Essen-Altenessen. Eine Essenerin ist wütend, weil ihr vom Team im Gesundheitskiosk nicht geholfen worden sei. Das sagt die Leiterin im Interview zu dem Fall.

Im Gesundheitskiosk sollen Essener seit Anfang Mai in Fragen zur Gesundheitsförderung beraten werden – niederschwellig, gratis und mehrsprachig. Geplant ist, Unterstützung zu liefern im Dschungel des deutschen Gesundheitssystems. Die 87-jährige Rosemarie Thiemann hatte sich allerdings kürzlich beschwert, weil ihr bei der Suche nach einem Hausarzt nicht geholfen worden sei. Sie hatte nach eigenen Angaben in der Einrichtung angerufen und wurde dort lediglich an die Rufnummer 116 117 verwiesen.

Im Interview erklärt Nicole Ginter (29), Leiterin des Gesundheitskiosks, warum ihre Kollegen in diesem Fall aus ihrer Perspektive richtig gehandelt haben, für wen der Gesundheitskiosk Anlaufstelle ist und was die Ziele des Teams sind.

Die Seniorin aus Frillendorf beklagt sich, dass das Team des Gesundheitskiosks ihr am Telefon nicht geholfen habe. Würden Sie das so bestätigen?

Unsere Hauptaufgabe ist die Gesundheitslotsung im System, gekoppelt mit Förderung der Gesundheitskompetenz. Wir wollen, dass die Leute sich eigenständig bewegen, damit sie sich selber helfen können. Wir unterstützen auch bei der Arztsuche. Wenn wir merken, dass die Leute fit sind und bei uns anrufen können, verweisen wir in so einem Fall auf die 116 117. Die, die dort arbeiten wissen, welcher Hausarzt Kapazitäten hat und können dann helfen. Wir sagen aber immer, wenn die Betroffenen mit der Nummer nicht klarkommen oder keiner drangegangen ist, sollen sie sich noch mal bei uns melden.

Was würden Sie dann machen?

Dann rufen wir entweder zusammen mit der Klientin bei der 116 117 an, oder wir machen das für die Person, wenn wir merken, es geht sonst nicht. Und wir bieten immer an, dass die Leute auch vorbeikommen können und wir dann hier vor Ort helfen.

Rosemarie Thiemann (87) ist auf der Suche nach einem neuen Hausarzt. Im Gesundheitskiosk fühlte sie sich nicht gut aufgehoben.
Rosemarie Thiemann (87) ist auf der Suche nach einem neuen Hausarzt. Im Gesundheitskiosk fühlte sie sich nicht gut aufgehoben. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Das scheint bei Rosemarie Thiemann so nicht angekommen zu sein. Es hört sich so an, als ob Personen, die fit erscheinen, nicht geholfen wird. Umgekehrt würde das heißen, es wird nur denen geholfen, die inkompetent auftreten.

Es wird denen geholfen die sagen, dass sie Hilfe brauchen. Der Standard hier ist, dass wir sagen, wenn die Klienten nicht alleine weiterkommen, können sie sich gerne wieder an uns wenden. Aber sie sollen auch für das nächste Mal lernen, wo sie sich direkt melden können, in diesem Fall also bei der 116 117. Das ist die Aufgabe der Lotsen – direkt an die richtige Stelle zu verweisen.

Wie kann man in einem kurzen Telefonat erkennen, ob jemand fit und kompetent ist?

99 Prozent der Kunden und Kundinnen sehen wir hier vor Ort, das macht es einfacher. Entweder es ist Laufkundschaft, oder sie werden von Ärzten oder anderen Einrichtungen zu uns geschickt. Frau Thiemann war die erste, die angerufen hat und einen Hausarzt gesucht hat. Die anderen, die anrufen, haben kleinere Anliegen, suchen etwa ein Fitnessstudio oder Angebote hier im Bezirk. Das sind Sachen, die man schnell am Telefon klären kann.

Wäre Rosemarie Thiemann in den Kiosk gekommen, wäre ihr auch gesagt worden: „Rufen Sie mal die 116 117 an“? Wäre denn keine Zeit und Kapazität, ihr hier direkt zu helfen?

Das schon, aber wir wollen ja die Gesundheitskompetenz fördern. Wir gucken also, ob die Person das auch alleine schaffen kann. Es geht darum, den Leuten beizubringen, wie sie sich selbst helfen können. Wir hätten ihr also auch hier vor Ort gesagt, sie soll bitte selbst die 116 117 anrufen und wir hätten erklärt, warum das die richtige Nummer ist. Hätte sie dann gesagt, sie braucht dabei Hilfe, hätten wir weiter geholfen.

Macht es bei einer 87-jährigen Frau nicht Sinn, den ersten Schritt zu überspringen und das direkt mit ihr zusammen zu machen?

Es ist doch wichtig, dass sie sich selbst helfen kann. Das Alter ist an der Stelle für uns kein Kriterium.

Nicole Ginter leitet den Gesundheitskiosk in Essen.
Nicole Ginter leitet den Gesundheitskiosk in Essen. © Iris Müller

Rosemarie Thiemann kommt aus Frillendorf. Ist der Gesundheitskiosk eigentlich für alle Essener oder nur für jene aus Altenessen, Karnap und Vogelheim gedacht?

Wir schicken keinen weg, wir helfen allen, sind aber vorzugsweise für den Essener Norden zuständig. Wenn jemand aus Rüttenscheid kommen würde, helfen wir auch gerne, gucken dann aber, dass wir die Person dort direkt perfekt anbinden, damit sie nicht noch mal wiederkommen muss, sondern in ihrer Nähe den richtigen Ansprechpartner findet.

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Die Leistungen des Gesundheitskiosk

Der Gesundheitskiosk sollen Patienten und Patientinnen in allen Fragen zur Gesundheitsförderung und Prävention unterstützen und auf ihrem Weg zu einer geeigneten Behandlung begleiten. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sprechen sieben verschiedene Sprachen. Das Angebot steht allen Menschen offen und ist kostenfrei.

Kontaktdaten: Altenessener Straße 393. Öffnungszeiten: montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr, 0201 319375-770, E-Mail: info@gesundheitskiosk.ruhr.

Die Leistungen umfassen unter anderem:

  • Lotsenfunktion innerhalb des Gesundheitssystems, Gesundheitskompetenz fördern.
  • Hilfe bei Antragsstellung (Pflegegrad, Grad der Behinderung, Zuzahlungsbefreiung etc.).
  • Organisation von Versorgungsleistungen (Pflegedienste, Haushaltshilfe, ambulant betreutes Wohnen, stationäre oder Tagespflege etc.).
  • Aufklärung (sprachlich, inhaltlich) über medizinischen Themen und verschiedene Krankheiten (Ärztebriefe, Krankenhausberichte, gesunder Lebensstil, Vorsorgeuntersuchungen etc.). Klienten und Klientinnen können sich beispielsweise komplexe Krankheiten wie Diabetes oder Herzerkrankungen erklären lassen oder sich bei einer Lebensstilveränderung wie Gewichtsabnahme helfen lassen.
  • Anbinden an Angebote im Bezirk (Sportangebote für Kinder, Soziale Kontakte, Selbsthilfegruppen etc.).
  • Unterstützung bei der Suche von Arztterminen und Psychotherapieplätzen.
  • Vor- und Nachbereitung von Arztterminen (sprachlich, inhaltlich).

Den Gesundheitskiosk in Katernberg soll am 3. Dezember am Meybuschhof 43 eröffnen. Geleitet wird er ebenfalls von Nicole Ginter. Die 29-Jährige ist medizinische Fachangestellte, hat ihren Bachelor in Biologie absolviert und studiert jetzt berufsbegleitend Public Health an der FOM Essen.

Der Fall von Rosemarie Thiemann ist Öl ins Feuer für jene, die sich gegen die Schließung der beiden Krankenhäuser im Essener Norden aufgebäumt haben und den Gesundheitskiosk als Trostpflaster sehen. Empfinden Sie Ihre Aufgabe vor diesem Hintergrund als undankbar und schwierig?

Der Fall von Rosemarie Thiemann ist vor allem schade, weil es ein Missverständnis gab. Sie hatte irgendwie nicht das Gefühl, sich nochmal melden zu können. Die Schließung der Krankenhäuser ist ein anderes Thema, weil der Gesundheitskiosk ganz andere Aufgaben hat als ein Krankenhaus.

Dennoch bringen die Menschen das immer wieder miteinander in Verbindung.

Das merken wir nicht. Am Anfang hat man das noch ein bisschen gehört. Jetzt sind die Kunden, die hierher kommen, sehr dankbar, dass wir hier sind. Wir haben nicht das Gefühl, uns rechtfertigen zu müssen. Dennoch müssen wir noch mehr Aufklärungsarbeit leisten und werden das auch tun. Der Gesundheitskiosk muss sich noch etablieren und rumsprechen. Viele wissen nicht, was wir tun, weil es so eine Einrichtung bisher noch gar nicht gab.

Das Konzept des Gesundheitskiosk umfasst mehr als die Unterstützung bei der Suche nach einem Hausarzt.

Wir sind als Gesundheitslotsen dafür zuständig den Menschen zu erklären, wo die richtigen Anlaufstellen für ihre Probleme sind. Gleichzeitig helfen wir auch konkret beispielsweise beim Ausfüllen von Anträgen etwa zum Grad der Schwerbehinderung oder Pflegestufe. Wir klären über komplexe Krankheiten wie Diabetes, Rheuma oder Herzerkrankungen auf – auch präventiv. Wenn es diese Krankheiten beispielsweise bei jemandem in der Familie gibt und die Leute sich informieren wollen, wie sie sich davor schützen können, sind sie hier willkommen.

Was bieten sie mit Blick auf die vorsorgliche Verhütung von Krankheiten?

Wir wollen die Leute schulen, damit sie erst gar nicht krank werden. Und wir wollen sie bei Lebensstilveränderungen unterstützen, etwa wenn sie abnehmen wollen. In so einem Fall können wir sie entweder an eine Beratungsstelle verweisen oder selbst tätig werden, beispielsweise, wenn die Klientin kein Deutsch spricht, können wir hier in sieben verschiedenen Sprachen helfen. Wir geben auch verschiedene Veranstaltungen und Seminare. Außerdem wollen wir Nischen füllen, etwa Selbsthilfegruppen gründen, die es hier noch nicht gibt.

Wie viele Kunden und Kundinnen kommen denn hierher? Welche Zahlen liegen Ihnen dazu vor?

Zwischen dem 1. Mai und dem 30. September hatten wir 409 Beratungen plus Telefonate. Das Durchschnittsalter derjenigen, die hierher kommen liegt bei 46 Jahren, die meisten kommen zwei bis drei Mal.

Haben Sie noch Kapazitäten oder ist der Gesundheitskiosk damit ausgelastet.

Wir haben definitiv noch Kapazitäten.

Warum macht in Katernberg im Dezember noch ein zweiter Gesundheitskiosk auf, wenn dieser hier noch gar nicht ausgelastet ist?

Der zweite Kiosk ist von vorneherein geplant gewesen. Die Idee ist, vor Ort zu sein und die Laufkundschaft abzugreifen. Der Kiosk in Katernberg wird größer sein und auch die Möglichkeit für Konferenzen und Schulungen bieten.