Essen. Janita Juvonen hat Drogen und Obdachlosigkeit besiegt. Doch die Essenerin verlor alle Zähne, braucht eine teure Behandlung. Die Kasse zahlt nicht

Seit ihrer Jugend war sie obdachlos und drogensüchtig, 14 Jahre lang. Dass Janita Juvonen heute noch lebt, grenzt an ein Wunder. Das Leben auf der Straße hat ihre Gesundheit zerstört, sie hat sämtliche Zähne verloren. Ein Gebiss kann der heute 41-Jährigen nicht helfen, sie benötigt Implantate. Die kostspielige Behandlung aber trägt die Krankenkasse nicht: „Wir müssen uns als gesetzliche Krankenkassen an gesetzliche Vorgaben halten, so dass uns im Fall von Frau Juvonen leider die Hände gebunden sind“, teilt Andreas Reinwand von der Barmer Ersatzkasse mit.

Schon als ihr vor über zehn Jahren die Zähne gezogen werden mussten, habe der behandelnde Arzt Implantate empfohlen, erinnert sich Janita Juvonen. „Aber wegen der hohen Zuzahlung konnte ich mir das nicht leisten. Ich hatte keine Familie, keine Freunde – wer hätte mir dafür Geld geben können?“ Sie war damals froh, überhaupt krankenversichert zu sein und ein Gebiss zu bekommen. „Ich hatte vorher jahrelang keine Krankenversicherung, habe mir nach dem Entzug mühselig ein eigenständiges Leben aufgebaut. Meine erste eigene Wohnung hatte ich mit 32.“

Mit 16 Jahren landete sie auf der Straße, schlief unter der Brücke

Janita Juvonen erzählt offen von den leiblichen Eltern, die drogen- und alkoholabhängig waren. Und von den überforderten Adoptiveltern, die sie und ihre Schwester mit Beschimpfungen und Gewalt erzogen hätten. Schon sehr früh habe sie geraucht und gekifft, mit 14 kam Heroin dazu, mit 16 verließ sie endgültig das Zuhause, in dem sie sich unerwünscht fühlte. Lange schlief sie unter der Brücke im Waldthausenpark, gewärmt von Drogen und einer geschenkten Decke, beschützt von den Schicksalsgenossen.

Als Janita Juvonen 22 Jahre alt war, berichtete die Bildzeitung über ihr Leben auf der Straße. Sie schlief damals unter der Brücke im Waldthausen-Park in der Essener Innenstadt.
Als Janita Juvonen 22 Jahre alt war, berichtete die Bildzeitung über ihr Leben auf der Straße. Sie schlief damals unter der Brücke im Waldthausen-Park in der Essener Innenstadt. © cw

Inzwischen nimmt sie seit 14 Jahren keine Drogen mehr, seit sechs Jahren benötigt sie auch keine Substitutionsmittel mehr. „Ich bin clean. Sogar das Rauchen habe ich aufgegeben.“ Sie hat einen Lebensgefährten und eine Aufgabe gefunden: „Ich spreche in Schulen über meine Drogensucht.“ Zu den Präventionsvorträgen gehöre, dass sie erzählt, wie toll ein Rausch sein kann – und wie hoch der Preis, den man dafür zahlt.

Beinahe hätte ihr Bein amputiert werden müssen

Ihr selbst etwa hätte beinahe das Bein amputiert werden müssen. Es konnte gerettet werden, doch wegen der Folgeschäden ist Juvonen heute Frührentnerin. Als noch schlimmer erweist sich jetzt ihre Zahnlosigkeit und der notgedrungene Verzicht auf die Implantate. Zwar sei sie erst gut mit dem Gebiss klar gekommen, doch vor einigen Jahren begannen die Probleme, die bis heute anhalten.

„Das Gebiss hält nicht mehr, verrutscht, so dass sich Druckstellen bilden“, berichtet sie. Ständig habe sie Wunden im ganzen Mund, die Schmerzen verursachen. Inzwischen lägen Nerven frei, auf der rechten Seite so sehr, dass sie nur noch links kaue, nur weiche Dinge esse. Fehlhaltungen und Schonbewegungen haben dazu geführt, dass der Schmerz in den Nacken- und Beckenbereich wanderte. Physiotherapie helfe nur bedingt.

Obwohl sie chronische Schmerzen hat, zählt sie nicht zu den besonders schweren Fällen

Janita Juvonen erzählt ihre Leidensgeschichte sachlich, doch man spürt ihre Verzweiflung. Bei ungezählten Zahnarztbesuchen hat sie eine Lösung des Problems gesucht. Auch ein neues Gebiss könne ihre Schmerzen nicht beenden: „Mein Kiefer hat sich zurückgebildet, der Knochen verschwindet.“ Eine fortgeschrittene Kieferatrophie. Helfen könnten ihr jetzt nur noch einzelne Implantate, an denen eine neue Prothese befestigt würde. „Die läge so nämlich nicht mehr auf dem Nerv.“ Aus medizinischer Sicht sinnvoll wäre es, zuvor noch einen Knochenaufbau zu machen. Doch auch ohne den würde eine implantatgestützte Prothese schon um die 20.000 Euro kosten.

Gezeichnet von der Drogensucht und dem Leben auf der Straße: Janita Juvonen mit etwa 30 Jahren.
Gezeichnet von der Drogensucht und dem Leben auf der Straße: Janita Juvonen mit etwa 30 Jahren. © Juvonen

Ihr Zahnarzt hat die Implantat-Variante empfohlen, anders sei Janita Juvonen nicht zu helfen. Die Barmer Ersatzkasse lehnte ab: Die gesetzlichen Krankenkassen dürften diese Leistung nur in den „besonders schweren Fällen“ übernehmen, die gesetzlich festgelegt seien – die Kieferatrophie gehöre nicht dazu.

Gutachter bestätigt: Eine konventionelle Prothese kann ihr nicht helfen

Die 41-Jährige legte Widerspruch ein, wurde von einem Gutachter untersucht. Dieser stellte neben der „hochgradigen Atrophie“ auch fest, dass der Austrittspunkt des Nerves sich verlagert habe, „so dass es zu einer traumatischen Schmerzausbildung“ komme, wenn Frau Juvonen das Gebiss einsetze. Sein Fazit: „In diesem Fall ist eine ausreichende Wiederherstellung mit einem konventionellen Zahnersatz (Vollprothesen) nicht mehr möglich.“

Appell an die Hilfsbereitschaft: Spendet für den Zahnersatz

Für den Fall, dass die Krankenkasse hart bleibt und die Kosten für den „implantatgestützten Zahnersatz“ nicht übernimmt, setzt Dirk Spiekermann auf die Hilfsbereitschaft anderer. Auf dem Spenden-Portal „Go fund me“ sammelt er Geld für den Zahnersatz für seine Lebensgefährtin Janita Juvonen.

Die Kampagne läuft unter dem Slogan „Janita möchte wieder essen können“ und findet sich hier: https://www.gofundme.com/f/janita-mochte-wieder-essen-konnen

Es klingt nach einem Erfolg für Janita Juvonen, doch im letzten Satz verweist auch der Gutachter darauf, dass die Kasse die Kosten trotzdem nicht tragen könne: Die Diagnose sei „keine Ausnahmeindikation im Sinne der Richtlinien“. Folgerichtig lehnte die Kasse die Übernahme der Kosten Mitte Juni ab.

Auf unsere Anfrage hin teilt die Barmer nun mit, dass man mit der behandelnden Praxis gesprochen habe: Diese sei bereit, die prothetische Behandlung für gut 12.000 Euro zu erbringen. Die Kasse wiederum könne Juvonen den „doppelten Festzuschuss“ zahlen: 1901 Euro. Bleibt eine Finanzierungslücke von stolzen 10.000 Euro. Und: Dazu kämen ja noch die Kosten der Implantate von etwa 13.000 Euro, sagt Janita Juvonen.

Der Gesetzgeber hat Fälle wie ihren wegen der drohenden Kosten bewusst ausgeschlossen: Es gibt so viele Betroffene

Für die Versicherte sei das natürlich „unheimlich unbefriedigend“, gesteht Andreas Reinwand, Referent für Gesundheitspolitik bei der Barmer. Der Gesetzgeber habe die Kieferatrophie bewusst aus den Indikationen ausgenommen, weil sie so verbreitet sei. Glücklich, wer privat- oder zusatzversichert sei. „Wir aber sind ans Sozialgesetzbuch gebunden und haben da leider keinen Ermessensspielraum.“

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Für die 41 Jahre alte Janita Juvonen heißt das, dass sie notfalls zahnlos durch ihr hart erkämpftes Leben gehen müsste. Das schmerzende Gebiss könnte sie für die Mahlzeiten ja einsetzen, sagt Reinwand. „Ich finde es niederschmetternd, dass wir Frau Juvonen nicht anders helfen können. Zumal sie sich so bewundernswert aus ihrer Drogensucht herausgekämpft hat.“

Ob sie den Kampf um einen vernünftigen Zahnersatz verliert, entscheidet sich wohl am Mittwoch (15. Juli): Dann tagt der Widerspruchsausschuss der Barmer – er könnte die Implantate noch bewilligen.