Essen. Im Auto knapp überlebt, auf dem Balkon Angst gehabt, auf der Straße Umwege gefahren: Drei Redakteure haben ihre Erinnerungen an Ela notiert.

„Ich schaute irritiert zum Himmel“: Redakteurin Elli Schulz wundert sich, dass ihre Tomatenpflanzen das Sturmtief Ela 2014 überlebt haben

Hier erinnert sich Redakteurin Elisabeth Schulz: Am Pfingstmontag 2014 hatte ich Feiertagsdienst und mittags einen Außentermin am Niederfeldsee in Altendorf. Es war ein heißer Tag, aber irgendetwas war anders als sonst. Während die Besucher des Sees die Wärme genossen und auf der Wiese picknickten, schaute ich mehrfach irritiert gen Himmel, wo sich ein seltsamer, gelblicher Schleier über die Sonne legte. Das gibt noch ein Gewitter, dachte ich. In der Redaktion schrieb ich meinen Text und machte mich auf den Heimweg, um den Rest des Feiertags auf dem Balkon zu verbringen. Es sollte anders kommen.

„Die Bäume wankten, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte“: Redakteurin Elisabeth Schulz.
„Die Bäume wankten, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte“: Redakteurin Elisabeth Schulz. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Plötzlich ging es los: Draußen verdunkelte es sich komplett, massiver Regen setzte ein, auch drinnen war es jetzt dunkel: Der Strom war ausgefallen. Aber das Schlimmste war der Wind, in dem die alten, großen Straßenbäume vor meinem Fenster hin- und her wankten, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte.

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Auf der Straße fuhr kein Auto mehr und gegenüber konnte ich die Nachbarn ebenfalls am Fenster stehen sehen, die sich fasziniert und verängstigt zugleich, das Naturschauspiel ansahen. Wohl alle, mich eingeschlossen, hatten Sorge um ihre Häuser und die an der Straße geparkten Autos. Die Idee, die Tomatenpflanzen neben dem Haus noch retten zu wollen, habe ich schnell aufgegeben – die Gefahr, von niederprasselnden Ästen getroffen zu werden, war zu groß. Eine Kollegin rief auf dem Handy an, wie die Lage bei uns sei und ob man noch in die Redaktion fahren könne, um über das Unwetter für die Zeitung am nächsten Tag zu schreiben. Doch bei allem Pflichtbewusstsein und journalistischem Ehrgeiz: Ich wäre aus meinem Stadtteil gar nicht mehr weggekommen.

So plötzlich, wie er gekommen war, hörte der Sturm wieder auf. Gefühlt hatte es eine Ewigkeit gedauert, in Wirklichkeit hatte Ela in kurzer Zeit die halbe Stadt ins Chaos gestürzt. Die Inspektion der Schäden, zu der sich die geschockten Nachbarn wenige Minuten nach dem Sturm vor den Häusern trafen, ließ uns erstmal aufatmen: Außer herunter gefallenen Dachziegeln, abgebrochenen Ästen, die glücklicherweise keines der Autos im näheren Umfeld mit voller Wucht getroffen hatten, und einer durch verstopfte Gullys überschwemmten Straße, war Ela hier noch gnädig gewesen. Sogar die Tomatenpflanzen hatten überlebt.

Ela 2014 - „Eine Urgewalt, die unvergesslich bleibt“: Redaktionsleiter Frank Stenglein fuhr über Umwege ins Büro

Hier erinnert sich Redaktionsleiter Frank Stenglein: Es lag schon früh was in der Luft an jenem Pfingstmontag, so will es mir jedenfalls in der Erinnerung scheinen. Ein brütend heißer, wenn auch zunächst sehr schöner 9. Juni war das, am Nachmittag zog es mich auf den traditionellen Flohmarkt auf Zeche Carl. Als ich gegen Abend zurück bin im Rüttenscheider Süden, beginnt sich das Wetter rasch zu ändern. Die Atmosphäre wird drückend, die Farben sehen giftig aus wegen des gelben Dunstes und des merkwürdig fahlen Sonnenlichts. Dann ziehen dichte dunkle Wolken auf. Ein gespenstisches Bild, die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm.

„Werden die meterdicken Kastanien halten oder gleich das Haus zerstören?“ Redaktionsleiter Frank Stenglein.
„Werden die meterdicken Kastanien halten oder gleich das Haus zerstören?“ Redaktionsleiter Frank Stenglein. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Dann irgendwann bricht der Sturm los, mit einer Urgewalt, die unvergessen bleibt. Die hohen und ziemlich alten Kastanien im Innenhof des Wohnblocks biegen sich knirschend in Richtung der umliegenden Balkone und Fassaden. Ein paar Häuser weiter höre ich eine Nachbarin schreien, die auf ihrem Balkon durch die Kraft des Windes plötzlich Besuch bekommt von den dicken Ästen eines Baumes, die noch Sekunden vorher fünf, sechs Meter entfernt waren. Zweige, Laub, Staub fliegen wild durch die Gegend. Auf der benachbarten Alfredstraße wird es still als die ersten Baumstämme nachgeben und die Fahrbahn blockieren. Für jeden, der noch draußen ist, gerade auch für Autofahrer, kann es jetzt lebensgefährlich werden.

Werden die dicken Kastanienstämme halten oder gleich das Haus zerstören, mindestens stark beschädigen? Einige Minuten ist das alles andere als unwahrscheinlich. Dann beruhigt sich der Sturm, mittlerweile ist es fast dunkel.

Eigentlich ist die Pfingstdienstag-Ausgabe der Zeitung längst fertig, aber nach dem Augenschein und den ersten Anrufen von Freunden ist klar: Essen muss es sehr schwer erwischt haben. Homeoffice war noch unmöglich, ich musste wohl oder übel in die Redaktion, wollte ich noch aktuell berichten. Und das wollte ich unbedingt.

An diesem Abend war es gut, ein robustes Auto zu haben, das vor mittelgroßen, auf der Straße herumliegenden Ästen nicht gleich kapituliert. Über Nebenstraßen bahne ich mir den Weg zur Redaktion, die damals noch an der Sachsenstraße beheimatet ist, auf halbem Weg lade ich noch eine Kollegin ein. Auf der engen Rüttenscheider Straße, die eher kleine und biegsame Bäume besitzt, geht es einigermaßen. Doch in Höhe Steag-Zentrale am Ende der Rü ist kaum noch ein Durchkommen.

Die Huyssenallee ist übersät mit Baumleichen, die auf die Straße gekracht sind, viele geparkte Autos hat es schwer erwischt. Hier geht - wie auf so vielen anderen Straßen auch - nichts mehr. Rettungssirenen hört man, aber die Feuerwehr kommt eingedenk so vieler Notrufe von Eingeschlossenen und Verängstigten kaum hinterher, und im Übrigen muss sie sich vielfach den Weg erst einmal freisägen. Später wird sich herausstellen, dass kein Essener ernsthaft verletzt wurde. Im Nachhinein erscheint das wie ein Wunder.

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In Slalomfahrt geht es schließlich noch über die Friedrichstraße, dann bin ich endlich am Arbeitsplatz. Natürlich werfen wir die erste Seite der Zeitung komplett um. Die Dimension der Tragödie ist zwar noch nicht ansatzweise klar, aber das, was wir wissen und was uns Polizei und Feuerwehr mitteilen können, ist schon dramatisch genug. Irgendwie komme ich spät in der Nacht auch wieder nach Hause. Auf welchen Wegen genau weiß ich aber nicht mehr.

Duckte sich in den Fußraum ihres Autos, um zu überleben: Martina Schürmann saß während Ela 2014 in Essen auf der Frankenstraße fest

Hier erinnert sich Redakteurin Martina Schürmann: An jenem Pfingstmontag biege ich von der Autobahn Richtung Haarzopf ab und habe den Eindruck, dass es nun Richtung Weltuntergang geht. Schon auf der Meisenburgstraße geben herumfliegende Äste einen Vorgeschmack auf das bevorstehende Inferno. Als sich der Himmel über Essen schließlich in ein tintenfasschwarzes Dunkel getaucht hat, wird auch die Frankenstraße zur gefährlichen Falle für Autofahrer wie mich.

„Nach endlosen, sturmgepeitschen Minuten erstes Aufatmen“: Martina Schürmann während des Pfingststurms 2014.
„Nach endlosen, sturmgepeitschen Minuten erstes Aufatmen“: Martina Schürmann während des Pfingststurms 2014. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Eigentlich sind es nur noch wenige hundert Meter bis zur rettenden Garage! Doch da kracht der erste Baum auch schon mitten auf die Fahrbahn und verhindert die Weiterfahrt. Hektisches Wenden und der Gedanke, dass man jetzt besser flott von der Straße kommt, da rummst es zum zweiten Mal, und auch der Rückweg ist endgültig versperrt. Während schwere Äste aufs Autodach krachen, bleibt als einziger Ausweg nur noch die nächstgelegene Hauseinfahrt und das bange Wegducken in den Fußraum des Beifahrersitzes. In der Hoffnung, dass ein umstürzender Baum nicht die Karosserie zerstört.

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Nach endlosen, sturmgepeitschten Minuten erstes Aufatmen und ein vorsichtiger Blickkontakt zum ebenfalls notgestrandeten Autonachbarn, der es mir gleich getan hat und vom Fußraum der Rückbank zurückkrabbelt. Eigentlich ist der Münchner zum 50-jährigen Klassentreffen nach Essen gekommen, aber an Weiterfahren ist momentan nicht zu denken. Entsetzte Anwohner fotografieren ihre reihenweise demolierten Autos, bevor es gemeinsam ans Aufräumen geht.

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