Essen. Die Zahl der verunglückten Kinder im Straßenverkehr ist in Essen angestiegen. Drei Kreuzungen hat die Polizei besonders im Fokus.
19 Schulwegunfälle zählte die Polizei im vergangenen Jahr – so viele wie zuletzt 2017. Keiner der Unfälle war tödlich. Dennoch ist es für Eltern ein Alptraum, wenn das Kind auf dem Schulweg verunglückt. Vor diesem Hintergrund fordert der Verein Fuß e.V. einen „fehlerverzeihenden Verkehrsraum“.
Um die Zahl der Unfälle einzuordnen, sollte beachtet werden: Jeden Tag machen sich in Essen rund 60.000 Schüler und Schülerinnen morgens auf den Weg zu einer Schule und nachmittags wieder zurück. Vier von ihnen wurden im vergangenen Jahr schwer verletzt, 15 leicht. Maria Brendel-Sperling von der Essener Verkehrswacht: „Jedes im Straßenverkehr verletzte Kind ist eines zu viel.“ Eine rechtzeitige und gute Vorbereitung auf den Schulweg sollte für alle obligatorisch sein.
Gesamtzahl der verunglückten Kinder im Essener Straßenverkehr auf Vor-Corona-Niveau
Während der Schulschließungen 2021 und 2020 verschwanden die Schulunfälle fast aus der Statistik. Es gab einen beziehungsweise drei Schulwegunfälle in Essen. Schaut man auf die Vor-Corona-Zeit waren es 2019 insgesamt 16, im Jahr davor 15 und 2017 ebenfalls 19. „Seit dem Jahr 2012, in dem 25 Kinder verunglückten, ging die Zahl kontinuierlich zurück“, weiß Maria Brendel-Sperling.
Polizeisprecher Pascal Pettinato gibt aber auch zu bedenken, dass die Statistik nur das angeben kann, was aus den Berichten hervorgeht. Vergisst der Beamte vor Ort, das entsprechende Kreuz bei „Schulwegunfall“ zu machen, taucht er auch nicht als solcher auf. Die Gesamtzahl der verunglückten Kinder in 2022 liegt mit 188 auf dem Vor-Corona-Niveau (2019: 189 verunglückte Kinder, 2021: 145). Fakt ist: Durchschnittlich jeden zweiten Tag verunglückt ein Kind auf Essens Straßen.
Kinderunfälle: Drei Kreuzungen als Unfallhäufungspunkte in Essen
Drei Kreuzungen hat die Polizei dabei in den vergangenen Jahren als Unfallhäufungspunkte mit Blick auf Kinderunfälle ausgearbeitet: Steeler Straße / Huttropstraße (Huttrop), Müller-Breslau-Straße / Richard-Wagner-Straße (Rüttenscheid) und Friedrich-Lange-Straße / Bocholder Straße (Bochold). An diesen Orten verunglückten in den vergangenen drei Jahren insgesamt zwölf Kinder zwischen acht und 13 Jahren. Die Unfallkommission soll jetzt erarbeiten, wie diese Kreuzungen für Kinder sicherer gestaltet werden können.
Für Aufsehen sorgte auch, als sich im November vergangenen Jahres drei Unfälle mit Kindern innerhalb von drei Wochen ereigneten. Ein 13-jähriger Junge war auf der Friedrich-Ebert-Straße angefahren worden. Er schwebte nach Angaben der Polizei drei Wochen lang in Lebensgefahr. Am 10. November wurde ein Zehnjähriger an der Dellwiger Straße von einem Pkw erfasst, als er aus einem Bus ausgestiegen war und die Straße überqueren wollte. An der Stoppenberger Ernestinenstraße traf ein Bus zwei Schulkinder.
Verunglückte Schulkinder in Essen nutzten Ampel nicht
Dass Kinder und Jugendliche unachtsam die Straße überqueren, um einen Bus noch zu erreichen, sei an vielen Stellen die Regel, sagte ein Busfahrer der Ruhrbahn, der sich nach der Berichterstattung über die Unfälle anonym bei unserer Redaktion gemeldet hatte: „In Rüttenscheid an der Haltestelle Karolinenstraße kommt es täglich zu gefährlichen Szenen“, hatte der Busfahrer beobachtet.
„Es sind viele kleine Schräubchen, an denen man drehen muss“, weiß Maria Brendel-Sperling, die im Zusammenhang mit dem Unfall auf der Ernestinenstraße darauf hinweist, dass wenige Meter weiter eine Ampel ist, die von den Schulkindern aber nicht genutzt wurde. Sie bestätigt, was Ulrich Sievers, Leiter der Verkehrsdirektion, zuletzt sagte: „Die Kinder haben während der Pandemie teilweise verlernt, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen.“
Erhöhtes Verkehrsaufkommen als Grund für Stagnation bei Kinderunfällen
Auch Pettinatio erklärt: „Als Gründe für die Stagnation bei Kinderunfällen werden das erhöhte Verkehrsaufkommen in Verbindung mit einer erhöhten Anzahl an Verkehrsunfällen und ein Lernverlust im Hinblick auf das richtige Verhalten im Straßenverkehr durch die Corona-Jahre angesehen.“ Auch Brendel-Sperling erklärt, dass die motorischen Fähigkeiten nachgelassen haben und den Schulkindern die Erfahrung im Straßenverkehr fehle, weil sie im Lockdown oft zu Hause waren. Wenn sie dann noch von den Eltern bis ins Klassenzimmer gebracht würden, fehle ihnen grundsätzlich die Übung im Straßenverkehr. Und der wird in Essen immer dichter.
Rund 370.000 Fahrzeuge sind in der Stadt zugelassen, 2008 waren es nach Angaben der Stadt noch rund 316.000. Brendel-Sperling gibt auch zu bedenken, dass die Autos immer größer werden: „Je größer das Auto, desto sicherer fühlt man sich, desto mehr verliert man das Gefühl für den Bremsweg.“ Durch die höhere Sitzposition hat man eine bessere Sicht auf den Verkehr, das Sichtfeld nach unten ist hingegen eingeschränkt – und unten laufen oft kleinere Menschen. Die Motorhaube eines SUVs ist meistens höher als Schulkinder, die demnach beim Überqueren einer Straße eine schlechte Sicht auf den Verkehr haben und von Fahrern und Fahrerinnen leichter übersehen werden können.
Polizei und Verkehrswacht Essen bieten Aktionen zur Verkehrsunfallprävention an
Was kann getan werden, um die Kinder besser zu schützen? Wolfgang Packmohr, ehemaliger Polizeidirektor und Vorsitzender der Essener Gruppe von Fuß e.V.: „Vor Schulen darf nicht geparkt oder gehalten werden, auf Schulwegen ist das Parken zu minimieren, Kreuzungen und Einmündungen müssen einsehbar sein.“ Bus- und Straßenbahnhaltestellen müssten so eingerichtet sein, dass nicht an haltenden Straßenbahnen oder Bussen vorbeigefahren werden kann. Packmohr: „Nur wenn man es nicht kann, macht man es auch nicht.“
„Verkehrsunfallprävention“ heißt das Zauberwort bei der Polizei, die eng mit der Verkehrswacht zusammenarbeitet. Bei der Schuleingangsuntersuchung werden Schreiben verteilt, die die Eltern daran erinnern, mit ihren Kindern den Schulweg zu üben. Vorschulkinder bekommen jährlich die Broschüre „Sicher zur Schule“.
Schulen werden aufgefordert, Schulwegpläne zu erstellen, auf Bannern weist die Verkehrswacht nach den Sommerferien Verkehrsteilnehmer darauf hin, dass die Schule wieder begonnen hat. Außerdem verteilt das Team Kappen und Regenponchos, damit Schulkinder im Verkehr besser gesehen werden. In den Jugendverkehrsschulen geht es zur Fahrradausbildung, Bezirksbeamte besuchen Kindergärten: „Wir wollen, dass die Kinder sicher zur Schule kommen und müssen daher im Kindergarten ansetzen“, so Brendel-Sperling.
Fußgängerlobby fordert sicheren Verkehrsraum
Aufzuklären alleine reiche aber nicht aus, betont Packmohr: „Die Kinder, die verunfallten, wussten, dass sie nicht einfach auf die Straße oder nicht bei Rot über die Ampel laufen durften, haben es aber trotzdem getan.“ Deswegen müsse der Verkehrsraum so gestaltet sein, dass Fehler verziehen werden können. Bei Kindern sei die Ursache häufig spontanes Verhalten; der Freund auf der anderen Straßenseite, die Straßenbahn, die man noch mitbekommen möchte.
Trotz aller Aktionen und Projekte betont Brendel-Sperling: „Autofahrer müssen immer Rücksicht nehmen und mit Fehlern von Kindern rechnen.“ Das ist auch in Paragraf drei der Straßenverkehrsordnung verankert: „Wer ein Fahrzeug führt, muss sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.“
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