Essen-Vogelheim. Euphorische Stimmung in marodem Gebäude: In Essen-Vogelheim zeichnet die neue Schulleiterin, Annette Vogt, ihre Vision von einer besseren Schule.

Euphorische Gäste, ein Schulchor, der so manchen zu Tränen rührte, und das alles mangels Aula in der Mensa in einer maroden Schule, wo man „mit Glück einen funktionierenden Stuhl erwischt“, wie ein Lehrer sagt. Beim Neujahrsempfang der Gesamtschule Nord in Essen trafen diese Gegensätze vor rund 150 Gästen aufeinander.

Als Treppe auf die provisorische Bühne dienen Elemente aus Kästen der Turnhalle. Auf der Bühne selbst erzählt Martin Stimmler vom Lehrerrat, dass man hier manchmal froh ist über jede Wolke: Selbst Jalousien sind an dieser Schule Mangelware. Räumliche Verhältnisse seien ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber den Schülern und Schülerinnen. Die Verhältnisse an der Gesamtschule ließen oft zu Wünschen übrig und das in einem Stadtteil mit sozioökonomisch schwierigen Verhältnissen, in dem Schüler und Schülerinnen schon zu Hause nicht immer einen vernünftigen Arbeitsplatz vorfinden.

Essener Gesamtschule-Nord soll schon lange Neubau erhalten

Stimmler: „Wir versuchen, Chancengleichheit zu verwirklichen, wo es am dringendsten nötig ist. Das alleine sollte ausreichen, um uns mit aller Kraft zu unterstützen.“ Diese Worte richtet er unter anderem an Politik und Stadtverwaltung, die mit Bürgermeister Rudolf Jelinek (SPD) und Bezirksbürgermeister Hans-Wilhelm Zwiehoff (SPD) im Publikum vertreten waren.

Seit Jahren wird dem Team der Gesamtschule Nord an der Förderstraße ein Neubau versprochen. Was fehlt, ist ein Ratsbeschluss. Was bleibt, ist aktuell der leicht verärgerte Blick nach Altenessen, wo an der Erbslöhstraße jetzt eine komplett neue Gesamtschule gebaut wird. Den Eindruck, den das hinterlässt, formuliert die neue Schulleiterin Annette Vogt: „Wir sind eine etwas vergessene Schule in einem etwas vergessenen Stadtteil.“ Hinter ihr hängen Pappmaché-Figuren der Schüler aus dem Kunstunterricht, die zum Teil an Edvard Munchs „Der Schrei“ erinnern.

Essener Schulleiterin will Schule ohne „Bulimie-Lernen“

Annette Vogt will Schule und Stadtteil in den Blickpunkt rücken. Wer ihr zuhört, merkt: Diese Frau will nicht kleckern, sondern klotzen. „Ich eigne mich nicht zum Verwalten“, so ihr Credo. Ihre Vision sei eine Schule ohne „Bulimie-Lernen“: Kurzfristiges Auswendiglernen von Fakten und Formeln für eine Klassenarbeit, das man kurze Zeit danach wieder vergisst.

Vogt will Schüler und Schülerinnen nicht „im Gleichschritt durch den Lehrplan zerren“, sondern die intrinsische Motivation fördern. Neurowissenschaftler hätten dargelegt, dass sich Kinder von sich aus mit Neugierde mit Themen auseinandersetzen. Genau das müsse man fördern. Jeder Schüler sei da individuell und habe andere Anknüpfungspunkte. Vogt: „Schüler sollen Verantwortung für eigenes Lernen übernehmen.“ Wie das im Einzelnen verwirklicht werden kann, wisse sie nicht, lädt aber alle Interessierten ein, gemeinsam an dieser Vision zu arbeiten. Beispiele von anderen Schulen und anderen Städten würden zeigen, dass es möglich ist.

Essener Schulleiterin will Bildungszentrum in Vogelheim realisieren

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Mit Blick auf den Stadtteil erklärt die Schulleiterin, dass sie ein Bildungszentrum realisieren will. Kindergarten, Stadthafengrundschule und Gesamtschule müssten besser kooperieren, Computainer, Jugendfarm, Kirche, Awo und auch die Bürger und Bürgerinnen mit einbezogen werden. Möglicherweise abschreckende Wege würden somit wegfallen, Synergien genutzt werden.

Erste Schritte seien eingeleitet. So planen Grund- und Gesamtschule ein gemeinsames Schulfest, Sechstklässler sollen zudem Grundschülern vorlesen, Hospitationen sollen ermöglicht, Konzerte zusammen gestaltet werden. Es gehe darum, Vertrauen und Sicherheit bei den Schülern zu schaffen: „Wir wissen, dass unsere Schüler und Schülerinnen engen Kontakt und Förderung brauchen, dann können sie Großartiges leisten.“

Annette Vogt weiß, dass ihre Vision nicht kurzfristig und ohne Unterstützung umzusetzen ist. Abrücken will sie davon aber nicht und zitiert den Dramatiker George Bernard Shaw leicht abgewandelt: „Jeglicher Fortschritt hängt von wahnsinnigen Menschen ab.“

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