Essen. Viele Essener leiden noch Monate nach einer überstandenen Corona-Infektion. Nun informierte die Ärztekammer über das rätselhafte Krankheitsbild.

Fast 37.000 Essener und Essenerinnen haben seit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 schon eine Corona-Infektion durchlebt, die allermeisten von ihnen sind inzwischen genesen. Gesund fühlen sich einige von ihnen trotzdem nicht: Sie schildern körperliche und psychische Beschwerden, die sie stark belasten und mitunter auch ihre Hausärzte vor Rätsel stellen. In vielen Fällen dürfte es sich um „Long Covid“ handeln, dessen Diagnose und Behandlung noch immer Neuland sind. Auf einer hochkarätig besetzten Informationsveranstaltung gab die Ärztekammer Nordrhein in Essen den niedergelassenen Ärzten nun praktische Hilfestellung für den Umgang mit Patienten.

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„Long Covid ist nicht leicht zu diagnostizieren, weil es mit einem ganz bunten Krankheitsbild verbunden ist“, sagt Dr. Matthias Benn, Vorsitzender der Essener Ärztekammer. Die Beschwerden reichen von Angst und Abgeschlagenheit über Bauch- und Brustschmerzen bis zu Kurzatmigkeit. „Das bedeutet umgekehrt, dass sich dahinter auch andere Krankheiten verstecken können.“ Die Abgrenzung ist also oft schwierig, zumal nicht jeder Long-Covid-Kandidat überhaupt bemerkt hat, dass er eine Corona-Infektion hatte. Nur in einer frühen Phase könne man diese noch anhand der Antikörper nachweisen.

Manche Long-Covid-Patienten in Essen wandern von Arzt zu Arzt

Es sei daher schwer zu sagen, wie viele Betroffene es in Essen gibt: Die eher grobe Schätzung geht von 1000 bis 3000 Patienten aus. „Viele wandern von Arzt zu Arzt, ohne dass ihr Leiden richtig eingeordnet wird.“ Manche bekämen sogar zu hören, dass sie sich die Krankheit bloß einbilden. Die Oberärztin Dr. Margarethe Konik von der Klinik für Infektiologie an der Uniklinik Essen weiß es besser. Sie berichtete auf der Online-Veranstaltung am Dienstag (30. 11.) unter der Überschrift „Ein Jahr Post-/Long-Covid-Sprechstunde“ von der komplexen Erkrankung. Schon ein halbes Jahr nach Ausbruch der Pandemie habe man beobachtet, dass bei einigen Patienten Beschwerden und Organschäden dauerhaft anhalten.

Körperliche und psychische Symptome deuten auf Long Covid

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Long Covid wie folgt: Es trete bei Personen auf, die eine Covid-19-Infektion durchgemacht haben oder bei denen eine solche vermutlich vorlag. Die Symptome treten binnen drei Monaten nach der Infektion auf, dauern mindestens zwei Monate an – und sind nicht durch eine andere Diagnose zu erklären. Dazu gehören körperliche Beschwerden wie Husten, Fieber, Kurzatmigkeit, Bauch-, Brust- und Muskelschmerzen. Beobachtet werden auch Ängste, Depression, Schlafprobleme, Merkschwierigkeiten, Tinnitus, Erschöpfung und Antriebslosigkeit.

Bei der Veranstaltung der Ärztekammer stellte Dr. Sarah Goretzki von der Klinik für Kinderheilkunde an der Uniklinik die körperlichen und psychischen Spätfolgen vor, unter denen Kinder nach einer Corona-Infektion leiden können. Über die Arbeit des Essener Gesundheitsamtes seit Ausbruch der Pandemie und über die weiteren Herausforderungen, sprach die stellvertretende Leiterin der Behörde, Miriam Rath.

Das werfe die Frage auf, welche körperlichen Langzeitschäden eine Corona-Infektion mit sich bringen könne – und welchen Nachwirkung etwa die Isolation auf die psychische Verfassung der Patienten habe. Klar sei heute, dass viele Betroffene nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ein kompliziertes Szenario erwarte. Typisch seien Müdigkeit, Leistungsminderung, Wortfindungsstörungen und das Fatigue-Syndrom, das mit anhaltender Erschöpfung einhergeht und eine Rückkehr an den Arbeitsplatz scheinbar unmöglich macht. Auf die Frage der teilnehmenden Ärzte, wie lange man die Betroffenen krankschreiben solle, betonte Konik, dass es nicht unbedingt der Gesundung diene, wenn sich der Patient zu Hause einigele. „Wenn er sich zutraut, arbeiten zu gehen, sollten wir ihm das ermöglichen.“

Ein Gespräch zwischen Körper und Seele

Oft sei jedoch eine wochenlange oder gar monatelange ärztliche Betreuung nötig. Wobei Konik die niedergelassenen Kollegen ermutigte, Patienten an die Uniklinik zu überweisen, wenn sich nach langer Zeit keine Verbesserung zeige. Sie selbst wiederum sei dankbar für die enge Zusammenarbeit mit der Klinik für psychosomatische Medizin am LVR-Klinikum, die mit Priv.-Doz. Dr. Eva-Maria Skoda ebenfalls eine der Referentinnen stellte.

Skoda bestätigte, dass viele der Long-Covid-Symptome wie Vergesslichkeit, Depressivität oder Tinnitus typische psychosomatische Faktoren seien: „Die Einschränkung der kognitiven Performance hatte häufig mit der hohen psychischen Belastung zu tun.“ Man habe es jedoch nicht mit einer rein psychischen Erkrankung zu tun; vielmehr sprach sie von einem Gespräch zwischen Körper und Seele. Manchem gelinge es, aus dieser Krise heraus zu wachsen. Wie ihre Kollegin Konik warb daher auch Skoda dafür, den Patienten ruhig etwas zuzutrauen: „Schauen Sie, welche Schritte man zusammen gehen kann.“ Das sei auch wichtig, damit aus „Long Covid“ kein chronisches Leiden werde.