Essen. Die Skulptur für Kardinal Franz Hengsbach in Essen ist abgebaut worden. Zu den bisher bekannten Missbrauchsvorwürfen kommen nun weitere hinzu.
Der Bautrupp kam am Montagmorgen um sieben, und er leistete ganze Arbeit: Binnen kürzester Zeit schraubte er die Skulptur für Kardinal Franz Hengsbach vor dem Essener Dom ab – rigorose Reaktion des Domkapitels auf die am Dienstag vergangener Woche bekannt gewordenen Vorwürfe sexuellen Missbrauchs, die gegen den vor 32 Jahren verstorbenen Gründerbischof des Bistums Essen erhoben werden. Zurück blieben nur sechs Bolzenschrauben, die aus dem Fundament ragen, und erstaunte bis irritierte Passanten. Die schauen nun auf einen leeren Mauervorsprung und auf die Halterung für ein ebenfalls abmontiertes Schild mit den Lebensdaten des Kardinals.
Wo die per Kran aus den Angeln gehobene Porträt-Skulptur der Münsteraner Künstlerin Silke Rehberg einen neuen Platz finden wird, ja, ob überhaupt – dazu konnte das Bistum am Montag noch keine Aussage machen. Die überlebensgroße Figur sei vorerst bei einer Firma eingelagert worden, heißt es. Und nicht nur in kirchlichen Kreisen wächst die Verwunderung darüber, in welchem Tempo man nach den Anschuldigungen gegen den jahrzehntelang verehrten Bischof Hengsbach Tabula rasa macht.
Gespräche mit möglichen Missbrauchs-Opfern könnten Monate dauern
Erklärbar vielleicht dadurch, dass das Bistum neben den in Rede stehenden mutmaßlichen Übergriffen der Jahre 1954 und 1967 in Paderborn und Essen weitere Enthüllungen fürchtet. In der vergangenen Woche hatte der amtierende Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck sogar persönlich an alle Gläubigen appelliert, mögliche weitere Missbrauchsfälle durch seinen einstigen Vorgänger im Amte zu melden. Daraufhin seien bei den Ansprechpersonen des Bistums bereits einige neue Meldungen eingegangen, bestätigte Bistumssprecher Ulrich Lota am Montag auf Nachfrage.
Hengsbach-Denkmal in Essen abgebaut
Diese Vorwürfe, die ausdrücklich Kardinal Hengsbach betreffen, würden nun überprüft, heißt es, wobei die genaue Zahl der Meldungen nicht preisgegeben werde. Es stünden fraglos schwierige Gespräche mit den möglichen Opfern an, es sei deshalb wahrscheinlich, dass die Aufarbeitung mehrere Wochen, wenn nicht Monate andauern werde.
Overbeck hat sich für Umgang mit Hengsbach-Vorwürfen entschuldigt
Bischof Overbeck hatte sich in einem Brief, der am Sonntag im Gottesdienst verlesen wurde, für seinen anfänglichen Umgang mit den Hengsbach-Vorwürfen entschuldigt. Er hatte demnach bereits 2011 von ersten Vorwürfen gegen Hengsbach in Paderborn erfahren, sich aber auf die Auskunft aus Rom verlassen, dass die Vorwürfe „nicht plausibel“ seien und deshalb nichts weiter unternommen. Dies bezeichnete Overbeck im Rückblick als Fehler.
Die Künstlerin Silke Rehberg, die die Porträt-Skulptur für Kardinal Franz Hengsbach im Auftrag des Domkapitels geschaffen und vehement für eine künstlerische Lösung plädiert hatte, zeigte sich am Montag sehr enttäuscht: „Im Grunde fehlen mir die Worte“, sagte die 59-Jährige auf Anfrage und nannte die Entscheidung „nicht mutig“. Sie hatte schon im Vorfeld betont, eine simple Entfernung sei doch „keine Form der Bewältigung“. Rehberg hatte dagegen eine Drehung der Skulptur um 180 Grad vorgeschlagen, die den Kardinal auf den Kopf gestellt und den zu unterst liegenden Wolf nach oben gebracht hätte.
Künstlerin findet den Ersatz durch eine Gedenkstätte als „eher lahme Angelegenheit“
Das sei zwar angesichts des Gewichtes der Skulptur aus Hartkeramik von rund 1,5 Tonnen keine Kleinigkeit, wäre aber mit Kosten in „ganz kleiner fünfstelliger Höhe“ machbar gewesen. Das Argument des Bistums, durch den Abbau des Werkes auch möglichem Vandalismus vorzubeugen, mag sie jedenfalls nicht gelten lassen, und den Ersatz durch eine Gedenkstätte für Missbrauchsopfer empfinde sie als „eher lahme Angelegenheit“.
Offen lässt Rehberg, ob sie gegen die Entfernung der Porträt-Skulptur noch rechtliche Schritte einleiten will: „Ich erwäge das nicht als erstes“, sagte die Künstlerin, schließlich begebe man sich damit auf eine „abenteuerliche Reise“ mit ungewissem Ausgang und womöglich jahrelangem Streit. Ausschließen mag sie eine solche Reaktion aber nicht, es sei dies ja nichts, was man angesichts drohender Verjährung nun binnen Tagen entscheiden müsse.
„Die Fakten sprechen eine andere Sprache, ich musste reagieren“, sagt Overbeck
Während die Künstlerin über Bekannte vom Abbau der Skulptur erfuhr, hatte das Bistum anderweitig versucht, mit allen Beteiligten Einvernehmen herzustellen, auch die Sponsoren des 2011 enthüllten Kunstwerks waren eingebunden. Und im Vorfeld hatte das Bistum sogar den Nuntius des Papstes in Berlin, die diplomatische Vertretung des Heiligen Stuhls, von den anstehenden Schritten informiert.
Hengsbach war 33 Jahre lang der erste Bischof des 1958 gegründeten Ruhrbistums, zugleich Gründer von Adveniat - dem bischöflichen Lateinamerika-Hilfswerk - lange Jahre deutscher Militärbischof und sozialpolitisch engagiert für das Ruhrgebiet in der Stahl- und Kohlekrise. „Das Entsetzen, das erlebe ich in diesen Tagen auch, ist so groß, weil er eben eine so wichtige Identifikationsfigur für unser Bistum gewesen ist. Aber die Fakten sprechen jetzt eine andere Sprache und so musste ich auch entsprechend reagieren“, sagte Overbeck in einem WDR-Interview vom Sonntag.
In Wiesbaden beginnt an diesem Montag die Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Die 65 Bischöfe der katholischen Kirche in Deutschland beraten bis einschließlich Donnerstag. Themen sind unter anderem der Missbrauchsskandal und der innerkirchliche Reformprozess.
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