Essen. . Wie soll niederschwellige Hilfe konkret aussehen, und welche Maßnahmen aus dem umfangreichen Repertoire der Jugendhilfe sind tatsächlich sinnvoll? Eine Tagung beschäftigte sich mit Situation obdachloser Jugendlicher.

Was tun, wenn man es zu Hause nicht mehr ausgehalten hat, die Nächte fortan auf Parkbänken verbringt und der Magen knurrt? Jugendliche, bei denen sämtliche Maßnahmen der Jugendhilfe nicht gefruchtet haben, werden im Fachjargon als Systemsprenger bezeichnet. Viele von ihnen stehen auf der Straße. Solche Menschen zwischen 14 und 21 Jahren sind es häufig, die im Raum 58, der Notschlafstelle für Jugendliche aus Essen und Umgebung, um ein Nachtasyl bitten. In diesem Jahr wird die Einrichtung zehn Jahre alt.

Niederschwellige Hilfe

Ein bezogenes Bett und eine warme Mahlzeit gibt es dort, wenn „die Schlafgäste sich an die Spielregeln halten“, sagt Leiterin Manuela Grötschel. „Jegliche Form von Gewalt und aggressivem Verhalten ist tabu.“ Einem Drogentest würden die Jugendlichen vor ihrem Aufenthalt jedoch nicht unterzogen. Man wolle „bewusst ein niederschwelliges Angebot schaffen“. Vielmehr gelte es, mit Fingerspitzengefühl das Gespräch mit den Betroffenen zu suchen. „Dabei darf man nie mit der Tür ins Haus fallen“, so die Pädagogin. Nach vier Tagen Aufenthalt informieren die Mitarbeiter das Jugendamt.

Doch wie soll niederschwellige Hilfe konkret aussehen, und welche Maßnahmen aus dem umfangreichen Repertoire der Jugendhilfe sind tatsächlich sinnvoll? Mit diesen Fragen beschäftigte sich gestern eine Tagung, zu der gut 200 Fachkräfte verschiedener Institutionen der Jugendhilfe ins Kongresshotel Atlantic gekommen waren. Laut einer Studie der Organisation Terre des Hommes lag 2007 die Zahl der Jugendlichen ohne festen Wohnsitz bundesweit bei 9000 – in Essen schwankt die Zahl derzeit zwischen 140 und 170.

Kein Patentrezept vorhanden

Meist stammen die Jugendlichen aus schwierigen Familienverhältnissen, doch das Problem zieht sich durch alle sozialen Schichten, weiß Erziehungswissenschaftler Menno Baumann. „Wir brauchen da ein komplexeres Menschenbild.“ Die genetische Veranlagung spiele im Vergleich zur Prägung durch das soziale Milieu nur eine geringe Rolle. „Mit mehr Bildungsgerechtigkeit würden wir unserem Ziel, die Jugendlichen von der Straße zu holen, einen großen Schritt näher kommen.“

Doch ein Patentrezept gegen die Systemsprenger scheint es nicht zu geben. Menno Baumann benennt klar, was für ihn jedenfalls nicht die Lösung sein kann: „Die ständige Forderung nach mehr Härte. Erziehungslager haben noch nie aus straffälligen Jugendlichen bessere Menschen gemacht.“

Mangelnde Beständigkeit in der Betreuung der Jugendlichen ist nach Meinung der Experten eine weitere Schwierigkeit, wenn die Betroffenen durch die Institutionen gereicht und an immer neue Bezugspersonen vermittelt würden. Doch Manuela Grötschel gibt auch Anlass zu Optimismus: „Gerade die Jugendlichen, die am längsten gebraucht haben, um sich von uns abzunabeln, schaffen größtenteils den Absprung in ein geordnetes Leben.“