Essen. Statue und Platzname sind schon weg, nun folgt wegen der Missbrauchsvorwürfe gegen den verstorbenen Bischof von Essen vielleicht der Ehrverlust.

Das Bistum hat im Domhof seine Statue abmontiert und die Stadt vor dem Dom ihren Frieden mit ihm gemacht: Friedens- statt Kardinal-Hengsbach-Platz heißt es künftig – was blieb der Politik auch anderes übrig, als nach den ebenso massiven wie offenbar glaubwürdigen Missbrauchsvorwürfen gegen den Gründerbischof des Ruhrbistums die alte Ehrerbietung wieder einzukassieren und gänzlich Unstrittiges aufs Straßenschild zu prägen?

Jetzt könnte noch ein drittes, vielleicht das letzte Zeichen folgen, mit dem man in Essen demonstrativ auf Abstand zu dem über Kirchengrenzen hinaus lange verehrten Kardinal Franz Hengsbach geht. Auch wenn manchen dabei ein ungutes Gefühl beschleicht, weil die Justiz ja nicht aktiv werden und der vermeintlichen Täter sich fast 33 Jahre nach seinem Tod nicht mehr verteidigen kann: Der Rat könnte Hengsbach demnächst den „Ehrenring“ der Stadt entziehen.

Aber will er es auch?

Die Erben dürfen den Essener Ehrenring zwar behalten, tragen dürfen sie ihn aber nicht

Anders als Statue und Straßenschild wäre dies eine rein symbolische Distanzierung auf dem Papier. Zu sehen bekommt man das gute Stück aus 750er Gold mit einem etwa 15 mal 19 Millimeter großen Lapislazuli-Stein in der Mitte und acht bis zehn platingefassten Diamant-Baguettes im Seitenstreifen in der Regel ja doch nie.

Denn als der Rat der Stadt anno 1961 das Ortsgesetz („Satzung“) über die Stiftung des Ehrenringes der Stadt Essen beschloss, da verfügte er auch, dass der Fingerreif zwar „beim Ableben des Beliehenen seinen Erben als Andenken verbleibt“, diese aber zum Tragen „nicht berechtigt“ sind.

Der Ehrenring der Stadt Essen, hier das Exemplar der verstorbenen Oberbürgermeisterin  Annette Jäger.
Der Ehrenring der Stadt Essen, hier das Exemplar der verstorbenen Oberbürgermeisterin Annette Jäger. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Das Schmuckstück im überschaubaren Wert sollte eben nur jene Persönlichkeiten zieren, „die sich um die Stadt Essen in hervorragendem Maße verdient gemacht“ haben, so heißt es dort. In mehr als sechs Jahrzehnten fielen der Stadtspitze da nur neun Personen ein, denen man die Preziose an den Finger stecken mochte: Zuvörderst Industriemagnat Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, der den Reigen der Geehrten 1961 eröffnete, aber eben auch Kardinal Hengsbach und der Manager und Chef der Krupp-Stiftung, Berthold Beitz, sowie sechs Oberbürgermeister von Gustav Heinemann bis Annette Jäger.

Letztere starb im Juli vergangenen Jahres, und als der Neffe samt Familie einige Zeit später bei Oberbürgermeister Thomas Kufen zum Kaffeetrinken in der 22. Rathaus-Etage vorbeischaute, da hatte er, so schildert es Rainer Dehne vom städtischen Amt für Ratsangelegenheiten und Repräsentation, den Ehrenring von Tante Annette dabei. Das zurückgereichte Schmuckstück in den Stadtfarben liegt nun wohlverwahrt im Rathaus-Tresor, neben der Amtskette des OB.

Der Rat kann den Ehrenring „aus wichtigen Gründen“ entziehen - aber was ist wichtig genug?

Das Exemplar des verstorbenen Kardinals hingegen wird von der Domschatzkammer gehütet, wobei man in diesen Tagen versucht ist zu sagen: noch. Denn Ingo Vogel etwa, der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Stadtrat, fände es nach eigenem Bekunden nur „folgerichtig“, im Lichte der vom Bistum selbst verbreiteten schwerwiegenden Anschuldigungen, den Ehrenring abzuerkennen. Auch Sandra Schumacher, Frontfrau der Grünen im Rat, sieht Hengsbach im Lichte der Vorwürfe als „nicht würdig“ an, man müsse die Auszeichnung entziehen und auch transparent deutlich machen, warum.

Einen solchen Schritt sehen die Regelungen im Ernstfall durchaus auch vor: „Die Stadt kann den Ehrenring einziehen“, so heißt es in Paragraf 5 des entsprechenden Ortsgesetzes, „wenn wichtige Gründe hierfür geltend gemacht werden können“. Was er als „wichtigen Grund“ empfindet oder nicht, darüber befindet der Rat der Stadt selbst. Und damit für eine solch unangenehme Entscheidung die Hürde nicht allzu niedrig liegt, schreibt Paragraf 6 der Satzung eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Ratsmitglieder vor.

Knapp 13 Jahre ist es her, dass der Essener Ehrenring zum bislang letzten Mal verliehen wurde. Zur Übergabe an Alt-Oberbürgermeisterin Annette Jäger streifte damals auch der Chef der Krupp-Stiftung, Berthold Beitz, sein Exemplar über.
Knapp 13 Jahre ist es her, dass der Essener Ehrenring zum bislang letzten Mal verliehen wurde. Zur Übergabe an Alt-Oberbürgermeisterin Annette Jäger streifte damals auch der Chef der Krupp-Stiftung, Berthold Beitz, sein Exemplar über. © Funke Foto Services | Walter Buchholz

Ob es so weit kommt, diese Frage soll auf Vorschlag von Oberbürgermeister Kufen zunächst der Ältestenrat der Stadt unter den Ratsparteien ausloten. Fabian Schrumpf, Fraktionschef der CDU und Jurist von Beruf, signalisiert angesichts der großen Herausforderungen auch für die örtliche Politik wenig Neigung, auf einem solchen Nebenschauplatz aktiv zu werden, „aber wenn jemand den Vorschlag machen sollte, werden wir uns dazu natürlich positionieren müssen“.

Alle Neune – wer Essens Ehrenring verliehen bekam

Seit 1961 wird der Essener Ehrenring als zweithöchste Auszeichnung der Stadt nach der Ehrenbürgerwürde verliehen. Ausgezeichnet wurden bislang:

Der Industriemagnat Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (verliehen 1961), der Essener Oberbürgermeister von 1946 bis 1949 und spätere Bundespräsident Gustav Heinemann (verliehen 1969), der Essener Oberbürgermeister von 1949 bis 1956, Hans Toussaint (CDU, verliehen 1970), der Essener Oberbürgermeister von 1956 bis 1969, Wilhelm Nieswandt (SPD, verliehen 1970), der Chef der Krupp-Stiftung und langjährige Generalbevollmächtigte des Industrieriesen Krupp, Berthold Beitz (verliehen 1983), der damalige Ruhrbischof und spätere Kardinal Franz Hengsbach (verliehen 1984), der Essener Oberbürgermeister von 1969 bis 1984, Horst Katzor (SPD, verliehen 1986), der Essener Oberbürgermeister von 1984 bis 1989, Peter Reuschenbach (SPD, verliehen 2002) und die Essener Oberbürgermeisterin von 1989 bis 1999, Annette Jäger (SPD, verliehen 2011).

Alle Ehrenring-Träger sind inzwischen verstorben.

Und wo der Ehrenring für Kardinal Hengsbach zur Debatte steht, ist die Diskussion um einen anderen Geehrten nicht weit: Schon im Sommer vergangenen Jahres hatte die Linkspartei die Recherchen der Krupp-Stiftung zu Alfried Krupp von Bohlen und Halbach und dessen Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus zum Anlass genommen, auch dessen Ehrenring infrage zu stellen. Wo aber in zwei von neun Fällen schon Fragezeichen formuliert werden, da könnte gleich die Ehrung als Ganzes zur Debatte stehen.

Alt-OB Wolfgang Reiniger wäre der nächste, doch er mag die Ehrung nur „virtuell“ annehmen

Eine Debatte, die vor nunmehr acht Jahren ausgerechnet einer lostrat, der selbst als Kandidat für den Kreis der Ringträger gehören dürfte: Wolfgang Reiniger, Essener Oberbürgermeister von 1999 bis 2009, signalisierte schon damals in Richtung Rathaus, dass er die Ehrung wohl durchaus annehmen würde, aber eher im übertragenem Sinne, „virtuell“: Auf güldenen Prunk legt der Christdemokrat, der in diesem Jahr das 80. Lebensjahr vollendet, definitiv keinen Wert.

Die Stadt, in jenen Tagen einigermaßen ratlos, was man mit diesem Hinweis nun anfangen solle, versprach zu prüfen, und wenn nicht alles täuscht, dann dauert diese Prüfung auch acht Jahre später irgendwie noch an. Soll man es also lassen mit dem Ehrenring?

Abgesehen von den Ex-Oberbürgermeistern kein neuer Ring-Kandidat in Sicht

Als Begründung dafür, dass mit Reiniger die Phalanx der ausgezeichneten OBs reißt, könnte die Erkenntnis dienen, er habe das Amt ja auch im Zuge der geänderten Gemeindeordnung als erstes von den Bürgerinnen und Bürgern direkt gewähltes Stadtoberhaupt nicht mehr ehrenamtlich, sondern im Haupt-Job ausgeführt.

Aber „wo fängt man an, wo hört man auf, solche gewachsenen Traditionen fallen zu lassen?“, gibt CDU-Frontmann Fabian Schrumpf zu bedenken. Und winkt irgendwo angemessener Ersatz für Menschen mit so viel Strahlkraft, dass für sie mehr herausspringen soll, als die städtische Ehrenplakette, die kleine, bescheidene Schwester des Ehrenrings, gefertigt aus 333er Gold? Ein bisschen Zeit ist ja noch, sagt jemand aus dem Rathaus, der es wissen muss: Für eine solche Auszeichnung sei von den Ex-OBs abgesehen „derzeit ohnehin niemand in Sicht“.