Essen. Vier Kliniken haben eine werdende Mutter aus Essen abgewiesen. Eine Frauenärztin kritisiert, die Geburtskliniken der Stadt seien oft überlastet.

Vor drei Monaten schloss der Kreißsaal im Essener Krupp-Krankenhaus für immer, jetzt können werdende Mütter nur noch in zwei Geburtskliniken in Essen entbinden. „Seither werden Frauen immer wieder abgewiesen“, sagt die Rüttenscheider Gynäkologin Bettina Habedank. Eine ihrer Patientinnen blitzte kurz vor der Niederkunft gleich bei vier Krankenhäusern in Essen und Umgebung ab – im fünften kam ihr Kind schließlich zur Welt.

[In unserem lokalen Newsletter berichten wir jeden Abend aus Essen. Den Essen-Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen.]

Habedank hatte der 28-Jährigen schon geraten, sich nicht nur auf die Anmeldung bei ihrer Wunsch-Klinik zu verlassen. „Also habe ich mich neben der Uniklinik Essen auch beim EKO in Oberhausen angemeldet“, erzählt Karoline Wilp, die in Frohnhausen und damit in Uniklinik-Nähe wohnt. Trotz der Warnung ihrer Frauenärztin habe sie sich keine Sorgen gemacht: „Ich dachte, es sollte in einer Großstadt im Ruhrgebiet möglich sein, ein Kind zu entbinden.“

„Ich hoffe nicht, dass erst eine Frau sterben muss, bis sich etwas ändert“, sagt die Rüttenscheider Gynäkologin Dr. Bettina Habedank über die Situation in der Geburtshilfe.
„Ich hoffe nicht, dass erst eine Frau sterben muss, bis sich etwas ändert“, sagt die Rüttenscheider Gynäkologin Dr. Bettina Habedank über die Situation in der Geburtshilfe. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Dann hatte sie Mitte August – zehn Tage vor dem errechneten Geburtstermin – einen Blasensprung und rief ihren Mann auf der Arbeit an. Er wollte sich schnell bei der Uniklinik rückversichern und anschließend seine Frau abholen, um sie dorthin zu bringen. Doch die Uniklinik erklärte ihm, dass man seine Frau nicht aufnehmen könne. Auch das EKO sagte ab. Das Essener Elisabeth-Krankenhaus versah seine Absage immerhin mit dem Hinweis, das Ehepaar könne kommen, wenn gar nichts anderes klappe.

Uniklinik Essen sagte Mutter trotz Voranmeldung ab

Unterwegs zu seiner Frau und mit wachsender Nervosität habe sich ihr Mann noch einen Korb in Velbert geholt und schließlich bei der fünften Klinik Erfolg gehabt: „Er kam heim und sagte: ,Wir fahren nach Mülheim.’ Ich bin nur froh, dass ich die Aufregung davor nicht mitbekommen habe.“

Das Evangelische Krankenhaus in Mülheim hat zwar keine angeschlossene Kinderklinik, wie es sich Karoline Wilp für ihre erste Geburt gewünscht hatte. „Aber die waren supernett, und es lief zum Glück alles problemlos: Nach drei Stunden war die Kleine da.“ Sie habe auch ein Familienzimmer bekommen, sei also am Ende bestens aufgehoben gewesen. Sollte sie ein zweites Kind bekommen, würde sie sich im Vorfeld mehr Gedanken machen: „Es hat mich doch erschreckt, dass man in Deutschland eine Geburt nicht zuverlässiger planen kann.“

Aus für die Frauenklinik im Krupp-Krankenhaus kam im Juni

Am 13. Juni 2022 gab das Krupp-Krankenhaus bekannt, dass es seine Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zum 30. Juni 2022 schließt. Geschäftsführer Günther Flämig erklärte dazu, dass es sich um einen schmerzlichen Schritt handele: Doch der Mangel an Fachärzten und die große Schwierigkeit, weitere erfahrene Hebammen ans Haus zu binden, habe der Leitung „keine andere Wahl“ gelassen. Inzwischen gibt es auch einen Bescheid der Bezirksregierung, der das Aus bestätigt.

Von den 17 Hebammen seien zu dem Zeitpunkt vier in Elternzeit gewesen. Von diesen vier stimmte bisher eine einer einvernehmlichen Trennung per Auflösungsvertrag zu, teilt Krupp-Krankenhaus Sprecherin Anette Ehrke-Schön mit. Daneben gab es sieben Kündigungsschutzverfahren, von denen bisher drei per Vergleich beigelegt sind.

Frauenärztin Habedank sieht dringenden Handlungsbedarf bei Krankenhausträgern und Politik. Ein Gespräch mit Vertretern der Kliniken, der niedergelassenen Gynäkologen und dem Gesundheitsamt vor Wochen habe keine konkreten Ergebnisse gebracht. Dabei habe nicht nur sie schon nach der Schließung des Altenessener Marienhospitals im Jahr 2020 vor einer Unterversorgung in Essen gewarnt. Der Direktor der Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Uniklinik, Prof. Dr. Rainer Kimmig, widersprach damals: „Es ist vielmehr so, dass wir lange Zeit eine massive Überversorgung bei der Frauenheilkunde hatten.“

„Es ist vielmehr so, dass wir lange Zeit eine massive Überversorgung bei der Frauenheilkunde hatten“, sagte Prof. Dr. Rainer Kimmig, Direktor der Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Uniklinik Essen, nach der Schließung des Marienhospitals in Altenessen im Jahr 2020.
„Es ist vielmehr so, dass wir lange Zeit eine massive Überversorgung bei der Frauenheilkunde hatten“, sagte Prof. Dr. Rainer Kimmig, Direktor der Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Uniklinik Essen, nach der Schließung des Marienhospitals in Altenessen im Jahr 2020. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Wenig später sorgte der chronische Personalmangel in der Geburtshilfe auch an der Uniklinik für zeitweilige Kreißsaal-Schließungen. Den Ausfall des Krupp-Krankenhauses mit seinen jährlich 750 Geburten könnten Uniklinik und Elisabeth-Krankenhaus nach ihren Beobachtungen nicht mehr zuverlässig ausgleichen, sagt Habedank: „Die schaffen das nicht und müssen nun Patientinnen abweisen.“

In der Urlaubszeit waren beide Essener Geburtskliniken überlastet

Beide Häuser hatten nach dem Aus der Kruppschen Frauenklinik um die dort angestellten Hebammen geworben. Doch die meisten der 17 Fachkräfte mochten wohl nicht an eins der spezialisierten Häuser wechseln, in denen regelmäßig auch Früh- und Risikoschwangerschaften betreut werden. „Eine Hebamme aus dem Krupp-Krankenhaus hat bei uns die Arbeit aufgenommen“, teilt die Uniklinik mit. Eine. Doch mittlerweile verlaufe die Personalakquise „sehr positiv“: Aktuell setze man drei Beleghebammen ein, habe weitere Hebammen im Kreißsaal eingestellt und drei Auszubildende übernommen.

Dank dieser Bemühungen habe die Uniklinik den Kreißsaal in den vergangenen Wochen nicht mehr abmelden müssen. Ein Sprecher räumt aber ein: „Es gab im August eine Situation, in der wir voll belegt waren, so dass keine Möglichkeit für weitere Aufnahmen bestand.“ Also just zu der Zeit, als Karoline Wilp abgewiesen wurde.

Mehr als 3000 Kinder kamen im Jahr 2021 im Essener Elisabeth-Krankenhaus zur Welt. Das Bild zeigt einen der Kreißsäle.
Mehr als 3000 Kinder kamen im Jahr 2021 im Essener Elisabeth-Krankenhaus zur Welt. Das Bild zeigt einen der Kreißsäle. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

„In diesem Zeitraum wurden Schwangere nach Rücksprache zu anderen Kliniken weitergeleitet“, heißt es auch beim Elisabeth-Krankenhaus. Es sei wegen der Ferien und einer Corona-Welle im Juli und August vereinzelt nicht möglich gewesen, „unsere Schichten in gewünschter Stärke zu besetzen“, sagt Katharina Tugend von der Unternehmenskommunikation. Nach der Urlaubszeit habe sich die Lage normalisiert, zumal es im Vergleich zum Vorjahr bis Ende September keinen Anstieg der Geburtenzahlen gegeben habe. „Wir können das aktuelle Aufkommen an Geburten gut stemmen und sind auch für die Zukunft gut aufgestellt.“

Frauenärztin warnt vor gefährlichen Situationen für werdende Mütter

Vom Krupp ist bisher keine Hebamme und keine Ärztin ans „Elli“ gewechselt. Trotzdem sei das Team vergrößert worden und solle weiter wachsen. Gleich nach dem Aus der Frauenklinik am Krupp habe das Elisabeth-Krankenhaus auch ein Konzept zur räumlichen Erweiterung entwickelt, um für eine steigende Geburtenzahl gewappnet zu sein.

Neben den rein zahlenmäßigen Kapazitäten der Geburtskliniken müsse man im Blick behalten, wie die Frauen dort betreut werden können, mahnt Bettina Habedank. Sie habe Patientinnen gesehen, die man nach der Entbindung fahrlässig früh entlassen habe. Andere seien auch durch die angespannte Personalsituation während der Geburt in riskante Situationen geraten. „Ich hoffe nicht, dass erst eine Frau sterben muss, bis sich etwas ändert.“