Essen-Werden. Ist die Heimatsprache im Essener Ruhrtal das Ruhrdeutsch? Eher das Platt, sagt Marc Real. Wie der 24-Jährige das „Waddische“ nach vorne bringt.

Wenn Stand-up-Komiker Hennes Bender auf der Bühne im Alten Bahnhof Kettwig mit Sprüchen wie „Komma lecker bei mich bei“ im schönsten Ruhrdeutsch für Erheiterung bei seinem Publikum sorgt, so ist das sicher ein stückweit identitätsstiftend. Den heimischen Mundart-Experten Marc Real bringt das stets zum Schmunzeln. „In der Übertreibung liegt natürlich das Komische. Solange dat und wat vorkommt, ist der Weg zum Platt aber gar nicht weit entfernt“, sagt der „Plattkaller“, der das „Waddisch Platt“ wieder gesellschaftsfähig machen will. Und das nicht nur im Abteistädtchen Werden.

Sprachgebiet reicht bis nach Velbert

Denn der Dialekt deckt einen größeren Bereich als nur Werden selbst ab: Mit zum Sprachgebiet gehören Schuir, Teile von Bredeney, Fischlaken, Heidhausen, Hamm, Rodberg und die heute in Velbert gelegene Gemarkung Kleinumstand. Bis sich das Hochdeutsche nach dem Zweiten Weltkrieg durchsetzen konnte, hatte sich diese Alltagssprache über mehr als ein Jahrtausend lang in der Region gehalten „und war mutmaßlich schon hier vertreten, als Ludgerus erstmals ins Ruhrtal kam“, ist der 24-Jährige überzeugt, der die Werdener Gruppe „Komm-Omend“ (Hochdeutsch „das Stelldichein“) leitet.

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Deren erste Auflage formierte sich bereits in den 1930er Jahren – unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Gleichschaltung aber unter dem Deckmantel der Sprachpflege. Nach dem Krieg avancierte der „Komm-Omend“ zu einer festen Institution des „Fasselomend“, wie der Karneval im Werdener Dialekt heißt. Bis heute ist er die Anlaufstelle für sprachbegeisterte alteingesessene wie neue Bürger in Werden Stadt und Land.

2010 gründete sich der Verein neu

Seine feste Bleibe hat der Waddisch-Club im Zentrum 60 plus an der Heckstraße in Essen-Werden gefunden.
Seine feste Bleibe hat der Waddisch-Club im Zentrum 60 plus an der Heckstraße in Essen-Werden gefunden. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Im Stillen traf man sich schon seit dem Jahr der Kulturhauptstadt wieder: 2010 – nach einer Pause von einigen Jahren – hatte niemand Geringeres als der kürzlich verstorbene Werner Katz, Karnevals-Urgestein und Freund der „waddischen Modersprok“, die Sprachbegeisterten wieder zusammengetrommelt. Und so kam es, dass sich der „Komm-Omend“ allmonatlich in trauter Runde traf. Doch das Wissen um die Existenz der Gruppe geriet im Ort allmählich in Vergessenheit.

Vor der Pandemie trat die Mundart-Gruppe Komm-Omend mehrmals öffentlich auf (hier 2019 beim Herbstfest im Dingerkus-Gartenhaus). Das ist auch künftig wieder geplant.
Vor der Pandemie trat die Mundart-Gruppe Komm-Omend mehrmals öffentlich auf (hier 2019 beim Herbstfest im Dingerkus-Gartenhaus). Das ist auch künftig wieder geplant. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Umso größer war die Überraschung in „Aul Wadden“, als die über ein Dutzend starke Gruppe im Herbst 2019 die alte Heimatsprache öffentlich sichtbar und vor allem hörbar machte. Nach Jahren des losen Zusammenschlusses haben sich die Mitglieder dann im August 2020 dazu entschieden, sich als fester Arbeitskreis für Waddisch Platt im Werdener Bürger- und Heimatverein zu integrieren. Nicht zuletzt ein Verdienst des Kettwigers Marc Real, dessen eigene familiäre (Sprach-)Wurzeln in Werden liegen.

Projekte in der Corona-Zeit

Er war es, der als Vorsitzender auch in der dann folgenden Corona-Zeit das Heft in der Hand behielt: Über ein Jahr lang wurden Videokonferenzen „op Platt“ abgehalten. „Das konnte den persönlichen Kontakt mit dem so geschätzten, ungezwungenen Töttern zwar nicht ersetzen, hielt eine der ältesten Einrichtungen des kulturellen Lebens in Werden allerdings zusammen“, resümiert der Germanistik- und Geschichtsstudent.

Treffen jeden zweiten und vierten Freitag

Veranstaltungsort für die Treffen der Gruppe Komm-Omend ist das Zentrum 60 plus, Heckstraße 27, in Werden. Dort sitzen die Teilnehmenden jeden zweiten und vierten Freitag im Monat immer ab 17 Uhr beieinander und klönen.

Dies sind die Termine bis zum Herbst 2022: 10. Juni, 24. Juni, 8. Juli, 22. Juli, 12. August, 26. August, 9. September und 23. September.

Auskunft über die Mundart-Gruppe erteilt der Vorsitzende Marc Real unter 0178 6 86 10 26 sowie per E-Mail an .

Weitere Infos enthält die Homepage www.waddisch.de, auf der Textbeispiele zur Heimatsprache im Ruhrtal nachzulesen sind.

So konnte eine Sendung über und auf Waddisch Platt produziert werden, die im Rahmen des Bürgerfunkformats „Welle Werden“ ausgestrahlt wurde. Sie lief im Januar 2021 und wurde in diesem Jahr für den Bürgermedienpreis NRW nominiert. „Das Projekt Waddisches Wörterbuch ist auf 5000 Einträge gewachsen“, berichtet Real. Es soll im Laufe des Jahres auf der Homepage zugänglich gemacht werden. „Neben einem Übersetzer Deutsch-Waddisch, Waddisch-Deutsch werden dann auch zahlreiche Hörbeispiele, Redensarten und Selbstlerneinheiten vorgestellt.“ Weiterhin ist ein Mundart-Theater angedacht, bei dem Sprachfreunde Sketche auf Platt präsentieren wollen.

Gruppentreffen sind für alle offen

Im Zuge dessen sollen auch Neulinge den „Komm-Omend“ wieder näher kennenlernen dürfen: Die Gruppentreffen im Zentrum 60 plus sind ab Juni für alle offen. „Alte und neue Texte werden gelesen, Wort für Wort auseinandergenommen und diskutiert“, so Marc Real. Dabei komme natürlich auch das gemeinsame „Kallen“ nicht zu kurz, schließlich gebe es auch einiges im eigenen Erinnerungsschatz zu finden und zu erzählen – „to vertellen“ also.