Essen. Es ist eine Aufklärungskampagne im Großformat: Auf 50.000 Brötchentüten machen Essens Bäcker jetzt auf das Thema Gewalt gegen Frauen aufmerksam.

Die Essener Bäckereien haben an diesem Samstag (25.11.) nicht nur Brot im Angebot, sondern auch eine Botschaft: Häusliche Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache – und Wegsehen keine Option. Auf 50.000 Brötchentüten haben sie darum die Kontaktdaten von Hilfsangeboten gedruckt, an die sich Betroffene wenden können. Verwendet werden die besonderen Tüten in den Filialen von fünf Bäckereien gesamten Stadtgebiet. „Das Thema wird damit sichtbar“, freut sich Cordula Hißmann von der Essener Frauenberatung.

Die Aktion, die durch einen großen Kreis von Spendern und Sponsoren ermöglicht wird, erlebt in diesem Jahr ihre vierte Auflage; es gibt also schon Erfahrungswerte zu ihrer Wirksamkeit. Cordula Hißmann hat das im vergangenen Jahr ganz direkt an Kundenreaktionen bemerkt, als sie am Aktionstag einige Bäckereien besuchte. Zudem meldeten sich in der Beratung auch Frauen, die von Angehörigen angesprochen worden sind: „Meld’ Dich doch da mal, Du stehst zu Hause unter Druck, Dein Mann wird doch handgreiflich.“ Sag’ es durch die Tüte, sozusagen.

Frauenberatung Essen verzeichnet steigende Zahl von Gewaltopfern

Plakate, die auf den Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November hinweisen, begleiten die Aufklärungskampagne in den Bäckereien. Dass das Thema so selbstverständlich in den Alltag gerückt werde, mache womöglich mancher Frau erst Mut, sich Hilfe zu suchen, sagt Sozialpädagogin Hißmann. Sie merke, mit dem was sie erlebt, was ihr angetan wird, stehe sie nicht allein.

In Essen haben sich im vergangenen Jahr 477 Betroffene an die Frauenberatung gewandt, im Jahr 2021 waren es noch 441. Die Fälle reichten von häuslicher Gewalt über Stalking, digitalisierte Gewalt bis zu sexualisierten Übergriffen oder Vergewaltigungen. Auch Opfer von Zwangsverheiratungen hätten sich gemeldet.

Meldeverhalten der Frauen könnte sich geändert haben

„Gewalt kommt nicht in die Tüte“, steht auf den Brötchentüten, die schon im Jahr 2021 in Essener Bäckereien - wie hier in einer Peter-Filiale – verwendet wurden, um Aufmerksamkeit auf das Thema Gewalt gegen Frauen zu lenken.
„Gewalt kommt nicht in die Tüte“, steht auf den Brötchentüten, die schon im Jahr 2021 in Essener Bäckereien - wie hier in einer Peter-Filiale – verwendet wurden, um Aufmerksamkeit auf das Thema Gewalt gegen Frauen zu lenken. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Welche Ursache der erneute Anstieg habe, lasse sich nicht mit letzter Sicherheit sagen, betont Cordula Hißmann. Während der Corona-Pandemie habe es „einen Schub“ gegeben, der sich auch durch das enge Zusammenleben erklären ließ, das mit Lockdowns und Kontaktbeschränkungen einherging. Dass die Zahlen mit den Lockerungen im Vorjahr nicht gesunken seien, könne auch mit einem veränderten Meldeverhalten zusammenhängen. „Vielleicht fühlen sich mehr Frauen ermutigt, sich Hilfe zu holen oder Anzeige zu erstatten. Das hieße, dass das bisherige Dunkelfeld mehr erhellt wird.“

2022 wurden in Deutschland 133 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet

Zweifellos zeigten die Fallzahlen, dass der Handlungsbedarf weiter groß sei: Jeden Tag gebe es in Deutschland rund 430 gewalttätige Übergriffe von Partnern oder Ex-Partnern. Bundesweit sei die Zahl der Opfer von Partnergewalt im vergangenen Jahr auf 157.818 Opfer gestiegen, eine Zunahme von neun Prozent. Mit 80 Prozent seien die meisten Betroffenen Frauen; auch sei die gegen sie gerichtete Gewalt oft brutaler. „Viele Männer erleben eher psychische Gewalt.“ Ohne die verharmlosen zu wollen, macht Hißmann deutlich, dass weibliche Gewaltopfer deutlich größerer Gefahr ausgesetzt sind: 133 Frauen deutschlandweit seien im vergangenen Jahr durch Partner oder Ex-Partner getötet worden; weitere 19 Opfer waren Männer.

Frauenberatung fordert mehr Schutz für Hochrisikofälle

Tüte mit Botschaft: Fünf Essener Bäckereien verwenden am 25. November 2023 diese Tüten zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen.
Tüte mit Botschaft: Fünf Essener Bäckereien verwenden am 25. November 2023 diese Tüten zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen. © Frauenberatung Essen

„Da ist mehr Schutz bei den Hochrisikofällen nötig“, fordert Cordula Hißmann. Grundsätzlich sei die Essener Polizei für das Thema sensibilisiert und arbeite gut mit der Frauenberatung zusammen. Aber manchmal müsse das Beratungsteam nachfragen, warum es keine Verweisung des gewalttätigen Partners aus der gemeinsamen Wohnung gegeben habe. „Da ist noch Luft nach oben.“

Brötchentüten mit Botschaft

Der 25. November ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Darauf machen Essener Bäckereien mit der Aktion „Gewalt kommt nicht in die Tüte“ aufmerksam: Sie verpacken am Samstag (25.11.) die Backwaren in besondere Tüten. Darauf sind die Kontaktdaten von Hilfsangeboten für Mädchen und Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, gedruckt.

An der Aktion beteiligen sich diese Bäckereien: Döbbe, Holtkamp, Horsthemke, Peter und Troll. Weitere Unterstützer sind: Beratungsstelle „Distel“, Frauenberatung, Frauenhaus, Gleichstellungsstelle der Stadt sowie das bundesweite Hilfetelefon bei Gewalt gegen Frauen. Die Essener Frauenclubs Zonta I und II sowie die Soroptimistinnen, die Wohnungsgesellschaft Allbau und die Sparkasse helfen mit Spenden. Schirmherrinnen sind die Intendantinnen des Grillo-Theaters, Selen Kara und Christina Zintl.

Infos auf:https://gewaltkommtnichtindietuete-essen.de/

Allerdings sei es auch mit der (räumlichen) Trennung nicht immer getan: Zwar leben 60 Prozent der Gewaltopfer mit ihrem Peiniger zusammen, doch bei 40 Prozent gingen Bedrohung, Stalking und Übergriffe von einem ehemaligen Partner aus. „Sehr häufig passiert es nach Trennungen, dass besitzergreifende Partner die Frauen weiter als ihr Eigentum ansehen oder Rachegedanken hegen.“ Und umsetzen.

Umgangskontakte mit den Kindern können für die Frauen zum Risiko werden

Oft würden Umgangskontakte mit den Kindern genutzt, um die Partnerin herabzuwürdigen, zu demütigen, anzugehen. „Wenn die Kontakte nicht mehr vom Jugendamt begleitet werden, werden sie zum Risiko für die Frauen.“ Darum rät Cordula Hißmann Betroffenen, vor dem Familiengericht ihre Ängste deutlich zu machen.

[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig & Werden + Borbeck & West | Alle Artikel aus Essen]