Essen-Werden. Die geflüchtete Ukrainerin Marija Savchuck lebt seit zwei Jahren in Essen. Sie erzählt, wie sie ihre Zukunft in der neuen Heimat sieht.

Als der Krieg kam, die Raketenangriffe der Russen auf Saporischschja, die sechstgrößte Stadt der Ukraine, immer heftiger wurden, hat Marija Savchuk wie tausende anderer Menschen ihre Heimat verlassen. Gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter ging es nach Deutschland. Das ist zwei Jahre her.

Bereut hat die heute 38-Jährige diesen Schritt nicht. Obwohl es für die Geflüchtete nicht immer leicht ist, „hoffe ich auf eine gute Zukunft für meine Tochter und mich in der neuen Heimat – und das soll Essen sein“.

Das Ukraine-Café ist jeden Montag ein Treffpunkt für die Frauen

Wir treffen Marija Savchuk in einem Café in Werden. In diesem Stadtteil fühlt sie sich wohl, besucht regelmäßig das vom Verein „Werden hilft“ organisierte Ukraine-Café im Jugend- und Bürgerzentrum. Ein Treffpunkt, zu dem einmal wöchentlich 25 bis 30 Frauen kommen. Frauen, die nicht nur ihre Heimat verloren haben, sondern oft auch Angehörige oder um diese wegen der andauernden Kriegshandlungen weiter bangen müssen. „Freude und Tränen liegen nah beieinander, wenn wir zusammen sitzen und reden“, sagt Marija Savchuk.

Im Jugend- und Bürgerzentrum Werden findet alle 14 Tage eine Vor-Ort-Beratung des Jobcenters Essen statt. Der Auftakt war im März.
Im Jugend- und Bürgerzentrum Werden findet alle 14 Tage eine Vor-Ort-Beratung des Jobcenters Essen statt. Der Auftakt war im März. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Sie ist damals zielgerichtet ausgereist, über einen Freund ihrer Mutter hatte sie nach einer ersten Station in Köln Kontakte an die Ruhr knüpfen können und in Essen sogar eine Unterkunft bekommen. Vor eineinhalb Jahren kam der Umzug in eine eigene Wohnung. Das sei eine glückliche Fügung gewesen, sagt sie. „Ich habe gute Nachbarn, alles ist in Ordnung.“

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Marija Savchuk ist alleinerziehend, ihre Tochter sieben Jahre alt. Früher hat sie als Personalmanagerin in verschiedenen Unternehmen gearbeitet, in ihrer Heimatstadt bis zuletzt einen Restaurant- und Barbetrieb geführt. „In der Ukraine ist es üblich, dass die Lokale tagsüber ein Restaurant sind und abends eine Karaoke-Bar“, klärt Lana Boden über die Gepflogenheiten des Landes auf.

Die Ukrainerin hat erfolgreich den B2-Deutschkurs absolviert

Die 42-Jährige kam vor 25 Jahren aus Kasachstan nach Essen, engagiert sich seit längerem ehrenamtlich für den Verein „Werden hilft“. Als vor zwei Jahren die ukrainischen Flüchtlinge kamen, waren Russisch-Kenntnisse gefragt. Lana Boden ist seitdem gern zur Stelle, wenn es mit der Verständigung hapert. Für Marija ist sie in den vergangenen Monaten quasi zu einer Mentorin geworden.

Freude und Tränen liegen nah beieinander, wenn wir zusammen sitzen und reden.
Marija Savchuk, Geflüchtete

Die Ukrainerin konnte mit ihrer Gastronomie-Erfahrung direkt punkten: Wer regelmäßig das Bistro „Dolcinella“ besucht, hat Marija Savchuk dort vielleicht schon als Servicekraft gesehen. Inzwischen hat sie den B2-Deutschkurs bestanden, mit dem sie auf dem hiesigen Arbeitsmarkt versuchen möchte, an ihre frühere berufliche Tätigkeit im Personalwesen anzuknüpfen.

Mit der Anerkennung der Abschlüsse aus dem Ausland dauere es allerdings schon ziemlich lange, findet Lana Boden. Daher freut sie sich, dass ihre Mentee jüngst bei der Auftaktveranstaltung der Quartiersberatung der Jobcenter Süd I und Süd II im Werdener Ukraine-Café auf sich aufmerksam machen konnte. „Ich habe bei der Übersetzung geholfen, wenn es Unklarheiten gab“, berichtet die 38-Jährige stolz. Nun habe das Jobcenter selbst Interesse gezeigt, ihr eine Tätigkeit als Übersetzerin zu offerieren.

Veranstaltung des Jobcenters mit dem Jugendamt und der Diakonie

Für Tanja Herden, Bereichsleiterin und Migrationsbeauftragte im Jobcenter Essen, wäre das ein sichtbarer erster Erfolg zum Projektstart. Die Veranstaltung, die in Kooperation mit dem Jugendamt der Stadt Essen und der Diakonie erstmals im März durchgeführt wurde, soll vor allem die Hemmschwellen gegenüber den deutschen Behörden für die ukrainischen Menschen senken. „Wir wollen mehr auf die Menschen zugehen.“

Es gibt viele Hemmschwellen gegenüber Behörden. Deshalb wollen wir mit der Quartiersberatung mehr auf die Menschen zugehen.
Tanja Herden, Bereichsleiterin Jobcenter Essen

Mitarbeitende aus der Arbeitsvermittlung und der Leistungsgewährung des Essener Jobcenters waren unter anderen im Jugendzentrum, um über Jobvermittlung, Deutschkurse, das Bildungs- und Teilhabepaket und zum Thema Gesundheit zu informieren. Auf einer Stellwand waren Stellenangebote angeheftet. Broschüren und Infomaterial lagen aus.

Jobcenter im JuBB

Das zusätzliche Angebot des Jobcenters Essen im Ukraine-Café gibt es regelmäßig im Zwei-Wochen-Rhythmus: montags in der Zeit von 10 bis 12 Uhr im Jugend- und Bürgerzentrum Werden (JuBB), Wesselswerth 10. Der nächste Termin ist der 15. April.

Das Jobcenter erhofft sich durch die persönliche Beratung vor Ort einen besseren Zugang zu den Menschen, um mögliche Hemmnisse bei Behördengängen abzubauen. Die erste Veranstaltung war sehr gut besucht. Die Besucherinnen und Besucher waren insbesondere an Stellenangeboten, Praktikumsstellen und Weiterbildungsmöglichkeiten interessiert.

„Ziel ist, dass die Mitarbeitenden des Jobcenters künftig regelmäßig vor Ort beraten“, erklärt Tanja Herden. Diese sollen beispielsweise rund um den Leistungsanspruch, Sozialleistungen allgemein sowie in Arbeitsmarktfragen informieren. Unterstützung bei der Stellensuche und Bewerbungen soll es geben sowie Beratung bei Fragen zu Qualifizierungen, Sprachkursen und Praktikumsstellen. Außerdem können sich die ukrainischen Geflüchteten bei Fragen zu Kosten der Unterkunft und Erstausstattung, bei Schwangerschaft und Mehrbedarf und bei Heizkostenabrechnungen an die Berater vor Ort wenden.

Das Ukraine-Café findet jeden Montag im JuBB Werden statt. Es wird vom Verein „Werden hilft“ organisiert. Im März waren Vertreter des Jobcenters, des Jugendamtes und der Diakonie vor Ort.
Das Ukraine-Café findet jeden Montag im JuBB Werden statt. Es wird vom Verein „Werden hilft“ organisiert. Im März waren Vertreter des Jobcenters, des Jugendamtes und der Diakonie vor Ort. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Viele Geflüchtete aus der Ukraine müssen Kriegstraumata verarbeiten

Für Marija Savchuck hat das Ganze noch eine andere Dimension: „Viele Frauen müssen Kriegstraumata verarbeiten, brauchen sogar psychologische Hilfe. Da sie nicht so gut deutsch können, trauen sie sich aber nicht, etwas zu sagen.“ Sie könne sich vorstellen, auch in solchen Fällen als Übersetzungskraft künftig vermittelnd tätig zu sein. „Als Personalmanagerin habe ich da doch gute Voraussetzungen.“

Insgesamt sehe sie positiv in die Zukunft: „Zurückgehen möchte ich nicht. Es wäre sowieso nicht mehr die gleiche Lebenssituation. Meine neue Heimat ist das Ruhrgebiet.“

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