Moers. Rosa von Praunheims „Fleischfachverkäuferinnen“ im Schlosstheater Moers uraufgeführt: Mit schriller Komik zum blutigen Ernst.
So eine Uraufführung erlebt man nicht alle Tage: Das Schlosstheater Moers lässt gnadenlos die sprichwörtliche Sau raus. Ausgedacht hat sich die quietschbunte Musiktheater-Groteske um „Zwei Fleischfachverkäuferinnen“, die mit anarchisch, durchgeknallt, schrill oder total schräg noch längst nicht annähernd charakterisiert ist, eine Ikone der schwul-lesbischen Bewegung in Deutschland: der Regisseur und Drehbuchautor Rosa von Praunheim. Und Damian Popp hat bei seinem Moerser Regie-Debüt diesen mitreißenden, herrlich intelligenten Riesenblödsinn kongenialisch und lustvoll in Szene gesetzt.
Eine Fleischertheke in Schweinchenform, dahinter Zarah Chi Chi (Matthias Heße) und Karina (Emily Klinge), ausstaffiert in Schweinchen-Rosa, angedeutete Zitzen unter der weißen Metzger-Schürze inklusive (Bühne und Kostüme: Tanja Maderner). Die beiden, einander in einer von erotischen Aufwallungen nicht freien Hassliebe und vor allem in ihrer Liebe zur Operette verbunden, versuchen ihr mehr schlecht als recht laufendes Geschäft aufrechtzuerhalten. Rund die Hälfte des Stücktextes wird über Lieder vermittelt, und Jonas Schilling hat dafür eine schrecklich schöne Musik geschrieben, die zwischen Western-Filmmusik, Can-Can und Schuhplattler nichts auslässt. Wie groß die gesanglichen Fähigkeiten des Ensembles sind (vor allem Emily Klinge ist wunderbar!), weiß man seit der Moerser Streaming-Produktion „21 Lovesongs“. Jetzt kommt noch ein raumfüllender Live-Sound in Dolby-Surround-Qualität dazu.
Rosa von Praunheim lässt Ambivalenzen zu: Tote Tiere, tote Menschen
Die Einstellung ihrer Figur zum Beruf ist ambivalent: „Wenn ich tote Tiere sehe, seh‘ ich tote Menschen“, kommt sich Karina manchmal hundsgemein vor. Zarah dagegen, die den neuen Arbeitstag mit einem Sektchen begrüßt, schwärmt vom wunderschönen Leben einer Fleischersfrau. In Panik geraten die beiden nur, wenn Stammkundin Frau Müller (Roman Mucha) anrückt und hartnäckig Wolfstatzen oder Räuberschinken bestellt. Hier geht es schließlich nur um die Wurst, und in die kommt so ziemlich alles; aber als Frau Müller dann auch noch verlangt, nach ihrem Ableben selbst verwurstet zu werden, ist die Grenze erreicht.
Es ist allerdings auch diese mysteriöse, fast hexenhafte Alte mit ihren seltsamen Zumutungen und Anordnungen, die Zarah und Karina zum Träumen verführt und dann auch auf absurde Gedanken bringt. Dann überfallen die schweinischen Fleischfachverkäuferinnen auch schon mal kurz eine Schweizer Bank, nur um festzustellen, dass der Tresor schon von einer anderen Sau leer geräumt wurde.
Matthias Heße und Emily Klinge kämpfen um das schlecht laufende Geschäft
Der ungeheure Reiz von Praunheims scheinbarem Nonsens-Stück voller Nicht-Handlung, das von einem Diskurs-Text oder einem dramatisierten Manifest gar nicht weiter entfernt sein könnte, liegt im konsequent überspielten Subtext. Unter der blutig-fröhlichen Oberfläche lassen sich dann ernsthafte Themen ausmachen wie das Verhältnis Mensch-Tier, die Arbeitsverhältnisse im Schlachthof oder die Abhängigkeit von der Politik der Supermärkte und Discounter. Und natürlich geht es um die ewige Sehnsucht des Menschen nach Liebe, Glück, Geborgenheit.
Nach knapp 90 Minuten, die wie im Schweinsgalopp vergingen, war das Premierenpublikum im Moerser Schlosstheater einfach nur tierisch gut drauf.