Essen-Werden. Drei junge Essener treibt der Spaß am Dialekt und an der Forschung an. Wie sie das Niederdeutsche auf allen Kanälen wiederbeleben wollen.

Auf Waddisch Platt nennt man ihn „Kloskäl“, wer aus der Gegend um Mülheim kommt, sagt „Pumann“. Unter den Bezeichnungen Stutenkerl oder Weckmann ist das Hefeteig-Brot, das den Heiligen Nikolaus nachbildet, ebenfalls bestens bekannt. Wie auch immer er heißt, gut schmecken soll er in jedem Fall – das befanden die Besucherinnen und Besucher des „Waddisch-Stammtischs im Advent“ und genossen vor kurzem die süße Leckerei zusammen mit einem Punsch bei einem Treffen im Zentrum 60 plus.

Selbstredend standen Texte und Lieder zur Weihnachtszeit auf dem Programm. Etliches zum Schmunzeln war darunter, aber auch Nachdenkliches wie das Märchen „Die Sterntaler“ der Brüder Grimm, das Marc Real, Vorsitzender der Werdener Mundart-Gruppe „Komm-Omend“ vortrug. Selbst wer des Waddischen Dialekts nicht so mächtig ist: Bei genauem Hinhören ließen sich ohne Weiteres die Zusammenhänge erschließen.

Ziel: Die Sprachregionen sollen vernetzt werden

Dialekt sprechen nur die älteren Menschen. Ein Vorurteil, mit dem Marc Real (24) und sein Mitstreiter Maurits Heidutzek (30) sowie Oliver Gronowski (19) endlich einmal aufräumen wollen. Seit einigen Monaten schon gibt es die Internetseite www.platt-in-essen.de, auf der das Digital-Projekt der Mundart-Forscher vorgestellt wird.

Regelmäßig trifft sich die Mundart-Gruppe „Komm-Omend“ des Werdener Bürger- und Heimatvereins im Zentrum 60 plus an der Heckstraße.
Regelmäßig trifft sich die Mundart-Gruppe „Komm-Omend“ des Werdener Bürger- und Heimatvereins im Zentrum 60 plus an der Heckstraße. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Dessen Kernfragen sind: Wo gab es Platt? War Platt in ganz Essen oder nur in den ehemaligen selbstständigen Städten verbreitet? Klang das überall gleich oder unterschiedlich? Wortbeispiele werden gesammelt, übersetzt, Zusammenhänge zu anderen Sprachregionen hergestellt. Neben dem wissenschaftliches Aspekt soll der Dialekt aber auch praktiziert werden.

Oliver Gronowski aus Heisingen ist der Youngster in der Gruppe und bestes Beispiel dafür, wie das funktioniert. Der sprachinteressierte Informatik-Student hatte zunächst Kontakt im Stadtteil zu plattsprechenden Leuten, erfuhr dann vom „Komm-Omend“ in Werden.

Der Tisch ist adventlich gedeckt im Zentrum 60 plus: Zu essen gibt es „Kloskäl“, sprich Stutenkerle.
Der Tisch ist adventlich gedeckt im Zentrum 60 plus: Zu essen gibt es „Kloskäl“, sprich Stutenkerle. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

„In meiner Familie ist Platt nicht geläufig, aber ich wollte unbedingt mehr wissen und es auch sprechen können.“ Schnell habe sich dann herausgestellt, dass Platt nicht gleich Platt ist. „In Heisingen wird manches anders betont“, weiß Marc Real, der Oliver Gronowski unter seine Fittiche nahm und seit einigen Monaten mit ihm bei Telefonaten über ganz profane Alltagsdinge einfach „Platt kallt“.

Maurits Heidutzek ist seit 15 Jahren im Thema: Das Borbecker Platt ist sein Forschungsfeld. Seine Recherche-Arbeit und Übersetzungen von Platt-Texten führt er nun zusammen mit Marc Real, der ausgehend von den Bereichen Werden und Kettwig bis hin nach Mülheim und ins Bergische hinein forscht.

Projekt ist jetzt auch auf Instagram vertreten

Ihre Homepage „Platt in Essen“ soll stetig wachsen, bereichert durch Menschen, die ebenfalls Spaß an der Mundart haben und Texte beisteuern. Gleichzeitig bringen die drei jungen Leute ihr Projekt in Kanälen wie Facebook, Youtube und jetzt auch auf Instagram an den Start.

Treffen jeden zweiten und vierten Freitag

Veranstaltungsort für die Treffen der Gruppe Komm-Omend ist das Zentrum 60 plus, Heckstraße 27, in Werden. Dort sitzen die Teilnehmenden jeden zweiten und vierten Freitag im Monat immer ab 17 Uhr beieinander und klönen. Das nächste Mal wieder ab Januar 2023.

Auskunft über die Mundart-Gruppe erteilt der Vorsitzende Marc Real unter 0178 6 86 10 26 sowie per E-Mail an . Weitere Informationen – auch über die anderen Dialekte der Region und das Digital-Projekt von Marc Real, Maurits Heidutzek und Oliver Gronowski – gibt es auf der Seite www.platt-in-essen.de.

Wobei sie auch etwas geraderücken: Das volkstümlich als „Ruhrpott-Platt“ bezeichnete „Ruhrdeutsch“ ist „sozusagen der Nachfolger der niederdeutschen Dialekte, mit denen wir uns beschäftigen“, erläutert Marc Real.

Woher das Ruhrpott-Platt eigentlich kommt

Ein praktisches Beispiel: „Hör mal, was hat dir der Mann wieder erzählt?“ Im neueren Ruhrdeutschen heißt das etwa: „Hömma, wat hat dich/dia de Käl widda erzählt?“ Im älteren Niederdeutschen des Essener Raums hieß es: „Hör ees (einmal), wat hätt di de Käl wi’e vertollt?“ Unschwer erkennbar seien die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede dieser Sprachstufen, betont Real.

Während es zum Ruhrpott-Platt etliche Veröffentlichungen, sogar ganze Wörterbücher gebe, sei das bei seinem wichtigsten Vorläufer in der Region hingegen nicht der Fall. „Unser Projekt beschäftigt sich deshalb mit dem Vorläufer der regional gefärbten hochdeutschen Umgangssprache“, erklärt der Werdener, der sich noch viel mehr Mitstreiterinnen und Mitstreiter wünscht. Nicht nur Forschende, sondern einfach Platt-Kaller. So wie die Rentnerin, die kommentiert: „Ich bin ein Essener Kind und finde es toll, diesen alten Dialekt wieder zu beleben. Meine Oma sprach platt wenn sie sich mit ihrer Freundin unterhielt.“ Seitdem sie vor Jahrzehnten gestorben sei, „habe ich keinen mehr platt küren gehört.“