Essen. Die Essener Notschlafstelle Raum 58 kann obdachlosen Jugendlichen in einem Schaustellerwagen zusätzliche Betten anbieten. Der Bedarf steigt.
Am schlimmsten sei es morgens zwischen vier und fünf. „Dann ist es so kalt, da hilft dir auch kein Schlafsack mehr“, erzählt Leon. „Alles ist besser, wenn du nur nicht auf der Straße schlafen muss.“ In der Notschlafstelle Raum 58 an der Niederstraße im Universitätsviertel können Jugendliche und junge Erwachsene nun auch in einem alten Schaustellerwagen unterkommen, wenn alle anderen Betten belegt sind. Junge Leute, die auf der Straße leben, so wie der 18-jährige Leon.
Mit 16 ist er bei den Eltern rausgeflogen, zwei Monate lebte er in einer eigenen Wohnung, bis ihn der Vermieter vor die Tür setzte, erzählt Leon. Seitdem schlägt er sich durch und ist froh, im Raum 58 ein Frühstück zu bekommen, abends ein warmes Essen und für die Nacht ein Bett, wenn denn eins frei ist.
Leons Biografie ist typisch. Viele Jugendliche und junge Erwachsene, die abends vor der Tür von Raum 58 stehen, kommen aus problematischen Familien, berichtet Britta Reuter, die Leiterin der Einrichtung. Dort finden sie Unterschlupf, Wärme und Hilfe, wenn es zum Beispiel darum geht, einen neuen Ausweis zu beantragen, weil der alte verloren gegangen ist, oder beim Job-Center Unterstützung zu bekommen, damit die jungen Leute bestenfalls auf eigenen Füßen stehen.
Leon will seinen Realschulabschluss machen, träumt davon, Bankkaufmann zu werden. Seinen vollen Namen will er deshalb nicht nennen, auch fotografieren lassen will er sich nicht. Man soll ihn nicht erkennen, wenn er sich später einmal um Stelle bewirbt. Bis es so weit ist, schlägt er sich durch, greift im Supermarkt auch mal ins Regal, ohne zu bezahlen, wenn der Hunger zu groß wird. Auf Angebote wie Raum 58 bleibt Leon angewiesen.
In Raum 58 wissen sie nicht, wie viele Jugendliche am Abend vor der Tür stehen
„Wir wissen nicht wie viele abends vor der Tür stehen“, erzählt Britta Reuter. Etwa seit August sei der Bedarf gestiegen. Woran das liegt? „Wir wissen es nicht“, sagt Dirk Langheinrich, zuständiger Bereichsleiter bei der CSE, die Raum 58 gemeinsam mit dem CVJM trägt. Leon will draußen auf der Straße gehört haben, dass Jugendliche immer früher zu Drogen greifen.
Die acht Betten der Notschlafstelle reichten jedenfalls nicht mehr aus. Dank der finanziellen Unterstützung der Bank im Bistum Essen und der Contilia Gruppe in Höhe von 10.000 Euro kann Raum 58 in dem umgebauten Schaustellerwagen vier weitere Betten anbieten, sobald das Bauordnungsamt die letzten Formalitäten geklärt hat. Lange soll das nicht dauern. Der Wagen ist eingerichtet mit Etagenbetten, Spinden und einer Elektroheizung.
Bei der Vergabe von freien Betten genießen Jugendliche Vorrang vor jungen Erwachsenen wie Fabian, der seit zwei Jahren in Essen auf der Straße lebt. Tagsüber schlägt der 20-Jährige die Zeit tot, fährt häufig mit dem Zug oder der U-Bahn hin und her, bis er abends um 21 Uhr vor der Tür der Notschlafstelle steht.
Gibt es dort nicht genug Betten, wird gelost, wer draußen bleiben muss. Fabian hat es schon erwischt. Und auch Leon. „Du kannst dir nicht vorstellen, was das für ein Gefühl ist, wenn Du nicht weißt, wo du hinsollst“, erzählt er. „An Halloween waren wir zu sechst.“
Die politische Antwort auf Obdachlosigkeit junger Erwachsener steht aus
Junge Erwachsene sind eine Problemgruppe. Der Jugend gerade entwachsen, fühlen sie sich mit Angeboten der Hilfseinrichtungen, die sich an Ältere richten, häufig nicht wohl, berichtet Caritas-Direktor Björn-Enno Hermans. Und wer erst einmal auf der Straße gelandet ist, der hat es schwer eine feste Bleibe zu finden. Welcher Vermieter nimmt schon jemanden von der Straße? Wer Glück hat, kommt bei Freunden unter oder eben in Raum 58. Dirk Mesenbrock vom CVJM spricht von einer verdeckten Obdachlosigkeit.
Die politische Diskussion darüber, welche Angebote obdachlose junge Erwachsene benötigen, sei nicht beendet, sagt Björn-Enno Hermans. Der Schaustellerwagen vor Raum 58 ist ein Provisorium vorerst bis Ende März, wenn es auf den Straßen nachts nicht mehr so kalt ist.