Essen. Ex-RWE-Spieler Felix Herzenbruch ist jetzt Projektlehrer an der Gesamtschule Nord. Wie er dort Kinder mit Deutsch-Defiziten unterstützt.

Felix Herzenbruch war bei Rot-Weiss Essen einer der Fanlieblinge. Bis zur vergangenen Saison stand er für RWE auf dem Platz, heute zeichnet er mit Kreide eine Deutschlandkarte auf die dunkelgrüne Tafel. „In der letzten Stunde haben wir ja über verschiedene Himmelsrichtungen gesprochen und es hat sich gezeigt, dass ihr da noch ein bisschen Nachholbedarf habt“, erklärt der 31-Jährige. „Nie ohne Seife waschen“, tönt es als Antwort durch die Klasse der Gesamtschule Nord.

Herzenbruch war schon bei RWE Pate von „Fußball trifft Kultur“

Im Frühjahr 2023 war bekanntgeworden, dass RWE den Vertrag mit dem Abwehrspieler nicht verlängern würde. „Ich hatte damit gerechnet, dass ich weiterspielen darf“, sagt er rückblickend. Schließlich habe er die Mannschaft in einigen Spielen als Kapitän aufs Feld geführt, jede Partie mitgemacht. Doch es kam anders. Nun konzentriert sich der Vater einer Tochter zunächst auf sein Studium. Seit 2019 studiert Herzenbruch Lehramt für Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamtschule. Seine Fächer sind Sport und Sozialwissenschaft, aktuell schreibt er an seiner Bachelorarbeit.

Wie ordnet man die vier Himmelsrichtungen korrekt an? Felix Herzenbruch hilft Schüler Ahmad (11) an der Tafel.
Wie ordnet man die vier Himmelsrichtungen korrekt an? Felix Herzenbruch hilft Schüler Ahmad (11) an der Tafel. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Viel Zeit für das Studium hatte er vorher nicht, besuchte aber trotzdem Vorlesungen, wenn es sich zeitlich machen ließ. „Der stressigste Tag war Dienstag“, erinnert er sich. „Um halb 8 war ich im Seminar, hatte dann um 10 Uhr Training, musste um 12.15 Uhr in die Vorlesung und stand um 14.30 Uhr wieder auf dem Platz.“ Kontakt mit den Kommilitonen habe er kaum aufbauen, geschweige denn ein echtes Studentenleben führen können. Schon während seiner Zeit bei RWE war er allerdings Pate des Projektes „Fußball trifft Kultur“ an der Gesamtschule Nord. Jetzt leitet er als Projektlehrer den Deutsch-Förderunterricht.

Projekt an der Essener Gesamtschule Nord soll Sprachkompenzen vermitteln

Das Projekt „Fußball trifft Kultur“ läuft an der Gesamtschule Nord inzwischen seit neun Jahren in Form einer freiwilligen AG und wird von Rot-Weiss Essen unterstützt. Organisiert und finanziert wird es von der gemeinnützigen Organisation Litcam. Es soll sowohl Sprachkompetenzen vermitteln als auch Bewegung und soziales Verhalten fördern. Lehrerin Maike Matzker, didaktische Leiterin der Schule, betreut das Projekt seit den ersten Tagen.

Das Projekt „Fußball trifft Kultur“ an der Gesamtschule Nord in Essen-Vogelheim umfasst unter anderem 45 Minuten Deutsch-Förderunterricht im Klassenraum. Im zweiten 45-Minuten-Block wird Fußball trainiert.
Das Projekt „Fußball trifft Kultur“ an der Gesamtschule Nord in Essen-Vogelheim umfasst unter anderem 45 Minuten Deutsch-Förderunterricht im Klassenraum. Im zweiten 45-Minuten-Block wird Fußball trainiert. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

In der Praxis läuft das so: Zweimal pro Woche kommt eine Gruppe von aktuell 20 Schülerinnen und Schülern aus der fünften Klasse zusammen. Die Hälfte von ihnen startet mit dem Deutsch-Förderunterricht, die andere mit dem Fußballtraining. Die Fußballeinheiten leitet RWE-Förderwerk-Trainer Masataka Fukuoka. Nach 45 Minuten wird gewechselt, dann geht die Deutsch-Gruppe zum Fußballtraining und umgekehrt. Als Lehramtsstudent übernimmt Herzenbruch den Deutsch-Unterricht, der in der Vergangenheit schon mehrmals von Studierenden der Uni Duisburg-Essen geleitet wurde.

Schüler in Essen-Vogelheim: Viele haben einen Migrationshintergrund

Herzenbruch hat eine Schulung bekommen, das Projekt ermöglicht es ihm aber, den Unterricht frei zu gestalten und an die Voraussetzungen der Kinder anzupassen. Ein Großteil von ihnen hat einen Migrationshintergrund. Viele sind laut Lehrerin Matzker mit einer Hauptschulempfehlung an die Gesamtschule gekommen, für einige ist Deutsch nicht die Muttersprache. Sie alle haben sprachliche Defizite. Herzenbruch versucht, sie mit niedrigschwelligen Aufgaben zu erreichen.

„Man merkt, dass den Kindern viele Wörter fehlen. Mal lesen wir etwas oder füllen einen Lückentext aus“, erklärt er. Und in dieser Stunde starten sie eben mit dem Aufzählen der Himmelsrichtungen. Mohammed kommt an die Tafel und schreibt „Nordosten“ an den Rand der aufgezeichneten Deutschlandkarte. Das ist zwar geografisch ungefähr richtig, war aber nicht gefragt. Erst einmal sollte es um die vier Haupthimmelsrichtungen gehen. Lukas will helfen, greift sich ein Kreidestück und verlegt den Norden in den Osten. „Herr Herzenbruch, heute spielt Deutschland gegen Polen, U21, da gehe ich hin“, tönt ein Zwischenruf durch die Klasse.

Viele Schüler kannten Herzenbruch als Profi von Rot-Weiss Essen

Viele der Schüler kannten Herzenbruch von Rot-Weiss Essen, wollten anfangs Fotos mit ihm machen oder Autogramme bekommen. In der AG ist er aber nicht das Fußballidol, er ist der Lehrer. Die Schülerinnen und Schüler fördert er nicht nur in Deutsch, sondern versucht auch, positiv auf ihr Sozialverhalten einzuwirken. Das bedeutet: Ordnung in die Klasse bringen, wenn alle durcheinanderrufen oder der Person neben ihnen ins Wort fallen. Schüler ermahnen, ihre Kapuze abzunehmen. Und manchmal auch einfach die Jungen und Mädchen davon abhalten, sich Beleidigungen an den Kopf zu werfen oder aus dem Fenster zu schreien.

Manchmal sei das schwierig, weil er kein richtiger Lehrer sei und immer noch eher als Fußballprofi wahrgenommen werde, sagt Herzenbruch. Dennoch beobachte er seit seinem Start im September Fortschritte, die Schülerinnen und Schüler gingen schon respektvoller miteinander um. Über das Thema Fußball lasse sich ihr Interesse wecken. Viele motiviert das Training für die Teilnahme an der AG und auch der Unterrichtsstoff hat häufig mit Fußball zu tun.

„Wir haben vor kurzem besprochen, welche Teams bei der Europameisterschaft mitmachen“, nennt Herzenbruch ein Beispiel. Lukas (10) hat sich noch etwas anderes gemerkt: „Ich weiß jetzt, welche Fußballstadien es in den Städten gibt“, sagt er. Gemeinsam trainieren die Schülerinnen und Schüler auf ein Abschlussturnier in Frankfurt hin. Dabei messen sich die Teilnehmer sämtlicher Standorte, die beim Projekt mitmachen. Ob Herzenbruch dann am Platzrand stehen wird, ist noch nicht klar. Das hängt unter anderem davon ab, bei welchem neuen Verein er möglicherweise ab Winter spielt. Er sagt aber: „Ich würde das Projekt gerne so lange wie möglich begleiten.“

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