Essen. Von Yoga bis Kneipp: Helfen die Heilansätze bei Post-COVID? Das Zentrum für Naturheilkunde der Uniklinik Essen sucht Teilnehmer für eine Studie.

Sie haben jahre- und jahrzehntelange Erfahrung und firmieren gleichzeitig als medizinisches Start-up: Prof. Gustav Dobos und sein Team an dem von ihm geleiteten „Zentrum für Naturheilkunde und Integrative Medizin am Uniklinikum Essen“. Sie haben dort Körper, Geist und Seele im Blick, Blutwerte und Stresspegel, therapieren mit traditioneller Medizin und planetarer Ernährung. Nun starten sie eine Studie zu Post-COVID und suchen dafür 86 Teilnehmer und Teilnehmerinnen.

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Bei dem auf zehn Wochen angelegten Programm soll es darum gehen, ob naturheilkundliche Selbsthilfe den Betroffenen hilft. Post-COVID-Patienten können unter Atemnot, Herzrasen, chronischer Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Geruchs- und Geschmacksstörungen, Kopf-, Rücken-, Gelenk- und Muskelschmerzen leiden. „Ein bunter Strauß von Symptomen“, fasst Dr. Thomas Rampp zusammen. Jeder Fall müsse also individuell betrachtet, jeder Patient vor Studienbeginn gründlich untersucht werden.

Viele Post-COVID-Patienten haben einen langen Leidensweg hinter sich

Bei aller Unterschiedlichkeit dürfte die meisten einen, dass ihnen bislang niemand zweifelsfrei sagen konnte, was Post-COVID verursacht. Viele haben einen langen Leidensweg hinter sich. „Warum die einen Post-COVID bekommen und die anderen nicht, können auch wir nicht beantworten“, sagt Forschungsleiterin Dr. Heidemarie Haller. Das Team hat jedoch ermutigende Erfahrungswerte von Patienten, die etwa nach einer überstandenen Krebserkrankung unter chronischer Erschöpfung leiden, „ohne dass es dafür die eine medizinische Ursache gibt“. Vielen von ihnen habe die Naturheilkunde geholfen.

Blick in den Entspannungsraum im Zentrum für Naturheilkunde und Integrative Medizin“ der Uniklinik Essen: Klangschale und Yogakissen stimmen Studienteilnehmer auf Entspannungstechniken ein.
Blick in den Entspannungsraum im Zentrum für Naturheilkunde und Integrative Medizin“ der Uniklinik Essen: Klangschale und Yogakissen stimmen Studienteilnehmer auf Entspannungstechniken ein. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Auch bei Post-COVID könne man oft keine Entzündungswerte mehr feststellen: „Aber die Symptome sind ja da“, sagt Heidemarie Haller. Ein Erklärungsansatz sei, dass eine überbordende Entzündungsreaktion während der Akuterkrankung die Neubildung von Zellen und damit die körpereigenen Heilungskräfte langfristig unterdrücke. Deshalb setze man darauf, die Selbstregulation des Körpers wieder anzustoßen. Bewegung, Entspannung und gesunde – mediterrane – Ernährung helfen, eigene Ressourcen zu stärken. Scheint naheliegend, bedarf jedoch des feinen Zusammenspiels der einzelnen Elemente – und der Disziplin des Patienten.

Atemübungen und Fußbäder statt Spritzen und Medikamenten

Dabei spielt die Krankheitsakzeptanz eine entscheidende Rolle, was für viele nach aufgeben klinge, tatsächlich bedeute: „Anzunehmen, dass man erkrankt ist, und wieder nach vorne zu schauen“, sagt Ernährungswissenschaftlerin Christiane Pithan. Im besten Fall kämpfe man nicht weiter gegen seinen Körper, sondern lerne Methoden, diesen bei den eigenen gesunderhaltenen Prozessen zu unterstützen. Das wiederum diene der Selbstermächtigung, die als Empowerment nicht nur im Gesundheitsbereich angesagt ist.

Teilnehmer für naturheilkundliche Studie gesucht

Das Zentrum für Naturheilkunde und Integrative Medizin an der Uniklinik Essen wird von Prof. Dr. med. Gustav Dobos geleitet. Zuvor leitete er 22 Jahre lang die Abteilung für Naturheilkunde und Integrative Medizin an den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM) am Standort Steele. 2021 ging er dort in Ruhestand und wechselte im selben Jahr an die Uniklinik.

Im Mai beginnt eine Studie zum Thema „Naturheilkundliche Selbsthilfe bei Post-COVID“, für die das Zentrum jetzt Teilnehmer und Teilnehmerinnen sucht. Teilnehmen können: Personen ab 18 Jahren, die nachgewiesen eine Infektion mit Sars-CoV-2 hatten; Post-COVID-Symptome haben und unter einer mindestens moderaten Symptomlast leiden. Die Studie entsteht in Zusammenarbeit mit der Klinik für Neurologie der Uniklinik.

Interessierte melden sich bei Frau Nhi Cao per Mail:

Wem das zu wolkig klingt, dem liefert Thomas Rampp ganz konkrete Methoden von Atemübung über Yoga bis Ohr-Akupunktur. Chronisch erschöpfte Patienten litten häufig unter kalten Händen und Füßen. „Temperaturansteigende Fußbäder können hier sehr gut helfen – wenn man sie regelmäßig macht.“ Viele Patienten lassen sich lieber eine Spritze geben oder ein Medikament verschreiben, weil derlei – anders als Fußbäder – die Ernsthaftigkeit ihrer Diagnose zu beglaubigen scheint. Rampp versichert: „Wir nehmen die Patienten sehr ernst.“

„An den Kliniken Essen-Mitte haben wir in 25 Jahren rund 5000 Patienten mit der Mind-Body-Medizin behandelt“, sagt Prof. Dr. Gustav Dobos, der jetzt das „Zentrum für Naturheilkunde und Integrative Medizin“ am Uniklinikum Essen leitet.
„An den Kliniken Essen-Mitte haben wir in 25 Jahren rund 5000 Patienten mit der Mind-Body-Medizin behandelt“, sagt Prof. Dr. Gustav Dobos, der jetzt das „Zentrum für Naturheilkunde und Integrative Medizin“ am Uniklinikum Essen leitet. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Umgekehrt sollten die Studienteilnehmer bereit sein, den Heilansatz mit dem englischen Etikett ernst zu nehmen: Die Mind-Body-Medicine arbeitet mit der nicht gar so neuen Erkenntnis, dass das Befinden von Körper, Geist und Psyche zusammenhängt – und sich durch das eigene Verhalten beeinflussen lässt. Studien hätten etwa belegt, dass Einsamkeit das Fatigue-Syndrom, die chronische Erschöpfung, begünstige, sagt Heidemarie Haller. „Während der Lockdowns waren außergewöhnlich viele Menschen erzwungenermaßen einsam.“

Experten geben kein Heilsversprechen, aber Hoffnung

Die Post-COVID-Studie ist daher als Gruppen-Programm angelegt, soll die Teilnehmer auch aus der Einsamkeit holen. Jeden Dienstag von 9 bis 16 Uhr kommen sie ins „Zentrum für Naturheilkunde“. Der Tag beginnt mit einer ärztlichen Visite, bietet Module von Kneipp bis fernöstlicher Medizin, dazu ein gesundes Mittagessen; gelegentlich wird in der Lehrküche gemeinsam gekocht. Alles, was hilft, sollen die Teilnehmer auch zu Hause anwenden, Übungsaufgaben gehören zum Programm.

„Es geht darum, zu lernen, Dinge zu tun, die mir guttun“, sagt Christiane Pithan. Manche Betroffene müsse man ein wenig pushen, andere bremsen. Bei verwandten Krankheitsbildern habe sich gezeigt: „In zehn Wochen kann man eine Verhaltensänderung erreichen.“ An den Kliniken Essen-Mitte habe man in 25 Jahren rund 5000 Patienten mit der Mind-Body-Medizin behandelt, ergänzt Dobos. Nun könnte es um eine ungleich größere Gruppe gehen: Gut zehn Prozent aller COVID-19-Patienten kämpften später mit Post-COVID. Ein Heilsversprechen könne man ihnen natürlich nicht machen, sagt Dobos. Aber er vertraue darauf, dass man am Ende gute Empfehlungen für sie formulieren könne.

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