Essen. Nach zehn Jahren steht Tomás Netopil als Generalmusikdirektor der Essener Philharmoniker letztmalig am Pult. Es soll kein Abschied für immer sein

Tomás Netopil verabschiedet sich in diesen Tagen mit einem „Tschechischen Märchen“ aus Essen. Der Titel seines letzten gemeinsamen Sinfoniekonzerts mit den Essener Philharmonikern markiert gewissermaßen der Leitfaden seines zehnjährigen Schaffens im Ruhrgebiet. Das slawische Repertoire hat seine Zusammenarbeit mit dem Orchester geprägt. Auch hierzulande eher unbekannte Tonschöpfer wie Josef Suk oder Bohuslav Martinů gehören seither zu den vertrauten Namen auf Essens Konzerthaus-Spielplänen und werden auch Netopils Abschiedskonzerte prägen. Höhepunkt der beiden Abende ist Dvořáks Chorwerk „Te Deum“ mit großem Klangapparat.

Wer Netopil zwischen letzten Proben und Auftritt trifft, erlebt einen entspannten Pultchef, der ein Stück der böhmischen Seele längst in Essen verankert hat. „Ich habe das Gefühl, die Musiker haben das mittlerweile im Blut“, lächelt der 48-Jährige. Neben den slawischen Komponisten haben Mozart, aber auch Wagner oder Strauss und zuletzt die gefeierte Uraufführung des Oper-Auftragswerkes „Dogville“ das ohnehin vielfältige Spektrum noch erweitert.

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Dazu kommen glanzvolle und vielfältig programmierte Konzertabende, darunter überragende Mahler-Interpretationen. Eben erst ist die Einspielung von Gustav Mahlers 3. Sinfonie auf CD erschienen, „der Gipfel unserer gemeinsamen Arbeit“, sagt Netopil. Und bleibendes Dokument einer langjährigen Partnerschaft, die nicht nur durch die Corona-Jahre bisweilen eben auch eine Fernbeziehung war. Dass Netopil in der ärgsten Pandemiephase binnen 24 Stunden mit dem Auto vom heimischen Kroměříž, nach Essen und zurück gefahren ist, weil es keine andere Möglichkeit gab, gehört gewiss zu den besonderen Herausforderungen der Zusammenarbeit.

In der Jubiläumssaison wird Netopil aus Gastdirigent nach Essen zurückkehren

Zehn Jahre lang war Netopil Generalmusikdirektor der Essener Philharmoniker – so lange war der Tscheche bislang mit keinem anderen Orchester eng verbunden. Da fällt auch einem Weltreisenden in Sachen Musik der Abschied nicht ganz leicht. „Eigentlich habe ich schon seit Anfang des Jahres an diese letzte Woche gedacht“, verrät der 47-jährige Familienvater, „aber jetzt genießen wir einfach jeden Moment“. Anders als der im vergangenen Jahr verstorbene Orchesterchef Stefan Soltesz, der nach dem Abschied aus Essen lange Jahre nicht mehr ans Essener Pult zurückkehren wollte, wird Netopil schon im kommenden Frühjahr wieder an seine alten Arbeitsstätte zurückkehren. Neben Janáček und Bartók soll dann Dvořáks Sinfonie Nr. 9 „Aus der Neuen Welt“ erklingen.

Bis dahin ist der Terminplan prall gefüllt. Konzerthäuser von Amerika über Kanada bis Japan erwarten den agilen Maestro. Fest an ein Haus binden will sich Netopil in der nächsten Zeit aber erst einmal nicht. Die Bewegung, das Reisen, die Arbeit mit unterschiedlichen Orchestern sind der Motor dieses Musikers. Seine vertraglich begrenzte Präsenzpflicht in Essen hat am Ende beiden Seiten, Orchester wie Dirigenten, die Möglichkeit eröffnet, in der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern durchaus noch einmal an Güte und Strahlkraft zu gewinnen.

Der Generalmusikdirektor schwärmt über die „absolute Transparenz des Klangs“

Mit einem Bein weiterhin fest in seiner tschechischen Heimat verankert, hat der studierte Geiger und einstiger Gewinner des 1. Solti-Dirigentenwettbewerbs mittlerweile mit zahllosen internationalen Klangkörpern gearbeitet, vom Orchestre de Paris über das London Philharmonic Orchestra bis zum Tonhallen-Orchester Zürich. Die besondere Qualität „seiner“ Essener Philharmoniker aber bringt Netopil immer wieder ins Schwärmen. „Diese absolute Transparenz des Klangs“ sei herausragend, „das hört man nicht so oft“. Zur superben Klangqualität komme der „absolute Wille, an der Bestleistung zu arbeiten“.

So gehen beide Seiten nach zehn Jahren in weitgehendem Einverständnis auseinander, offen für all das Neue, was da kommt. Ihren 125. Geburtstag feiern die Essener Philharmoniker in der kommenden Spielzeit schon unter der Leitung des neuen GMD Andrea Sanguineti. Und auch Netopils Terminkalender ist gut gefüllt: Korea, Kroměříž, Prag. Die böhmische Seele wird mitreisen und ihre Flügel von Zeit zu Zeit wohl weiter in Richtung Essen ausspannen.