Essen. Die Long-Covid-Ambulanz der Uniklinik Essen ist überlaufen, die Wartezeiten sind lang. Doch die Ärzte haben auch gute Nachrichten für Betroffene.

Er hat nicht das eine wirksame Medikament oder die bewährte Therapie, aber das kann Prof. Oliver Witzke Long-Covid-Patienten versprechen: „Die überwältigende Mehrheit kehrt zu alter Form zurück“, sagt der Direktor der Klinik für Infektiologie der Uniklinik Essen. Das dauere allerdings oft monatelang.

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In der Essener Uniklinik wurde bereits im Mai 2020 eine Long/Post Covid-Ambulanz eingerichtet, so dass die Mediziner seither Hunderte Patienten gesehen haben. Long Covid ist ein Massenphänomen: Mehr als 30 Millionen Deutsche hatten bisher eine Covid-Infektion, und 10 und bis 20 Prozent von ihnen kämpfen danach mit der Folgeerkrankung, schätzt Witzke.

Lange Wartezeiten für Long-Covid-Ambulanz der Uniklinik Essen

Vielfach ist ihr Allgemeinzustand schlecht, sie empfinden Luftnot, Erschöpfung, haben Kopfschmerzen und Konzentrationsschwächen, bei manchen ist der Nebel im Gehirn (Brain Fog) so ausgeprägt, dass sie nicht arbeiten können. „Es gibt viele Symptome, doch die Ursache ist noch nicht ganz klar. Folglich gibt es auch keine eindeutige Lösung“, sagt Witzke. Das habe angesichts der vielen Arbeitsausfälle auch eine ökonomische Dimension und sei für die Betroffenen sehr belastend.

„Für viele ist schon das Gespräch hilfreich, weil sie sich ernst genommen fühlen“, sagt Prof. Oliver Witzke, Direktor der Klinik für Infektiologie der Uniklinik Essen über die Long-Covid-Patienten, denen die Mediziner viel Zeit widmen.
„Für viele ist schon das Gespräch hilfreich, weil sie sich ernst genommen fühlen“, sagt Prof. Oliver Witzke, Direktor der Klinik für Infektiologie der Uniklinik Essen über die Long-Covid-Patienten, denen die Mediziner viel Zeit widmen. © Uniklinik | Frank Preuss

„Für zusätzliche Frustration sorgt, dass sie erst nach Monaten einen Termin bei uns erhalten.“ Ginge es nach Witzke, würde daher sorgfältiger ausgewählt, wer in der Long-Covid-Ambulanz landet: „Etwa die Hälfte der Patienten kommen mit Problemen, die sie bereits vor der Covid-Infektion hatten. Diese Betroffenen sollten die Hausärzte eher nicht an uns verweisen.“

Mediziner nehmen sich viel Zeit für die Long-Covid-Patienten

Wer einen Termin erhält, darf mit gründlichen Untersuchungen, vielen Blutabnahmen und einem halbstündigen Arztgespräch rechnen. „Für viele ist schon das Gespräch hilfreich, weil sie sich ernst genommen fühlen.“ Auch die Versicherung, dass es nach einer Weile besser werde, helfe. Selbst wenn er sage: „Somatisch finden wir nichts.“

Zumindest die Symptome könne man behandeln, etwa mit einem Trainingsprogramm. Anderen Patienten helfe ein psychosomatischer Ansatz, weil sie auch psychische Probleme haben. Und schließlich gebe es jene, die an den direkten Folgen einer schweren Covid-Erkrankung leiden, etwa einer eingeschränkten Lungenfunktion. Sie profitierten oft von einer Reha.

Im Rahmen ihrer Gesundheitswochen lädt die Universitätsmedizin Essen regelmäßig in den Musikpavillon im Grugapark ein. Am Dienstag, 30. August 2022, geht es von 17 bis 18.30 Uhr um das Thema: „Long Covid – Lebensqualität mit interdisziplinärer Medizin zurückgewinnen“. Anmeldung per Mail an: anmeldung@universitaetsmedizin.de oder telefonisch unter 0201-723 3630.
Im Rahmen ihrer Gesundheitswochen lädt die Universitätsmedizin Essen regelmäßig in den Musikpavillon im Grugapark ein. Am Dienstag, 30. August 2022, geht es von 17 bis 18.30 Uhr um das Thema: „Long Covid – Lebensqualität mit interdisziplinärer Medizin zurückgewinnen“. Anmeldung per Mail an: anmeldung@universitaetsmedizin.de oder telefonisch unter 0201-723 3630. © Uniklinik Essen

Nicht nur die Patienten müssten damit klarkommen, dass es keine Patentlösung gebe: „Wir Mediziner suchen ja immer etwas Messbares. Etwa einen erhöhten Laborwert, der durch eine bestimmte Therapie gesenkt werden kann.“ Einen solchen Marker für Long Covid gibt es bisher nicht. Die Forschung verfolge aktuell vor allem drei Erklärungsansätze: 1. Der Organismus leidet anhaltend unter dem Coronavirus. 2. Es gibt eine überschießende Immunreaktion. 3. Blutgerinnsel sind für die Symptome verantwortlich.

Experte warnt vor angeblichen Wundertherapien

Ähnliche Syndrome könne man übrigens auch nach anderen viralen Infekten beobachten, zum Beispiel nach einer Grippe, sagt Witzke. Nur gab es nie zuvor viele Tausende Betroffene. „Mit dem Leid dieser Patienten wird nun zum Teil unredlich umgegangen, wenn man ihnen angebliche Wundertherapien anrät.“ Oft so wirkungslos wie kostspielig.

Witzke rät seinen Patienten zu Akzeptanz: „Statt sich vorzuwerfen, dass man nicht mehr ,funktioniert’, dass man keinen Marathon mehr schafft, sollte man sehen, dass man einmal um den Häuserblock gelaufen ist – und nächste Woche vielleicht zwei Blocks schafft.“ Der Weg bis zur alten Stärke könne quälend lang sein, wer hier die Geduld mit sich verliere, könne in eine Depression rutschen. Positiv sei, dass die Probleme der Betroffenen heute weitgehend anerkannt sind.

Junge Frau zwischen Hoffen und Krankschreibungen

„Ich wusste, ich bin nicht allein“, sagt auch Amrei Hoffmann, die als Projektkoordinatorin im Pädiatrischen Forschungsnetzwerk arbeitet, welches eng mit der Kinderklinik III am Uniklinikum Essen kooperiert. Wieder arbeitet, muss es heißen: Nach einem positiven Corona-Test im März 2022 stand der 28-Jährigen ein langer Leidensweg bevor. Schon der Krankheitsverlauf war nicht leicht: Husten, Schnupfen, Kopf- und Gliederschmerzen, Schwindel und Schwäche ließen sie nur zwischen Sofa und Bett pendeln. „Ich möchte mir nicht vorstellen, wie das gewesen wäre, wenn ich nicht drei Impfungen gehabt hätte.“

„Als ich ankam, war ich schon aus der Puste und mit meinen Energien am Ende“, sagt Amrei Hoffmann über die Rückkehr an den Arbeitsplatz nach ihrer Corona-Erkrankung.
„Als ich ankam, war ich schon aus der Puste und mit meinen Energien am Ende“, sagt Amrei Hoffmann über die Rückkehr an den Arbeitsplatz nach ihrer Corona-Erkrankung. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Nach zweieinhalb Wochen kehrte sie an den Arbeitsplatz zurück: „Als ich ankam, war ich schon aus der Puste und mit meinen Energien am Ende.“ Seither habe sie von Woche zu Woche zwischen Hoffnung und neuer Krankschreibung erlebt. „Viel gelegen, sehr viel geschlafen. Etwas zu essen gemacht, geduscht – mehr ging nicht.“ Undenkbar, ein Buch zu lesen. „Schon wenn ich beim Arzt einen Fragebogen ausfüllen sollte, brauchte ich sehr lang.“

Mehr als Arbeit und Schlaf ist im Moment nicht möglich

Sehr geholfen habe ihr das Verständnis der Kollegen: „Die haben gesagt: ,Bleib zu Hause und werd ganz gesund.’ Da gab es keinen Druck.“ Auch die Hausärztin habe sie gut betreut, wogegen sie bei einigen Fachärzten auf Unverständnis stieß: „Wie? Sie gehen immer noch nicht arbeiten?“ Da habe sie sich doch gefragt, ob sie sich anstelle.

Drei Monate hat sie auf den Termin in der Long-Covid-Ambulanz gewartet. „Dann hat man sich dort sehr viel Zeit für mich genommen. Es war sehr beruhigend, dass ich so sorgfältig untersucht wurde.“ Inzwischen hatte sie eine Wiedereingliederung gemacht: „Ich bin mit vier Arbeitsstunden am Tag gestartet und habe im Homeoffice noch einen Mittagsschlaf gemacht.“ Heute arbeitet sie in Vollzeit: „Aber noch ist arbeiten und schlafen auch alles, was ich tue.“ Nur langsam erobere sie sich eine Freizeitgestaltung zurück, die über ein Telefonat oder einen Spaziergang mit Freunden hinausgehe. „Ich bekomme nun Physiotherapie, sehe wieder Perspektiven. Radfahren klappt – solange es nicht bergauf geht.“ Dass sie mal Sport im Schongang macht, habe sie früher nicht gedacht.

Als ihre Ärztin sie zu Beginn der Krankheit auf eine mögliche Depression ansprach, war Amrei Hoffmann irritiert. Drei Monate später habe sie gespürt, wie deprimierend Long Covid sein könne. „Ein Gospel-Workshop hat mich wieder aufgebaut.“ Oliver Witzke glaubt, dass ihre positive Einstellung seiner Patientin geholfen habe: „Das fördert die Heilungsprozesse.“ Sie selbst ergänzt: „Das Wichtigste ist Geduld.“

Experten der Uniklinik beantworten Fragen zu Long Covid

Teil 4 der Gesundheitswochen der Universitätsmedizin Essen im Musikpavillon im Grugapark (Virchowstraße 167) steht unter der Überschrift: „Long Covid – Lebensqualität mit interdisziplinärer Medizin zurückgewinnen“. Am Dienstag, 30. August, ab 17 Uhr beantworten Prof. Oliver Witzke, Direktor der Klinik für Infektiologie; Prof. Christoph Kleinschnitz, Direktor der Klinik für Neurologie, und Dr. Margarethe Konik, Oberärztin in der Post Covid-Ambulanz, die Fragen der Besucherinnen und Besucher zu Symptomen, Diagnose- und Therapiemöglichkeiten sowie neurologischen Ausprägungen von Long Covid. Prof. Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor des Uniklinikums, moderiert die Veranstaltung.

Die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung ist wegen der begrenzten Platzzahl erforderlich: per Mail an oder telefonisch: 0201 723 3630