Essen-Werden. Für Bayern normal, für Ruhrdeutsche befremdlich: Im Alltag Dialekt sprechen. Der Essener Marc Real kämpft für mehr Wertschätzung des Platt.

„Plattdeutsch ist der Dialekt der Großeltern-Generation. Eher sogar noch weiter zurückliegend. Das benutzt doch keiner mehr.“ Oder: „Ruhrdeutsch und Platt sprechen nur die Comedians auf der Bühne, weil es so witzig klingt.“ So lauten zwei der vielfach kursierenden Vorurteile. Und jemand wie der Werdener Marc Real, 24 Jahre jung, der sich wissenschaftlich mit Dialekten und Mundart-Ausdrücken beschäftigt, wird oft belächelt. Doch inzwischen bekommen er und sein Mitstreiter Maurits Heidutzek aus Borbeck immer mehr Resonanz auf ihre Internetseite „Platt in Essen“. Und das nicht nur von der älteren Generation.

„Ich bin nicht mehr der Jüngste“, sagt Marc Real – fast bedauernd, aber doch eher freudig. Ein 19-Jähriger aus Heisingen hatte sich im September im Zuge der Vorstellung der Internetseite gemeldet, die im Zentrum 60 plus stattfand. Er habe nicht daran teilnehmen können, sei aber äußerst interessiert. Über die Heisinger Bürgerschaft habe er bereits Sprachforschung betrieben. „Er blieb hartnäckig und inzwischen telefonieren Oliver und ich regelmäßig, und zwar stundenlang und das auf Platt“, berichtet Marc Real.

Tagung „Politik för Platt“ in Berlin

Zur Tagung „Politik för Platt“, die am 9. und 10. November in Berlin stattfindet, werde Oliver extra aus Göteborg anreisen, wo der junge Essener studiert, berichtet Marc Real. Das zweitägige Treffen wird initiiert vom Bundesrat für Niederdeutsch (kurz: BfN, Bundsraat för Nedderdüütsch). Dieser vertritt die sprachpolitischen Interessen der Niederdeutsch-Sprecher in Deutschland. Der Rat wurde 2002 gegründet, hat Delegierte aus acht Bundesländern und betreibt Lobbyarbeit für die plattdeutsche bzw. niederdeutsche Sprache.

Die Gruppe Komm-Omend trifft sich regelmäßig im Zentrum 60 plus Heckstraße.
Die Gruppe Komm-Omend trifft sich regelmäßig im Zentrum 60 plus Heckstraße. © WBHV

„Und seit diesem Jahr gibt es sogar einen Parlamentskreis, in dem sich Bundestagsabgeordnete aus allen demokratischen Parteien über aktuelle niederdeutsche Themen und Möglichkeiten der Sprachförderung austauschen“, erklärt Real. „Akteure und Plattsnackers werden zum Beispiel zur Veranstaltung Platt in uns Tied eingeladen, da geht es um verschiedene niederdeutsche Themen der Gegenwart.“

Die Dialekte, die in Kettwig und Werden, Heisingen, Borbeck und in den anderen Essener Stadtteilen gesprochen wurden und werden, erforscht das Team um Marc Real nicht nur um der Wissenschaft willen. „Es geht einerseits um die Anerkennung des Essener Sprachraums, der in der Linguistik eigentlich ein toter Winkel ist. Wir sind hier von allem nichts oder von allem etwas.“

Essener Dialekte werden dem Niederländischen zugeordnet

Das bedeutet: Weder im Rheinischen noch im Westfälischen Bereich werden die Essener Mundarten wegen ihrer komplexen Mischformen als eigenständig anerkannt. „Man hat uns mehr so Richtung Niederlande eingeordnet. Aber bei König Willem-Alexander kann ich ja wohl kaum vorstellig werden, wenn es um Projektförderung für Sprachforschung geht“, witzelt Marc Real. Auf dem Feld sei also noch allerhand Überzeugungsarbeit in Berlin und bei den Verbänden im Bindestrichland Nordrhein-Westfalen zu leisten.

Digitales Angebot „Platt in Essen“

Die dritte Auflage zur Vorstellung des digitalen Angebots „Platt in Essen“ findet am Freitag, 9. Dezember, um 18 Uhr wiederum im Zentrum 60 plus, Heckstraße 27, in Werden statt.

Die Initiatoren Marc Real und Maurits Heidutzek wollen Interessierten die Seite zum Plattdeutschen im mittleren Ruhrgebiet erläutern. Besucher aus den umliegenden Stadtteilen und aus den Städten der Region sind dazu herzlich willkommen.

Wer schon mal vorab schauen möchte: platt-in-essen.de.

Andererseits sollten sich junge Menschen wie der erwähnte Heisinger nicht scheuen dürfen, ihren Dialekt auch zu sprechen und zu leben. Eine Forderung, die der Bundesrat für Niederdeutsch habe, sei, das Plattdeutsche als Schulfach bis zur Sekundarstufe 2 zu etablieren. Marc Real: „Werdener, die jetzt so um die 50 Jahre alt sind, haben mir von schrecklichen Erlebnissen zu ihrer Schulzeit in den 70er Jahren berichtet. Den Mund mit Seife auswaschen, war wohl eine der drakonische Strafen, wenn man auf Platt sprach.“ Das sei eine krasse Form der Diskriminierung.

Dachbodenfunde mit Platt-Gedichten nicht wegwerfen

Aber auch heute werde das Ruhrdeutsche oder der Gebrauch von Platt-Ausdrücken oft genug noch mit Missbilligung von der Gesellschaft gesehen. „Es geht uns um die Wertschätzung und die Anerkennung.“

Und etwas anderes sei auch noch ganz wichtig: Schriftstücke auf Platt zu sichern. Marc Real: „Wir müssen schneller sein als die EBE.“ Das meint: Dachbodenfunde mit Platt-Gedichten oder Platt-Erzählungen aus Großvaters Zeit nicht einfach wegwerfen. „Wir nutzen dies für unsere Heimat- und Sprachforschung.“