Essen. Die einen verzweifeln an Long Covid, andere zahlen horrende Summen für vermeintliche Wundertherapien. Nun lud die Uniklinik Essen zum Info-Abend.
Die Uniklinik hat in den Grugapark eingeladen, und viele Essener und Essenerinnen erhoffen sich offenbar, dass sie hier etwas über eine Krankheit erfahren, die sie quält und ratlos macht. „Long Covid – Lebensqualität mit interdisziplinärer Medizin zurückgewinnen“ heißt Teil 4 der Gesundheitswochen im Musikpavillon am Dienstag (30. 8.). Und Lebensqualität vermisst mancher im Publikum wohl schon länger.
Junge Frau aß Schmerztabletten wie Smarties
Wie die junge Frau, die an Long Covid leidet und von ihren Ärzten mitunter nur zu hören bekommt: „Sie sind jung, ihr Körper schafft das schon.“ Doch ihr Körper tut weh, sehr weh: „Ich nehme seit zwei Monaten Schmerztabletten wie Smarties.“ Sie rätselt, wie ihr die Krankheit mit Mitte 20 so zusetzen kann, und sie fragt die Experten der Uniklinik, ob sie viele Patienten in ihrem Alter zu Gesicht bekommen.
Die Mediziner haben seit dem Start ihrer Long/Post-Covid-Ambulanz im Mai 2020 über 1000 Patienten untersucht, zwei Drittel waren Frauen. „Der Großteil war zwischen 30 und 50, aber ich sehe auch jüngere Patienten“, sagt Dr. Margarethe Konik, Oberärztin in der Post-Covid-Ambulanz. Die Jungen litten oft noch stärker darunter, wenn sie ihre Kräfte verlieren. Dagegen dauerhaft Schmerzmittel zu nehmen, hält Prof. Christoph Kleinschnitz, für keine gute Idee. Dringend ermahnt der Direktor der Klinik für Neurologie die junge Frau: „Sie müssen unbedingt davon wegkommen.“ Nicht nur lasse der gewünschte Effekt nach, auf Dauer schädigten die Mittel Leber und Niere.
Wie die Mittzwanzigerin haben auch andere Long-Covid-Patienten beschwichtigende Ratschläge von ihren Ärzten bekommen, fühlten sich nicht ernst genommen. Was auch daran liegt, dass die Ursache für Long Covid nicht klar benannt werden kann. „Für diese Krankheit gibt es keinen Blutwert, kein Bild, mit dem wir sie nachweisen könnten“, sagt Prof. Oliver Witzke, Direktor der Klinik für Infektiologie. Entsprechend schwierig sei die Therapie, entsprechend verzweifelt die Patienten.
„Es ist uns ein riesiges Anliegen, dass Menschen in ihrer Verzweiflung keine experimentellen und gefährlichen Therapien durchführen lassen“, sagt Witzke. Gerade habe ihn eine Frau angerufen, die 15.000 Euro für vermeintliche Wundertherapien bezahlt habe, die ihr am Ende nicht halfen.
Uniklinik rät Patienten zu Geduld
Was die Uniklinik-Ärzte anzubieten haben, verlangt den Patienten kein Geld ab, sondern Geduld. Mangels bewährter Therapie behandele man die einzelnen Symptome wie Luftnot, Erschöpfung, Konzentrationsprobleme, erklärt Witzke. Einigen Patienten helfe eine körperliche Aktivierung, Ausdauertraining, Physiotherapie, andere profitierten von psychologischer Unterstützung. Da müsse niemand erst eine Analyse seiner Kindheit durchlaufen, sagt Kleinschnitz. Es könne schon helfen, wenn man übe, die Symptome erstmal anzunehmen „und auf keinen Fall katastrophiert“.
Dass Wechselwirkungen zwischen Körper und Psyche bei Long Covid eine Rolle spielen können, bestätigt Margarethe Konik. „Luftnot kann man auch haben, weil man falsch atmet“, erklärt die Internistin. Etwa weil man sich während der Corona-Erkrankung, die oft mit Atemproblemen einhergeht, eine „Schon-Atmung“ angewöhnt hat, die man sich mit einer Therapie wieder abgewöhnen könne. Sie betont, dass man längst auch in anderen Bereichen wie bei der Behandlung von Tumorerkrankungen auf psychologische Mit-Therapien setze.
Kleinschnitz ergänzt, dass man einige der bis zu 200 Long-Covid-Symptome auch gut medikamentös behandeln könne, etwa Schmerzen oder Schlafstörungen; anderes bessere sich in einer Reha. Die allermeisten Patienten erlangten wieder ihre alten Kräfte, bloß könne das Monate dauern. Und mit „mehrgipfeligen Verläufen“ einhergehen, wie er einem jungen Mann erklärt: Der erlebt nach einer Besserung, wie ihn immer wieder der „Nebel im Kopf“ erwische. „Es darf ein Auf und Ab geben, nur muss die Richtung insgesamt nach oben gehen“, sagt Kleinschnitz. Bewege sich die Krankheitsdauer auf ein Jahr zu, drohe eine Chronifizierung: „Suchen Sie vorher Hilfe.“
Telefon stand anfangs nicht still
Dass das nicht immer leicht ist, wissen die Experten der Uniklinik: „Als wir unsere Hotline einrichteten, stand das Telefon nicht mehr still“, erzählt Witzke. Inzwischen müssen sich Patienten schriftlich an die Long-Covid-Ambulanz wenden – nachdem der Hausarzt abgeklärt habe, ob nicht andere Krankheiten vorliegen.
Auch unter den Zuhörern sind einige, die etwa eine Autoimmunerkrankung, Schlaganfall oder Schwindel haben und sich fragen, ob die durch Long Covid mit ausgelöst wurden. Die Mediziner der Uniklinik hüten sich vor Ferndiagnosen, bieten den Betroffenen aber Termine in ihrer Sprechstunde an oder nennen ihnen andere Stellen, an die sich wenden können – auf dass sie, ihre Lebensqualität zurückgewinnen.