzen Gruppe erst nach Mallorca, in den Folgejahren dann beispielsweise nach Italien oder auf das spanische Festland. Das gehe heutzutage nicht mehr, bedauert Schrader, die mit 84 Jahren immer noch im ehrenamtlichen Vorstand der FuK sitzt. Die Altersstruktur lasse es nicht mehr zu, außerdem sei alles teurer geworden, sodass man beispielsweise nicht mehr jedem ein Einzelzimmer ermöglichen könne.
Mit den Leistungsmodulen der 1995 eingeführten Pflegeversicherung bekam die ambulante Pflege ein engeres Korsett. Waschen, Toilettengang, Hilfe beim Essen, all solche Leistungen sind kategorisiert, ihre Dauer bemessen. „Darunter leidet die Freiheit des Patienten. Vielleicht hat er an einem Tag mal keine Lust zu duschen und würde lieber eine andere Leistung in Anspruch nehmen“, sagt Schrader.
Brieskorn ergänzt: „Unsere Gründer hatten einen anthroposophischen Hintergrund und wollten den Patienten ganzheitlich in den Blick nehmen, eine Beziehung aufbauen.“ Mittlerweile sei die Pflegebranche sehr „verrichtungsbezogen“, auf die Erledigung von Leistungen ausgerichtet. Dabei sei es doch gerade die Beziehungsarbeit, die Pflegerinnen und Pflegern Spaß mache.
Essener Pflegefachmann: Fachkräftemangel ist größte Herausforderung
Den Fachkräftemangel bezeichnet Brieskorn als größte Herausforderung derzeit. Es sei schwierig, junge Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern und ebenso schwierig, die ausgebildeten Fachkräfte über Jahre oder gar Jahrzehnte im Beruf zu halten. Aktuell hat die Familien- und Krankenpflege 120 Angestellte. Um neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, bildet der Pflegedienst unter anderem Menschen aus dem Kosovo aus.
Damit ausgebildetes Pflegepersonal nicht irgendwann die Branche wechsele, gelte es, die Begeisterung, die Empathie und den Idealismus zu erhalten, ist Brieskorn überzeugt. Vielen würden diese Eigenschaft schon in der Ausbildung aberzogen, stattdessen trimme man sie auf Effizienz.
„Wir wollen mit den Fachkräften gemeinsam den Patienten in den Blick nehmen“, sagt Brieskorn. „Merken sie zum Beispiel, dass ein Patient sehr einsam ist, ermutigen wir sie, mit ihm darüber zu sprechen, was er früher gerne gemacht hat. Dann setzen wir uns in der Teamrunde zusammen und überlegen, was es in der Umgebung für Angebote gibt.“ Diese Zeit hätten sie, weil die FuK als gemeinnütziger Verein im Gegensatz zu gewerblichen Anbietern keinen Gewinn machen muss.
„Wir wollten niemals sagen: Das System ist halt so, man muss sich anpassen“, betont Brieskorn. Stattdessen wolle man weiter den Finger in die Wunde legen und aufzeigen, an welchen Stellen es Verbesserungsbedarf gibt. Für Schrader ist die Familien- und Krankenpflege über die Jahre so etwas wie eine zweite Familie geworden. Über ihre Arbeit sagt sie: „Es ist eine sehr erfüllende, sinnvolle Tätigkeit.“