Essen. Das Unfallgeschehen auf Essens Straßen hat sich in 2022 auf das Vor-Corona-Niveau eingependelt. Aber es gab auch alarmierende Ausreißer.

Mehr Verkehrsunfälle als in den beiden Coronajahren, mehr verunglückte Kinder und vor allem Senioren, die bislang höchste Zahl an Stürzen und Kollisionen bei den Pedelecfahrern und sieben Tote auf Essens Straßen - die am Mittwoch veröffentlichte Unfallbilanz der Polizei für 2022 spiegelt bei wenigen Ausreißern viel Erwartbares wider: Nach den Lockdowns und Einschränkungen für das öffentliche Leben war im vergangenen Jahr wieder deutlich mehr los auf den Straßen der Stadt - mit wenig überraschenden Folgen.

Das statistisch erfasste Unfallgeschehen hat sich mit wenigen Ausschlägen auf das Niveau vor der Pandemie eingependelt, sagte Polizeipräsident Andreas Stüve, der einen Wert allerdings besonders hervorhob: Obwohl die Zahl der Verkehrsunfälle binnen eines Jahres um 751 auf insgesamt 25.454 zulegte und mit 2075 Menschen 266 mehr verunglückten als im Jahr zuvor, sank die Zahl der Schwerverletzten auf ein Zehn-Jahres-Tief.

225 Unfallopfer verbrachten im vergangenen Jahr mindestens einen Tag im Krankenhaus (dann werden sie als Schwerverletzte kategorisiert), das waren 34 weniger als im Jahr zuvor und verglichen mit dem Vor-Corona-Jahr 2019 sogar ein Rückgang um 136. Demgegenüber stieg die Zahl der Leichtverletzten im Vergleich zu 2021 um 298 auf 2333. Sechs mehr zählte die Polizei in 2019. Tödlich verunglückten im Berichtsjahr sieben Menschen, 2021 waren es 5, in 2020 waren es ebenfalls sieben und 2019 verloren sechs Verkehrsteilnehmer ihr Leben.

Ein Vergleich mit der Bilanz vor 60 Jahren

„Bei aller Tragik“, sagte Polizeidirektor Ulrich Sievers als Leiter der Verkehrsdirektion, seien acht Tote (in Essen und Mülheim) „sehr kleine Zahlen“ - ein Vergleich mit der Bilanz von vor 60 Jahren mag dies verdeutlichen: 1962 starben 115 Menschen in Essen an den Folgen eines Verkehrsunfalls, während damals mit nicht mehr als 95.000 Kraftfahrzeugen weniger als ein Drittel des heutigen Bestands unterwegs war.

Stellt die Polizei die Zahl der aktuell Verunglückten in Relation zu der der Einwohner, landet Essen im Vergleich mit Dortmund, Duisburg, Düsseldorf und Köln mit einer sogenannten Verhältnismäßigkeitszahl (Verunglückte je 100.000 Einwohner) mit 355,5 auf Platz Eins. Was für Stüve wiederum der Beleg dafür ist, „dass man in Essen für eine Stadt dieser Größenordnung relativ sicher am Verkehr teilnehmen kann“.

Für Sievers sind in einem zunehmenden dichteren Verkehr mit gleichzeitig mehr mobilen älteren Menschen vor allem die Senioren zu den Sorgenkindern geworden: 285 Über-65-Jährige verunglückten im vergangenen Jahr in Essen, das ist ein Plus von 43 (+17,8 Prozent) gegenüber dem Vorjahr und mit Ausnahme von 2018 (306) der höchste Wert der vergangenen zehn Jahre.

171 Pedelec-Piloten verunglückten ohne Fremdeinwirkung

110 dieser Senioren waren in Unfälle mit einem Pedelec verwickelt, insgesamt gingen 435 Verunglückte in die 2022er Statistik ein, eine Zahl die in der vergangenen Dekade genau so wenig Ihresgleichen findet, wie der Wert der verunglückten E-Biker in Relation zu den Fahrern herkömmlicher Drahtesel: Der stieg von einem 1,9-prozentigen Anteil in 2013 auf 28,3 Prozent im vergangenen Jahr. 171 der gestürzten Pedelecfahrerinnen und -fahrer verloren ohne Fremdeinwirkung die Kontrolle über ihre zwei Räder. Das bedeutete eine Zunahme von rund 14,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Nicht ohne Grund bietet die Polizei Essen ab März wieder ihre Trainingskurse für den Umgang mit den schweren und schnellen Bikes an, kündigte Sievers an. Auch ein Fahrradsimulator, den die Polizei angeschafft hat, soll für mehr Sicherheit sorgen und auf Veranstaltungen wie Stadtteilfesten erlebbar veranschaulichen, wie lang etwa ein Bremsweg eines Pedelecs mit 25 Stundenkilometern im Ernstfall sein kann. „Es wird sich teilweise ein bisschen überschätzt“, sagt Sievers, besonders dann, wenn es darum geht, das gewichtige Zweirad sicher und rechtzeitig zum Stehen zu bringen.

189 verunglückte Kinder gingen in 2019 in die Statistik ein, 166 waren es in 2020, im Jahr danach 145 und 188 im vergangenen - im Vorjahresvergleich eine deutliche Zunahme um nahezu ein Drittel. Für den Polizeipräsidenten ist das ein Grund, auch bei den Jüngsten noch stärker präventiv zu wirken. Sievers ist überzeugt: „Die Kinder haben während der Pandemie teilweise verlernt, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Die Schulwegunfälle sind wieder da.“

Rund 100 illegale Rennen, aber keine verfestigte Raserszene

Dass Innenminister Herbert Reul bei der Vorstellung der Landesunfallstatistik am Mittwochmorgen Essen als einen Schwerpunkt der Raserszene bezeichnete, erklärt der Leiter der örtlichen Verkehrsdirektion durch die hohe Kontrolldichte in der Stadt.

Über 100 illegale Rennen notierte die Polizei sowohl im vergangenen Jahr als auch im Jahr zuvor. Etwa, die Hälfte davon waren jeweils Verfolgungsfahrten mit der Polizei. „Das sind Einzeltaten“, sagt Sievers, es existiere nach wie vor keine etablierte Raserszene. Dennoch sei in allen Fällen klar: „Das sind Leute, die im Straßenverkehr nichts zu suchen haben.“