Essen. Christina Zintl und Selen Kara erreichen mit breit gefächertem Schauspiel-Programm ein diverses Publikum und können Abonnenten halten.

Sie sehen zufrieden und etwas geschafft aus. Zu Beginn der Spielzeit haben die beiden ersten Frauen in der Intendanz des Schauspiel Essen all ihre Kräfte und Kontakte genutzt und einen wahren Theatermarathon hingelegt. Mit vier Premieren im ersten Monat gaben Christina Zintl und Selen Kara ihren Einstand. „Wir sind mit 200 Prozent gestartet“, sagt Christina Zintl. In größeren Abständen folgten weitere Premieren, kleinere Formate wie Talkreihen, musikalische Abende, Expertengespräche. Bevor die zweite Saison im Mai vorgestellt wird, ziehen sie eine Zwischenbilanz.

Sie sind gut angekommen – im Theater und außerhalb. Christina Zintl, die zuletzt Dramaturgin und Mitglied des Leitungsteams am Staatstheater Darmstadt war, in Rüttenscheid. Selen Kara, die von Bochum aus als Regisseurin gearbeitet hat, in Heisingen. Die eine Intendantin hat auch dank der Kinder schnell Kontakte gefunden. „Genauso herzlich sind wir im Theater aufgenommen worden“, sagt Christina Zintl. „Für mich war es keine große Umstellung, was die Stadt und die Mentalität der Menschen angeht“, meint ihre Kollegin. „Wir sind mit einem großen Programm hoch motiviert angetreten und haben eine super Resonanz von außen erhalten.“

Breit aufgestellter Spielplan sorgt im Schauspiel Essen für Erfolge

Die Idee, den Spielplan breit aufzustellen, hat sich als positiv erwiesen. Es habe eine gewisse Skepsis gegenüber dem weiblichen Führungsteam gegeben, so Selen Kara, die darauf verweist, dass keine Abonnements verloren gegangen sind. Und Christina Zintl betont, dass die Auslastungszahlen seit dem Neustart bei über 80 Prozent lägen, die Diversität des Publikums sich verändert hätte und die breite Masse mitgenommen worden sei. Ein Vertrauensvorschuss hat das unter anderem möglich gemacht.

„Rausch“ ist schnell zum Publikumsrenner geworden. „Doktormutter Faust“, von Fatma Aydemir eigens für Essen geschrieben und zum renommierten Theaterfestival „Radikal jung“ eingeladen, hat höchste Aufmerksamkeit erregt – auch bei der überregionalen Presse. „Der gute Mensch von Sezuan“ konnte laut den Theaterchefinnen Schulkassen, Abonnenten und Fachpublikum anziehen.

Läuft gut: Peter (Torsten Kindermann), Tommy (Mansur Ajang), Martin (Stefan Diekmann) und Nikolaj (Mathias Znidarec) geben sich in der Bühnenfassung nach dem Film „Rausch“ einem Alkohol-Experiment hin.
Läuft gut: Peter (Torsten Kindermann), Tommy (Mansur Ajang), Martin (Stefan Diekmann) und Nikolaj (Mathias Znidarec) geben sich in der Bühnenfassung nach dem Film „Rausch“ einem Alkohol-Experiment hin.

Für die Gesprächsreihe ‚Materien‘ mit der angesagten Autorin Aydemir reisen Menschen sogar extra an. „Einen Tag später gab es ein Weihnachtssingen in ,Bar jeder Kunst‘ im Cafe Central und es ist auch ausverkauft. Das sind komplett unterschiedliche Gäste“, erzählt Selen Kara. Bei der guten Auslastung ist stets die Größe des Veranstaltungsortes zu bedenken. Im Ladenlokal der Performance „Essen, 4300“ sorgen zwei Zuschauende bereits für 100 Prozent.

Essener Stadtdramaturgie sucht Kontakt zu Nicht-Theatergängern

In der Ada gehören die Roboter-Liebesgeschichte „Nessun Dorma“ und die Virtual Reality-Produktion „Die Wand“ zu den Favoriten, bei den Kinderstücken sind es „Die Wörterfabrik“ und „Die rote Zora und ihre Bande“, das 47-mal aufgeführt wurde, sowie die zeitgenössische Dramatik der ukrainischen Schriftstellerin Natalka Vorozhbyt mit der Flüchtlingsthematik in „non-existent“. Bei dieser mehrsprachigen Casa-Produktion hat die neu eingerichtete Stadtdramaturgie mit Katharina Rösch gewirkt und Ukrainerinnen und Ukrainer angesprochen.

„Wir suchen den Kontakt zu Nicht-Theatergängern vor allem über bestehende Netzwerke, unsere Kontakte bei den ,Critical Friends‘ und auch Vereine . Da ist viel Vorarbeit geleistet worden“, erklärt Christina Zintl. Das hat sich beim Fest „Nur für Frauen“, das in Kooperation mit Element 3 veranstaltet wurde, ebenfalls bemerkbar gemacht. 450 standen am Internationalen Frauentag vor der Tür des rosa Theaters, um transkulturell zu feiern. „Nur wenige davon habe ich vorher hier gesehen. Ich habe das Gefühl, dass man punktuell Vertrauen aufbauen kann. Bei ,Rausch‘ werden die jungen Leute im Chor zu Multiplikatoren, bei den ,Digitalgesprächen‘ läuft es über ein Fachinteresse“, berichtet sie.

Zudem gibt es Publikumsgespräche, die gut angenommen werden, und mit den „Critical Friends“ eine Gruppe von rund 20 kritischen Begleitern, die Studierende, Rentnerinnen und Rentner, Lehrkräfte oder Bankangestellte beherbergt. „Wir reden über alles, von den Inszenierungen bis hin zu den Preisen an der Bar, um einen leichteren Zugang zu schaffen“, erläutert Selen Kara. Dazu soll die verstärkte Öffnung des Café Central auch beitragen. Derzeit wird Gastronomie vor und nach den Vorstellungen angeboten. Die Intendantinnen sind mit der Food.Love.Catering GmbH im Gespräch, das Café in der ersten Etage des Grillo-Theaters darüber hinaus zu beleben.

Fehlende Essener Spielstätte bringt Probleme für geplante Produktionen

Es herrscht nicht nur eitel Sonnenschein am Schauspiel Essen. Einige Probleme sind noch nicht gelöst. Der II. Hagen 2 sei in keinem guten Zustand, sagt Selen Kara über das Bürogebäude des Schauspiel Essen. Mit dem Verkauf der Theaterpassage inklusive Casa fehlt ab Sommer eine mittlere Spielstätte für die bereits geplanten Produktionen und das beteiligte Personal. In diesem Punkt lassen sie nicht locker. „Es gibt eine gewisse Erwartungshaltung, wie Frauen in Führungspositionen sind. Auch laut und unbequem sein, gehört nicht dazu“, meint sie.

Ein offenes Ohr zu haben, Arbeit und Familie flexibel zu vereinbaren, das Budget einzuhalten und Etappensiege schnell präsentieren zu können, zählt schon dazu. „Wir sind glücklich darüber, dass wir so einen starken Aufschlag gemacht haben, mit mehr Premieren als zuvor“, betont das Frauen-Duo. Und wenn sie dann noch von einer Dame vom Einlasspersonal hören, dass sie noch nie so viele neue Leute im Theater gesehen hat, ist ihr Ziel ein Stückchen näher gerückt. Fortan stellt sich die Frage: „Wenn Menschen das Theater entdecken, wie kann man sie halten?“

Die nächsten Premieren

Die Schauspielbegleiter „Critical Friends“ beginnen am Samstag, 6. April, mit ihrem Format „Willst Du mit mir (ins Theater) gehen?“

Samstag, 13. April, im Grillo-Theater: „Star Crossed Lovers“ – Junge Menschen aus Essen und das hiesige Schauspiel-Ensemble bringen ihre eigene Version von Shakespeares „Romeo und Julia“ auf die Bühne.

Die Komödie „Jeeps“ startet nach der Terminverschiebung nun am 26. April, 19.30 Uhr, im Grillo-Theater durch.

Karten und weitere Termine unter 0201 81 22 200 oder www.theater-essen.de

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