Essen-Werden. Entlastung für Angehörige: Wie in der Tagespflege St. Ludgeri in Essen-Werden alte, pflegebedürftige oder demenzkranke Menschen aktiv bleiben.

Zunächst war Gitte Gerlach aufgefallen, dass ihr Mann Holger wichtige Unterlagen völlig konfus abgeheftet hatte. Der Mediziner hatte 2017 seine Praxis aufgeben. Nun bemerkte seine Gattin, dass etwas nicht stimmte: „Er wollte am Computer einen Ausflug planen, bekam das nicht hin, war regelrecht abwesend.“ Die Diagnose Depression führte ihn in eine Spezialklinik nach Bonn. Nach einem Zwischenaufenthalt daheim setzte er sich ins Auto und fuhr wieder los. Doch in Bonn kam er nicht an: „Mein Mann war in Ludwigshafen gelandet.“

Die Lebensqualität soll erhalten und gefördert werden

Die behandelnden Ärzte räumten ein, dass hier wohl dementielle Veränderungen vorlägen und keine Depression. „Eine häufige erste Fehldiagnose“, weiß Heike Genat, die seit zehn Jahren in der Werdener Tagespflege der Stiftung St. Ludgeri als Alltagsbegleiterin arbeitet: „Wir holen die Menschen ab, wo sie gerade stehen. Wir möchten Lebensqualität erhalten und fördern.“

Hierher kommen alte, pflegebedürftige oder dementiell veränderte Menschen, viele an mehreren Wochentagen. Das entlastet die Angehörigen. Gitte Gerlach ist unendlich dankbar: „Während Holger hier in guten Händen ist, kann ich Besorgungen erledigen, größere Einkäufe, selbst zur Physiotherapie gehen.“ Die Familie brauche sie: „Ich bin regelmäßig im Enkel-Einsatz.“ Außerdem zehrt das Zusammenleben mit einem Demenzkranken: „Ich habe im Grunde genommen kein eigenes Leben mehr.“

Mobile Kegelbahn sorgt für große Begeisterung

Pflegedienstleiterin Karin Rinn nickt. Bei pflegenden Angehörigen spüre sie immer dieses gnadenlose „Ich muss funktionieren“. Dies raube viel Kraft. Umso besser, dass man helfen könne. Die gelernte Krankenschwester ist dabei, seit die Einrichtung im Frühjahr 2013 eröffnet wurde. Herzstück ist die gemütliche Wohnküche. Gerade wurde die mobile Kegelbahn aufgebaut, was für laute Begeisterungsrufe sorgt. Die Bahn ist erhöht, so dass vom Rollstuhl aus gekegelt werden kann.

Eine virtuelle Runde um den Baldeneysee: Renate Borchert (83) und Gerd Namyslo (88) sitzen am Bike Labyrinth. Florian Kohls, stellv. Pflegedienstleiter, hilft beim Navigieren.
Eine virtuelle Runde um den Baldeneysee: Renate Borchert (83) und Gerd Namyslo (88) sitzen am Bike Labyrinth. Florian Kohls, stellv. Pflegedienstleiter, hilft beim Navigieren. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Nach dem Mittagessen ruhen viele der Gäste – das Kegeln hat geschlaucht. Bärbel Horster entspannt im Sessel. Die 84-Jährige ist seit Dezember 2013 hier zu Gast, also am längsten dabei, und kommt dreimal in der Woche. Karin Rinn charakterisiert sie als „eher stille Genießerin“. Aber beim Kegeln komme sie groß raus: „Frau Horster liebt auch Witze und erzählt unheimlich gerne vom Enkel.“

Langeweile bei dem Programm kommt keine auf

Renate Borchert wohnt seit zwei Jahren in Werden, nachdem ihr Mann verstarb und sie zur Tochter zog. Die 83-Jährige ist zweimal die Woche hier: „Ich lerne nette Menschen kennen. Das Personal ist sehr lieb und aufmerksam. Es wird viel angeboten, wir machen auch Sport. Langeweile kommt keine auf.“

Pflegedienstleiterin Karin Rinn (r.) und Mitarbeiterin Heike Genat steuern das bunte Mobil der Tagespflege.
Pflegedienstleiterin Karin Rinn (r.) und Mitarbeiterin Heike Genat steuern das bunte Mobil der Tagespflege. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Was Heinz Klein bestätigt: „Wir sitzen in der Runde und erzählen, wir singen zusammen. Das gefällt mir sehr.“ Der 68-Jährige fährt mit dem Elektro-Scooter vor: „Bei mir war damals ein gefährliches Aneurysma im Kopf festgestellt worden. Die Ärzte hatten mich schon aufgegeben.“ Doch er kämpfte sich zurück ins Leben: „Die ganze rechte Seite war betroffen und ich hatte Wortfindungsstörungen. Aber es ging Stück für Stück besser.“ Die Tagespflege möchte er nicht missen: „Man fühlt sich zuhause hier. Ich bin zufrieden, wenn alles so bleibt.“

Gitte Gerlach tauscht sich aus mit Karin Rinn und seufzt: „Holger hat völlig das Zeitgefühl verloren. Zuhause sitzt er meist vorm Fernseher.“ Dreimal die Woche geht der 73-Jährige zur Tagespflege, das bekommt er alleine hin. Seiner Frau erzählt er dann, dass er sehr gerne hier sei: „Er findet’s unheimlich schön, spielt zum Beispiel gerne Skat. Das Essen schmeckt ihm.“

Virtuelle Fahrradtouren um die Baldeneysee

Ein wichtiges Element, so Karin Rinn: „Beim Essen haben sich nette Tischgemeinschaften gebildet. Man unterhält sich und ist den anderen behilflich.“ Natürlich seien hier examinierte Pflegefachkräfte tätig. Und doch halte sich die Pflege bewusst im Hintergrund: „Wir haben uns vor allem Mobilität auf die Fahnen geschrieben. Ein tolles Angebot ist das Bike Labyrinth.“

Besichtigung beim Sommerfest möglich

Sollten sich Angehörige sich für die Tagespflege in der Propsteistraße 15 interessieren, ist Pflegedienstleiterin Karin Rinn unter 0201 84 97 25 00 oder zu erreichen: „Ich erzähle dann von uns und lade, so möglich, zu einem Aufnahmegespräch ein.“

Einen Blick in die Tagespflege kann man am Samstag, 12. August, im Rahmen des Sommerfestes in der Stiftung St. Ludgeri werfen. An der Brückstraße 87-89 gibt es von 13 bis 17 Uhr ein buntes Bühnenprogramm, Kuchen, Gegrilltes und Getränke, Glücksrad, Kinderschminken und Zauberkünstler.

Auf einem Bildschirm werden virtuelle Fahrradtouren angezeigt, die Gäste sitzen auf einem Stuhl am Heimtrainer. Sie können sogar die Routen bestimmen, etwa rund um den Gardasee, und wie stark sie trampeln möchten.

Trainingsprogramm zur Bewegungsförderung

Hier wird nach dem „Lübecker Modell“ gearbeitet, einem körperlich, geistig und sozial aktivierenden Trainingsprogramm zur Bewegungsförderung. Auch wird der große Garten eifrig genutzt, dort warten Hochbeete auf Bepflanzung, Nistkästen und Futterstelle locken Vögel an. Karin Rinn lächelt: „Demnächst wollen wir am Eingang noch einen Bienenfutter-Automaten aufhängen.“

Gitte Gerlach erzählt noch, dass ihr Mann angemeldet sei fürs Pflegeheim. Ein schmerzlicher Schritt, aber unvermeidbar. Karin Rinn spricht der 76-Jährigen Mut zu: „Wir erleben leider so oft Angehörige, die am Limit sind. Auch wenn es sich zunächst gar nicht gut anfühlt, kann ein Platz in einer Pflegeeinrichtung der richtige Schritt sein.“

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