Essen. Mit der Ära des Intendanten Tombeil endet für die Hälfte des Ensembles die Zeit in Essen. Hier erzählen sie, warum sie das Haus ungern verlassen

Die Hoffnung ist zuletzt gestorben. Ihr Vertrag wurde nicht verlängert. Und obwohl alle Schauspieler wissen, dass mit einem Intendantenwechsel stets auch ihr Bleiben beendet werden könnte, hat das halbe Ensemble des scheidenden Theaterchefs Christian Tombeil die Entscheidung gegen sie mehr oder weniger hart getroffen. Die neuen Intendantinnen Christina Zintl und Selen Kara nehmen neun Schauspielerinnen und Schauspieler mit in ihr Team, acht müssen gehen. Hier blicken sieben von ihnen auf ihre „wunderbare“ Zeit in Essen zurück und erzählen, wohin für sie die Reise geht.

Thomas Büchel will mit seiner Frau als Alleinverdienerin und Kindern einen Neustart in Halle versuchen.
Thomas Büchel will mit seiner Frau als Alleinverdienerin und Kindern einen Neustart in Halle versuchen. © Foto: Phlipp Noack

Thomas Büchel

Nach 18 Umzügen ist Thomas Büchel in Essen gelandet und hat in zehn Jahren wie nie zuvor Wurzeln geschlagen. Er fühlt sich wohl an diesem Theater. „Das besondere an Essen ist der Ensemble-Charakter. Jeder hat mit jedem gespielt. Alle großen Rollen wurden aus dem Ensemble besetzt. Und der Intendant hatte immer ein offenes Ohr für soziale Aspekte“, so der 58-Jährige, der als Harpagon in „Der Geizige“ und als allzu guter Othello in „Das Prinzip Jago“ brillierte. Als die Nichtverlängerung seines Vertrages nach der Anhörung eintraf, war er schockiert. „Damit hatte ich nicht gerechnet. Weder meine drei schulpflichtigen Kinder noch mein Alter zählten“, berichtet er. Trotz guter Kontakte hat er kein neues Festengagement gefunden. Zunächst wird er sich um die Kinder kümmern, während seine Frau versucht, in Halle als Managerin einer neurologischen Praxis Fuß zu fassen.

Dennis Bodenbinder geht ans Pfalztheater Kaiserslautern.
Dennis Bodenbinder geht ans Pfalztheater Kaiserslautern. © Foto: Philipp Noack

Dennis Bodenbinder

„Mir geht es gut“, sagt Dennis Bodenbinder fröhlich. Dabei hat sein erstes Festengagement nach dem Studium in Leipzig begonnen, als Corona die deutschen Bühnen fest im Griff hatte und Aufführungen nicht möglich waren. „Die familiäre Atmosphäre am Haus hat sich durch die ganze Zeit gezogen und mir den Einstieg sehr leicht gemacht. Künstlerisch war es sehr intensiv durch die unterschiedlichen Handschriften der Regisseure“, so der 29-Jährige. Er liebt vor allem die „Merlin“-Produktion, bei der er mit dem ganzen Ensemble spielt, und „Fünf gelöschte Nachrichten“, bei der er allein auf der Bühne steht. Dass er nicht in Essen bleiben kann, ist für ihn okay. Er kann sich aber auch als einziger Schauspieler aus Essen über einen neuen Vertrag freuen. Im Pfalztheater Kaiserslautern beginnen für ihn bald die Vorproben zu „Hummer und Durst“.

Trixi Strobel geht nach Berlin, wo sie sich freischaffend auf Film und Fernsehen konzentrieren will.
Trixi Strobel geht nach Berlin, wo sie sich freischaffend auf Film und Fernsehen konzentrieren will. © Foto: Philipp Noack

Beatrix „Trixi“ Strobel

Wie Dennis Bodenbinder erhielt Beatrix Strobel ihr Erstengagement in Essen nach dem Studium. Sie kam von der Berliner Schauspielschule Ernst Busch und war schnell begeistert von der Offenheit des Publikums und der Mischung an Rollen, die man ihr anbot. Zwischen dem Filmprojekt „Arbeiterinnen“ und der Helena in „Ein Sommernachtstraum“ ist ihr die Figur des kleinen Oskar, der seinen Vater bei den Terroranschlägen des 11. September in „Extrem laut und unglaublich nah“ verliert, die wichtigste. „Eine der schönsten und prägnantesten Arbeiten neben Sir Mordred in ,Merlin’“, befindet die 26-Jährige. Mit der Nichtverlängerung hatte sie gerechnet, auch wenn sie Essen nicht gerne verlässt. Sie geht zurück nach Berlin, wo sie sich freischaffend auf Film und Fernsehen konzentrieren will. Ein Anfang ist gemacht mit der RTL-plus-Serie „Gute Freunde – Der Aufstieg des FC Bayern“, die in diesem Sommer beim Filmfest München präsentiert wird. Sie spielt Uschi, die Frau von Fußballlegende Gerd Müller.

Stefan Migge wird sich zunächst um seine Tochter kümmern.
Stefan Migge wird sich zunächst um seine Tochter kümmern. © Foto: Philipp Noack

Stefan Migge

„Ich hatte eine gute Zeit in Essen. Meine Tochter ist hier geboren. Ich mochte die Kollegen, die Leitung, die Stadt, die Menschen – sonst wäre ich nicht sechs Jahre geblieben“, sagt Stefan Migge. Ihm gefiel die hohe Professionalität des Ensembles verbunden mit dem familiären Gefühl, der Qualitätsanspruch von Christian Tombeil, bei dem das Persönliche nie zu kurz kam. „Auerhaus“ mit Regisseur Karsten Dahlem und Thomas Krupas „Das beste aller möglichen Leben“ gehören zu den Favoriten während seines Engagements. Auch „AufRuhr“ von Volker Lösch mit einem Helikopterflug wird er nicht so schnell vergessen. Lange habe Ungewissheit geherrscht, was die Nichtverlängerung betrifft. „Das war zermürbend. Jetzt habe ich mich darauf eingestellt, aber ich wäre gerne geblieben. Wenn man eine Familie hat mit Nachbarschaft und Schule, ein soziales Gebilde, ist es das Schwerste das abzureißen“, so der 42-Jährige, für den jetzt ein Jobwechsel ansteht. Seine Frau, die auch Schauspielerin ist, wird zurück in den Beruf gehen. Er wird die Tochter versorgen.

Janina Sachau wünscht sich wieder ein festes Theaterengagement.
Janina Sachau wünscht sich wieder ein festes Theaterengagement. © Foto: Philipp Noack

Janina Sachau

„Die zehn Jahre in Essen waren eine ganz tolle Zeit“, erzählt Janina Sachau. Wie das Ensemble zusammengewachsen ist und Christian Tombeil das Haus geführt hat, beeindruckte sie. Sie hat ein Kind bekommen und konnte wieder einsteigen. „Ich frage mich, welcher Intendant das so begleitet hätte.“ Sie hat groß gespielt, war Heldin jeglicher Couleur von „Maria Stuart“, „Medea“ und „Anna Karenina“ bis hin zu Brod in „Alles ist erleuchtet“. Dann kam per Bote der Brief mit der Nichtverlängerung. „Ich war lange die einzige Frau, die mit dem Intendantenwechsel gehen muss, und fühlte mich wie ein fauler Apfel. Dieses Prozedere wird derzeit stark diskutiert und ich hoffe sehr, dass sich das ändert“, meint die 47-Jährige, die auf Bewerbungen nur Absagen erhielt. „Ab einem gewissen Alter ist es schwer für Frauen, etwas Festes zu bekommen. Ich wünsche mir, dass sich eine Gelegenheit ergibt. Ich liebe das Theater. Ob ich als Synchronsprecherin arbeiten, Hörbücher einlesen oder Werbung machen kann, wird man sehen.“

Sven Seeburg will seine Fühler Richtung Tonstudios ausstrecken, an Theatern gastieren und hat begonnen zu drehen.
Sven Seeburg will seine Fühler Richtung Tonstudios ausstrecken, an Theatern gastieren und hat begonnen zu drehen. © Foto: Philipp Noack

Sven Seeburg

„Ich bin mit Christian Tombeil vor 13 Jahren von Krefeld-Mönchengladbach nach Essen gekommen und habe es nicht bereut. Es waren wunderbare Jahre“, betont Sven Seeburg. Die Arbeiten mit Hermann Schmidt-Rahmer („Wir sind die Guten“) gehören zu seinen Höhepunkten. „Er hat immer Dinge gemacht, die unter den Nägeln brennen“, erklärt der 61-Jährige, der auch mit Karsten Dahlem („Nathan der Weise“), Thomas Goritzki („Misery“) und Nils Voges („Metropolis“) ganz besondere Produktionen auf die Beine gestellt hat. „Die Region, das große Miteinander des Ensembles und das tolle Publikum sind mir sehr ans Herz gewachsen“, sagt Seeburg. Die Nichtverlängerung war auch für ihn eine harte Nuss. Er will nun seine Fühler Richtung Tonstudios ausstrecken, an Theatern gastieren und hat begonnen zu drehen. „Ich bin nicht pessimistisch. Wenn eine Tür zu geht, geht eine andere auf.“

Das Ensemble und sein Abschiedsfest

Schauspieler, die bleiben: Lene Dax, Stefan Diekmann, Alexey Ekimov, Floriane Kleinpaß, Ines Krug, Philipp Noack, Sabine Osthoff, Jan Pröhl und Silvia Weiskopf.

Sie feiern gemeinsam mit den scheidenden Kolleginnen und Kollegen, Intendant Christian Tombeil und dem Publikum Abschied und Neuanfang im und vor dem Grillo-Theater. Um 17 Uhr sagt das Ensemble Adieu auf dem Theatervorplatz. Ab 18 Uhr heißt es im Grillo noch einmal „Für mich soll’s rote Rosen regnen“. Der Erlös des Wunschkonzertes geht an die Elterninitiative zur Unterstützung krebskranker Kinder e.V.. Wer keinen Sitzplatz im Grillo-Theater ergattert, kann das Geschehen via Live-Stream draußen vor der Tür verfolgen. Karten (10 Euro) auf www.theater-essen.de

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