Essen. Der Schüler (17), der ein Attentat auf ein Essener Gymnasium plante, muss nicht in Haft. Das jetzt rechtskräftige Urteil sorgt für Irritationen.
Am Don-Bosco-Gymnasium in Essen-Borbeck hat das Urteil gegen den 17-jährigen Schüler, der einen Anschlag gegen die Schule geplant hatte, für Irritationen gesorgt. Wie berichtet, ist der Jugendliche vom Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf am Freitag (10.2.) zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden – das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig. Keine der Prozessparteien habe fristgerecht Rechtsmittel eingelegt, teilte das OLG am Dienstag (21.2.) auf dpa-Anfrage mit.
Nach dem Urteil hatte Schulleiter Lothar Hesse gesagt: „Ich bekomme Anrufe von Eltern, die sich Sorgen machen.“ Und weiter: „Sie und ihre Kinder fragen sich, ob der jetzt frei ist und sich nur irgendwo melden muss.“
Essener Schüler hatten Lehrerin von den Anschlagsplänen des 17-Jährigen erzählt
Der Gedanke dürfte vor allem jene Schüler beunruhigen, die im Mai 2022 einer Lehrerin anvertraut hatten, dass ihr Mitschüler von Anschlagsplänen erzähle. Die Pädagogin informierte die Polizei, es kam zum Großeinsatz: In der Wohnung, in der der damals 16-Jährige mit seinen Eltern lebte, fanden die Einsatzkräfte neben diversen Waffen auch antisemitische und ausländerfeindliche Manifeste. Der Jugendliche kam sofort in Untersuchungshaft.
„Auch wenn das Attentat zum Glück nicht durchgeführt wurde, gibt es Opfer“, betont Schulleiter Hesse. „Einzelne Schüler leiden bis heute.“ Nun habe das Urteil, von dem die Schulgemeinschaft aus den Medien erfuhr, viele aufgewühlt. Es sei nicht seine Sache, das Urteil zu kritisieren, aber er habe Fragen. Allen voran: „Hat man sich auch Gedanken um die Opfer gemacht?“
Auch wundere er sich, wenn die geplante Tat als „Verirrung“ eines jungen Menschen beschrieben werde. „Er hat die Amok-Tat doch über einen langen Zeitraum geplant.“ Laut Gericht zeige er Reue: „Da frage ich: ,Was gehört zur Reue?’ Das Erste, was ich bei Konflikten an der Schule erwarte, ist eine Entschuldigung. Dieser Jugendliche hat sich hier bei niemandem entschuldigt.“
„Ein 16-Jähriger kann genau zwischen Gut und Böse unterscheiden“, sagt Hesse weiter. „Traut ihm das Jugendrecht das nicht zu? Muss er keine Verantwortung für sein Handeln tragen?“ Er habe täglich mit jungen Menschen zu tun und glaube, dass Erziehung mit Konsequenz zu tun habe, auch im Jugendstrafrecht: „Ich bin der Meinung, dass 16-Jährige genauso behandelt werden müssen wie 18-Jährige.“
Bundesanwaltschaft hatte eine Haftstrafe für den Jugendlichen gefordert
Tatsächlich hatte die Bundesanwaltschaft im aktuellen Fall mit drei Jahren Haft ohne Bewährung mehr Härte gefordert. Verurteilt wurde der 17-Jährige ja wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Verbindung mit Verstößen gegen das Waffengesetz: In seinem Zimmer fand man Teile für den Bombenbau, Schusswaffen, Schlagringe, Messer, Macheten, Armbrüste, Luftdruck- und Schreckschusswaffen: Er hätte großes Unheil anrichten können.
Dass der Staatsschutzsenat des OLG eine Bewährungsstrafe verhängte, lässt nun manche Eltern und Schüler ratlos zurück. Auf die Frage, wie man ihnen das vermeintlich milde Urteil erklären wolle, sagt die Pressesprecherin des OLG, Christina Klein Reesink, vor einigen Tagen: „Die Strafe für den Jugendlichen richtet sich nach dem vom Erziehungsgedanken geprägten Jugendstrafrecht. Auch hat der Senat zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er bisher nicht vorbestraft ist, geständig war und bereit ist, sich einer Therapie zu unterziehen.“
Bis das Urteil am 10. Februar 2023 erging, saß der Jugendliche in Untersuchungshaft – und zwar seit seiner Festnahme im Mai 2022. Im Sommer durfte er sich vier Wochen lang einer Therapie in der Jugendpsychiatrie unterziehen, musste aber nach einer Beschwerde des Generalbundesanwalts zurück in Haft. „Mit der Urteilsverkündung wurde er aus der Untersuchungshaft entlassen“, sagt Klein Reesink. Das heiße nicht, dass er sich jetzt in Freiheit befinde: „Der Bewährungsbeschluss enthält die Weisung, dass er sich unverzüglich in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie begeben muss. Unverzüglich heißt auch unverzüglich – alles andere wäre ein Verstoß gegen die Anweisung im Bewährungsbeschluss.“
Gleich nach der Urteilsverkündung ging es in die Psychiatrie
Kaum aus der U-Haft entlassen sei der Jugendliche daher von seinen Eltern in die Kinder- und Jugendpsychiatrie gebracht worden, sagt sein Verteidiger Andreas Wieser. Es handle sich um eine stationäre Unterbringung, er könne also nicht etwa zu Hause übernachten. „Das ist kein Weichspül-Urteil.“
Der Rechtsanwalt weist darauf hin, dass der 17-Jährige fast ein Jahr U-Haft verbüßt habe. Wäre er zu der dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden, wäre ihm dies angerechnet worden. Sprich: Bis zur vorzeitigen Entlassung hätte er nur noch zwischen einem und anderthalb Jahren absitzen müssen. Um dann un-therapiert entlassen zu werden: „In der JVA passiert ja nichts.“ Es gebe da zu wenige Therapeuten, und sie seien nicht auf Jugendliche spezialisiert. „Was jetzt beschlossen wurde, ist viel besser, als ihn wegzusperren.“
Jugendlicher wolle sich von seinem rassistischen Weltbild lösen
Sein Mandant werde nun engmaschig betreut, und zwar länger als er vermutlich in Haft verbracht hätte: „Im Bewährungsbeschluss steht, dass er die Auflagen drei Jahre lang einhalten muss.“ Angefangen mit dem Psychiatrie-Aufenthalt, dessen Ende vom Behandlungserfolg abhängt, wie OLG-Sprecherin Christina Klein Reesink erklärt: „Die Behandlung und deren Dauer obliegt den Behandlern.“ Erst wenn sie das Signal geben, darf der junge Mann in ein betreutes Wohnen umziehen.
Außerdem muss er an einem Deradikalisierungsprogramm teilnehmen. Vor Gericht habe er sich bereit gezeigt, sich von seinem rassistischen und antisemitischen Weltbild zu lösen und Defizite seiner Persönlichkeitsentwicklung aufzuarbeiten. Beides soll mit den beschlossenen Maßnahmen erreicht werden.
Die Vollstreckungsleitung werde wohl auf das örtliche Jugendgericht übertragen, sagt Anwalt Wieser. Ein Bewährungshelfer werde die Entwicklung des Jugendlichen beobachten. Bereits die vierwöchige Therapie im Sommer sei gut angelaufen. Auf die Frage, warum sich sein Mandant dann nie bei der Schulgemeinschaft entschuldigt habe, sagt Wieser, das sei auch eine Frage des Zeitpunkts: Bis zur Urteilsverkündung hätte eine Entschuldigung womöglich nach Taktik ausgesehen. Doch der Jugendliche wolle sich noch entschuldigen. Zuvor hat der Anwalt Schulleiter Hesse ein Gespräch angeboten.
Anwalt glaubt, dass der 17-Jährige nicht mehr strafrechtlich auffallen wird
„Es ist vieles denkbar“, sagt Wieser. „Auch dass der Schüler die Tat gar nicht begangen hätte. Die Bomben waren noch nicht zusammengebaut: Bis dahin war es nur ein Plan.“ Ein Plan, den er in aggressiven, rassistischen Pamphleten festhielt. Ohne diese, so Wieser, wäre es nicht um eine staatsgefährdende Gewalttat gegangen. „Juristisch wäre dann nur ein Verstoß gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz gewesen.“
Schulleiter Hesse hofft, dass die Debatte über das Urteil helfen könne, „dass wir nun einen Abschluss hinbekommen“. Andreas Wieser würde Fragen der Schule gern beantworten. Was seinen Mandanten angeht, ist er zuversichtlich: „Ich glaube, von ihm werden wir nichts mehr hören, was Strafrechtliches betrifft.“