Essen-Altenessen/Katernberg. Vor einem Jahr hat der erste Essener Gesundheitskiosk eröffnet. Darum fordert die AOK-Krankenkasse, dass sich auch andere finanziell beteiligen.

Den Gesundheitskiosk in Essen gibt es jetzt seit etwas mehr als einem Jahr. Patienten und Patientinnen sollen dort in Fragen zur Gesundheitsförderung und Prävention niederschwellig unterstützt und auf ihrem Weg zu einer geeigneten Behandlung begleitet werden. Das Team will Hilfe zur Selbsthilfe geben, etwa bei der Haus- und Facharztsuche unterstützen, über komplexe Krankheiten aufklären, Ernährungsberatung geben und Arztbriefe übersetzen. Finanziert wird die Einrichtung jeweils zur Hälfte von der Stadt und der Krankenkasse AOK. Die fordert, dass sich noch weitere Institutionen an der Finanzierung beteiligen.

1200 Beratungen im Altenessener Gesundheitskiosk in einem Jahr

„Immer weniger Patientinnen und Patienten kommen in unserem komplexen System zurecht. Wir dürfen daher nicht stehenbleiben“, sagt Matthias Mohrmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg, der auch andere Einrichtungen dieser Art kennt, etwa in Hamburg und Köln.

Stehengeblieben ist man in Essen tatsächlich nicht, „die Zahl der Gespräche nimmt seit dem Start stetig zu“, sagt Gesundheitskiosk-Sprecherin Mirja Berresheim. Rund 1200 Beratungsgespräche habe das Team in Altenessen seit der Eröffnung geführt. In Katernberg wurde zudem ein zweiter Standort eröffnet, sechs Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sprechen acht verschiedene Sprachen und wechseln zwischen den beiden Stadtteilen. „Unser Team soll weiter wachsen“, erklärt Leiterin Nicole Ginter. „Der Bedarf ist da.“ Die bislang angebotenen Sprachen möchte sie im ersten Schritt um Farsi, Dari und Rumänisch erweitern.

AOK will Zahl der Kostenträger für Gesundheitskiosk erweitern

Matthias Mohrmann hat zudem Interesse daran, die Zahl der Kostenträger zu erweitern – entweder um weitere Krankenkassen, oder aber beispielsweise um Jobcenter und Rentenversicherungsträger, Arbeitslosigkeit und Rehamaßnahmen würden im Krankheitsprozess schließlich auch oft relevant sein. Die Kosten für den Betrieb der Gesundheitskioske wurden zuletzt mit 250.000 Euro pro Standort im Jahr kalkuliert.

Sechs Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beraten die Kunden und Kundinnen der beiden Essener Gesundheitskioske in acht unterschiedlichen Sprachen.
Sechs Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beraten die Kunden und Kundinnen der beiden Essener Gesundheitskioske in acht unterschiedlichen Sprachen. © Gesundheitskiosk

Mohrmann erklärt, dass es bei den Kunden und Kundinnen oft um mehr als körperliche Gesundheit gehe. So sei eine Familie beispielsweise auf Anraten des Kinderarztes in den Gesundheitskiosk geschickt worden. Er hatte bereits diagnostiziert, dass das fünfjährige Mädchen eine autistische Störung hat. Das Team im Gesundheitskiosk konnte der Familie unter anderem dabei helfen, diese Diagnose zu verstehen, eine Schulbegleitung zu organisieren und weitere Hilfsmittel anzubieten.

„Manchmal ist es wichtig, das Problem zu zerlegen und ganzheitlich zu betrachten“, so Mohrmann. In der Arztpraxis sei aber oft nicht die Zeit, sich 40 Minuten mit sozialen Problemen zu beschäftigen. Man könne aber oft im Frühstadium einer Krankheit schon aktiv werden.

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Im Idealfall würde ein Kinderarzt in diesem Fall also nicht nur die Diagnose stellen, sondern die Familie auch in ihrer Muttersprache über die Krankheit aufklären, ihnen erklären, welche Unterstützung sie bekommen könnte, den Eltern beim Ausfüllen der entsprechenden Formulare helfen und ihnen anbieten, jederzeit wiederzukommen, wenn sich entweder der Zustand ihrer Tochter gesundheitlich ändert oder wenn sie Probleme mit der deutschen Bürokratie haben. Tatsächlich passiert in der Kinderarztpraxis meistens nur Schritt eins. Nicht, weil der Arzt oder die Ärztin nicht mehr leisten will, sondern weil das Wartezimmer oft aus allen Nähten platzt. Fachärzte sind Mangelware, besonders im Essener Norden.

Gesundheitskiosk: Karl Lauterbach hatte bundesweite Verbreitung angekündigt

Aus Sicht der Krankenkasse kann es also sinnvoll und auf lange Sicht auch günstiger sein, wenn die Patienten und Patientinnen ganzheitlich im Gesundheitskiosk aufgeklärt werden. Schlimme Krankheitsverläufe sind in der Regel teurer, als jene, die im Anfangsstadium gut behandelt werden. Geht eine Krebspatientin regelmäßig zu Chemotherapie und Bestrahlung und fährt zwischendurch vielleicht sogar zur Kur ist das unter Umständen günstiger, als wenn sie irgendwann wochenlang stationär behandelt werden muss.

Den finanziellen Aspekt will Matthias Mohrmann aber gar nicht so sehr in den Vordergrund stellen: „Unsere Krankenkasse ist nicht an Rendite orientiert. Wir unterstützen die Gesundheitskioske vielmehr, weil wir eine Verantwortung haben. Wir wollen Menschen unterstützen, die vielleicht aufgrund ihres sozialen Status nicht die gleichen Chancen haben wie andere.“

In Hamburg hätten abseits der AOK noch andere Krankenkassen den Gesundheitskiosk unterstützt, erklärt Mohrmann. Als Gesundheitsminister Karl Lauterbach im vergangenen Jahr angekündigt habe, 1000 Einrichtungen dieser Art in Deutschland zu errichten, seien die anderen Krankenkassen aus der Finanzierung ausgestiegen – der Kostendruck schien ihnen dann doch zu hoch.

Gesundheitskiosk: AOK hofft auch wissenschaftliche Evaluation

Mohrmann setzt jetzt auf das sogenannte Versorgungsgesetz I, dass der Bund im Laufe dieses Jahres auf den Weg bringen will. Im Fokus steht dabei zum einen „die Stärkung der Medizin in der Kommune“ und zum anderen die „Stärkung des Zugangs zu gesundheitlicher Versorgung“. Mohrmann hofft, dass darin verankert wird, dass die Gesundheitskioske durch mehrere Kostenträger finanziert werden. Außerdem hofft er, dass eine langfristige wissenschaftliche Evaluierung verankert wird.

In Hamburg konnte bereits nachgewiesen werden, dass die Notaufnahmen der Krankenhäuser nach der Eröffnung des Gesundheitskiosks weniger häufig aufgesucht wurden. Welche langfristigen Effekte die Einrichtungen haben, ist bisher jedoch unklar.

Angebote und Kontakt

„Hep Check im Stadtteil“ heißt ein Angebot im Katernberger Gesundheitskiosk, zu dem Interessierte für Mittwoch, 24. Mai, eingeladen sind. Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt und der Aidshilfe Essen durchgeführt. Zwischen 17.30 und 19.30 Uhr bieten Gesundheitsbotschafter vor Ort Hepatitistests an. Das Team spricht Englisch, Französisch, Farsi, Arabisch, Türkisch, Russisch und weitere Sprachen. Weitere Termine jeweils von 17.30 bis 19.30 Uhr: Donnerstag, 29. Juni: Treffpunkt Altendorf, Kopernikusstraße 8, Freitag, 28. Juli, Viel-Respekt-Zentrum, Rottstraße 24–26 in der City, Mittwoch, 23. August: Interkulturelles Zentrum „Der Kreuzer“, Friedrich-Lange-Straße 3 in Bochold, Mittwoch, 27. September: FM. 56 – Stadtteilbüro Frohnhausen, Mülheimer Straße 56.

„Psychische Gesundheit: Wer hilft? Ein Überblick über das Hilfesystem – in Arabisch“ heißt ein Angebot, das das Team des Gesundheitskiosks in Kooperation mit der Selbsthilfeberatung Wiese e.V. durchführt. Treffpunkt für Interessierte ist am Donnerstag, 25. Mai, im Gesundheitskiosk Katernberg, Meybuschhof 43.

Der Kiosk in Katernberg und an der Altenessener Straße in der Alten Badeanstalt sind beide montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr geöffnet. Weitere Infos sowie Terminvereinbarung unter 0201 319375-770 oder per E-Mail an info@gesundheitskiosk.ruhr

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