Einen solchen Sturm hatte in Essen noch niemand erlebt
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Essen. . Am Abend des Pfingstmontag, 9. Juni 2014, fegt ein beispielloser Sturm über das Stadtgebiet. Seitdem ist in Essen vieles nicht mehr, wie es vorher war. Eine Chronik.
Am Abend des Pfingstmontag, 9. Juni 2014, fegt ein beispielloser Sturm über das Stadtgebiet. Der Sturm „Ela“ setzt Straßen unter Wasser, beschädigt Gebäude und reißt tausende Bäume weg. Seitdem ist vieles nicht mehr, wie es vorher war. Eine Chronik.
Montag, 9. Juni, 21 Uhr. Auf dem Pfingst-Open-Air-Festival in Werden tritt der Berliner Rapper Mc Fitti auf. Nach drei Liedern ist Schluss: Schwere Gewitter ziehen auf, starker Regen, „der auf der Haut weh tut“, so ein Besucher. Das Gelände wird geräumt, an einigen Stellen bricht Panik aus, am Ende werden 20 Verletzte gezählt.
22.30 Uhr: „Hier herrscht Chaos“, ruft Feuerwehr-Sprecher Mike Filzen ins Telefon. Zu diesem Zeitpunkt sind 350 Einsätze registriert. In Bredeney werden Windgeschwindigkeiten von 120 km/h gezählt. Autofahrer werden von herabfallenden Bäumen ausgebremst, machen Not-Halt in Einfahrten. Nicht wenige Bürger bangen an diesem Abend um ihr Leben.
Dienstag, 10. Juni: Stadtweites Entsetzen beim ersten Sichten der Schäden. Die Straßen sind dicht, Pendler brauchen Stunden selbst auf kurzen Wegen zur Arbeit. Hunderte Autos sind Schrott, wurden von Bäumen getroffen. Dächer wurden beschädigt, überall sind Bäume mit ihren kompletten Wurzeln ausgehoben worden. Allein im Grugapark sind rund 100 Bäume umgekippt, weitere 200 sind entwurzelt, müssen später gefällt werden. Das Regionalforstamt verbietet, die Wälder zu betreten. Die Stadt entscheidet: Schulen und Kindergärten bleiben dicht. Die Evag beklagt: Alle Oberleitungen sind zerstört. Entsprechend fahren nur Busse und U-Bahnen nur unterirdisch.
Mittwoch, 11. Juni: Die Feuerwehr bekommt Unterstützung aus Köln, Euskirchen und Krefeld. Am Nachmittag heißt es: 1400 Einsätze erledigt.
„Essen packt an“, Feuerwehr zählt 3100 Einsätze
Donnerstag, 12. Juni: Grundschulen und viele städtische Kitas bleiben den dritten Tag in Folge geschlossen. Die Facebook-Gruppe „Essen packt an“, einen Tag nach dem Sturm gegründet, erlebt einen Rausch. 4000 Internet-Nutzer erklären sich zu Mitgliedern, organisieren Selbsthilfe. Erste Schätzungen des Regionalforstamtes ergeben: Rund 15 000 Kubikmeter Holz müssen aus den städtischen Wäldern entnommen werden. Dachdecker und Landschaftsgärtner können sich vor Aufträgen nicht mehr retten.
Essen im Sturm, Essen nach Ela
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Freitag, 20. Juni: Erstmals wird eine offizielle Schadensbilanz beziffert: „Ela“ kostet in Essen 63,3 Millionen Euro. Das Land zahlt 5,7 Millionen Euro Soforthilfe. Das Betreten der Wälder bleibt verboten. Insgesamt musste die Feuerwehr 3100 Einsätze abarbeiten. Klar ist auch, dass die Bundeswehr nicht in Essen hilft. Das Bundesverteidigungsministerium in Berlin erteilt der entsprechenden Anfrage der Stadt eine Absage.
Mittwoch, 25. Juni: Diese Zeitung ruft die Aktion „WAZ pflanzt Bäume“ ins Leben. Viele Monate lang wird Geld gesammelt. Am Ende kommen revierweit mehr als 200 000 Euro zusammen, Essen erhält 45 000 Euro für Neupflanzungen.
„Es droht Lebensgefahr“ – Wälder geschlossen
Dienstag, 1. Juli: Die Hauptstraßen in Essen sind längst geräumt, Schulen und Kitas haben wieder geöffnet, viele Spielplätze ebenfalls: Jetzt fängt die Stadt damit an, alle 60 000 Straßenbäume zu kontrollieren. Nur akute Schäden können beseitigt werden. Von angeknacksten Baumkronen, deren Schäden man mit bloßem Auge kaum erkennen kann, geht große Gefahr aus, warnen Grün-Experten. Um die Bäume zu stutzen, richtet die Stadt zeitweise Halteverbote ein. Viele Autofahrer bekommen das nicht mit, es gibt Knöllchen und entsprechenden Ärger.
Montag, 7. Juli: Obwohl immer mehr Hundebesitzer ihren Unmut äußern: Die Wälder bleiben geschlossen. „Es droht Lebensgefahr“, lautet die Begründung. Der Grugapark öffnet erstmals seit „Ela“ wieder seine Pforten. Er ist jetzt um 300 Bäume ärmer. Viele Bürger empfinden die Schäden als weniger gravierend als befürchtet. Erste Waldwege öffnen erst im Dezember wieder.
Mittwoch, 23. Juli: Ein Drittel der Schulhöfe und Kita-Außengelände ist noch immer gesperrt aus Sicherheitsgründen. Bei sommerlicher Hitze macht das den Alltag in den Einrichtungen schwer. Von den 408 Spielflächen im Stadtgebiet sind erst 79 wieder geöffnet.
Martinsumzugs-Verordnung empört
Freitag, 25. Juli: Es häufen sich die Absagen öffentlicher Veranstaltungen. Gemeindefeste, Firmenläufe, auch das Jubiläums-Fest im Grugabad – einiges fällt flach oder steht lange auf der Kippe. Viele finden die Sicherheitsmaßnahmen der Stadt übertrieben. Ordnungsdezernent Christian Kromberg wehrt sich: „Meine Entscheidungen müssen gerichtsfest sein“, sagt er.
29. August: Der Sommer neigt sich seinem Ende zu, vielen Bürgern fällt auf: Dort, wo die Stadt Parks, Plätze und Wege freiräumte, wo sie Straßen und Schulhöfe wieder verkehrssicher machte – da konnte sie sich nicht um die übliche Grünpflege kümmern. Entsprechend wuchert es am Wegesrand.
1. Oktober: Die Stadt kündigt an: Martinsumzüge wird es nur bis Windstärke sechs geben, alles andere ist zu gefährlich. Diese Verordnung, zunächst grundsätzlich ausgeweitet auf alle öffentlichen Veranstaltungen, sorgt im Frühjahr 2015 für viel Empörung – und wird teilweise zurückgenommen.
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