Essen. Ungewöhnliches Vorsprechen in Essen: Schauspieler präsentieren sich beim „Top 13“-Castingevent, um der Jury ihre Kameratauglichkeit zu beweisen.

Michael Ransburg hat in den vergangenen Jahren eine beachtliche Bühnenkarriere hingelegt. Er hat mit Regie-Größen wie Peter Zadek und Jan Bosse gearbeitet, an großen Häusern vom Wiener Burgtheater über das Schauspielhaus Bochum bis zum Staatstheater Stuttgart gespielt und Auszeichnungen wie den Monica-Bleibtreu-Preis bekommen. An diesem Nachmittag nun steht er auf der Bühne des Essener Grillo-Theater und macht sich vor der Jury buchstäblich nackig.

Der Oberkörper ist entblößt, die Hosen lässt Ransburg nur verbal runter. Binnen drei Minuten schleust er die Zuschauer im Schauspiel Essen mit grandiosem Körpereinsatz durch seine künstlerische Vita; ein Theaterleben im Schnelldurchlauf, voller Anfänge, Erfolge, Entmutigungen und „Umbrüche“. Das ist auch das Thema dieses ungewöhnlichen Casting-Vorsprechens im Rahmen des Snowdance Independent Film Festivals, das Filmschaffende aus aller Welt alljährlich in Essen nicht nur zusammenbringen will, sondern auch die Chancen von Schauspielern am Set verbessern möchte.

Snowdance Academy veranstaltet in Essen jetzt regelmäßig Seminare

Im März wird die Snowdance Academy deshalb zwei Wochen lang ihre Zelte in Essen aufschlagen und den Teilnehmern Techniken für mehr Sichtbarkeit in der Branche vermitteln. Sichtbar sein und vielleicht auch die 500 Euro Preisgeld gewinnen, wollen auch die 13 ausgewählten Schauspielerinnen und Schauspieler, die aus der gesamten Republik zum „Snowdance Top 13“ eingeladen worden sind,

Vor allem wollen viele, die sich an den deutschen Stadttheatern meist hohen Einsatz für niedrige Gagen zeigen, irgendwann auch mal vor die Kamera. Weil so eine Filmrolle den finanziellen Spielraum gibt, auch als Freiberufler zu überleben, sagt Ransburg, der gerade 40 geworden ist und sich nicht mehr dem Klammergriff der festen Ensemblearbeit aussetzen will. Schon wieder so ein Umbruch.

Ebenfalls auf der Bühne: eine „künstlich befruchtete Künstlerin“

Der Wahlberliner ist nicht der einzige bestens ausgebildete Theaterschauspieler, der den Wettbewerb als eine Art persönlichen Kamera-TÜV nutzt. Neben einigen bekannten Essener Ensemblemitgliedern wie Trixi Strobel und Alexey Ekimov sind Schauspieler aus der gesamten Republik dabei. Christiane Dollmann ist aus Heilbronn gekommen, um die Jury – wie so viele andere auch – nicht mit Shakespeare oder Schiller zu überzeugen, sondern mit einem schrägen, witzigen und hintergründigen Seelenstriptease. „Es wird gleich sehr persönlich“, sagt also Christiane Dollmann und offenbart sich dem Publikum als erzeugersuchendes Ergebnis einer Samenspende, also als „künstlich befruchtete Künstlerin“.

Jede dieser famosen Performances wird zum Ringen mit der Zeit. Nach drei Minuten ist der Auftritt zu Ende, Applaus, der Nächste bitte. In der ersten Zuschauerreihe macht sich die Jury, unter anderem mit Caster Uwe Bünker, Produzent Daniel Raboldt und Lichtburg-Chefin Marianne Menze besetzte Jury Notizen. Jede der Miniaturen ist auf seine Art ein schauspielerisches Glanzstück, doch was an diesem Nachmittag vor allem zählt, ist die film- und fernsehspezifische Darstellung.

Tobias Krebs hat beim ersten „Top 13“-Wettbewerb im Essener Grillo-Theater den ersten Platz belegt.
Tobias Krebs hat beim ersten „Top 13“-Wettbewerb im Essener Grillo-Theater den ersten Platz belegt. © FUNKE Foto Servicesieser | Kerstin Kokoska

„Glaubwürdig, berührend, filmnah“, das ist nach Meinung der Jury am Ende einer, der wie die Inkarnation von Hape Kerkeling auf die Bühne kommt. Tobias Krebs hat seine „Umbruch“-Thema denn auch in den Fernseh-Archiven gefunden. 1991 outete Filmemacher Rosa von Praunheim in einer Talkshow Hape Kerkeling und Alfred Biolek gegen deren Willen als schwul. Die Wogen gingen damals hoch. Und Tobias Krebs, gerade mal fast so alt wie der Skandal, bringt diesen inneren „Umbruch“ mimisch so auf den Punkt, dass die Jury am Ende für den gebürtigen Essener stimmt, der mittlerweile in Köln lebt. Seine erste Kinoproduktion „Monster im Kopf“ hat Krebs schon abgedreht. Dem Theater will er aber auch in Zukunft nicht ganz den Rücken kehren: „Ich brenne für beides.“