Essen. Weil Hebammen fehlen, schließen Essener Geburtskliniken zum Teil die Kreißsäle. Werdende Mütter müssen dann kurzfristig die Klinik wechseln.

In Essen erleben werdende Mütter immer wieder, dass sie von einer Geburtsklinik abgewiesen werden, zum Teil unmittelbar vor der Geburt. Die Lage habe sich nach der Schließung des Marienhospitals in Altenessen verschärft, sagt die Rüttenscheider Frauenärztin Bettina Habedank. „Wir spüren die entstandene Lücke. Da werden Frauen praktisch an der Kreißsaaltür weggeschickt.“

Schwangere lag schon im Rettungswagen – Klinik musste sie abweisen

Dramatisch sei das gewesen, als sie Anfang Oktober den Rettungswagen für eine Patientin rief, die erst in der 24. Schwangerschaftswoche war: Als Habedank sicherheitshalber im nächstgelegenen Elisabeth-Krankenhaus anrief, erklärte man ihr dort, dass man die Patientin nicht aufnehmen könne. „Während die Frau schon im Rettungswagen lag, telefonierte ich mit dem Uniklinikum. Die haben sie aufgenommen.“

Im Elisabeth-Krankenhaus, Essens größter Geburtsklinik, erinnert man sich gut an diesen Tag. In Essen kämen im Durchschnitt täglich 15 Kinder zur Welt: „Am 1. Oktober waren allein bei uns 18 Frauen unter der Geburt – das ist eine Seltenheit.“ Um diese Frauen versorgen zu können, habe sich die Geburtsstation „temporär abgemeldet“; Schwangere seien an andere Entbindungskliniken verlegt worden.

Im Kreißsaal ging niemand ans Telefon

Auch könne es vorkommen, dass sich der Kreißsaal aus der Rettungsleitstelle abmelde, wenn die Beatmungsplätze für Neugeborene belegt seien. „Dann können wir keine Frauen mit Frühgeburtsrisiko aufnehmen.“ So wie es auch die Patientin von Bettina Habedank erlebte. Eine komplette Schließung der Kreißsäle habe es im Elisabeth-Krankenhaus aber nie gegeben.

Anders als im Krupp-Krankenhaus, in dem sich eine 27-jährige Essenerin für die Geburt ihres zweiten Kindes angemeldet hatte. Als am 22. Oktober nachts – mehr als eine Woche zu früh – die Wehen einsetzten, rief ihre Frau im Kreißsaal an: „Es klingelte einfach durch. Es gab weder eine Bandansage noch eine Rufumleitung“, erzählt sie. Ihre Frau habe dann am Empfang der Klinik angerufen, wo man ihr beschied: „Nee, der Kreißsaal ist zu, der öffnet erst Montag wieder.“ Die beiden Frauen waren völlig perplex, zumal man ihnen keinen Grund für die Schließung nennen konnte. Mitternacht war durch, Wehen und Schmerzen wurden stärker: „Ich hab’ geheult.“

Geburtsstation musste eine Woche lang schließen

Sie sei nur froh, dass sie nicht einfach zum Krankenhaus gefahren waren: „Da hätten wir ja vor verschlossener Tür gestanden.“ Zum Glück habe sie das Elisabeth-Krankenhaus sofort aufgenommen. Um 4.20 Uhr kam ihre Tochter zur Welt, um 14 Uhr konnte sie mit ihrem Baby nach Hause gehen: Mutter und Kind wohlauf. Sie sei dankbar für das Happy End nach der aufreibenden Nacht; sie finde nur, dass das Krupp-Krankenhaus sie früher hätte informieren können, sagt die 27-Jährige.

Das Krupp-Krankenhaus sagt, dass die einwöchige Schließung des Kreißsaales ja auf der Homepage angekündigt war; auch der Obmann der Essener Gynäkologen sei informiert gewesen. Außerdem bitte man alle Schwangeren, im Kreißsaal anzurufen, bevor sie ins Haus kommen. Aber: „Das Telefon war an diesem Tag tatsächlich zwei Stunden nicht umgeschaltet.“

Essen sei mit Geburtsstationen noch immer gut versorgt, sagt die Uniklinik

Immer wieder müsse man „tageweise die Kreißsäle schließen“, sagt die Sprecherin. Grund dafür sei der Mangel an Hebammen, der eine Aufnahme von werdenden Müttern zeitweilig unmöglich mache. Einen generellen Engpass nach der Schließung des Marienhospitals, in dem pro Jahr rund 600 Kinder zur Welt kamen, sehe man aber nicht: „Die Versorgung der Schwangeren ist zu jedem Zeitpunkt in der Region ausreichend gewährleistet.“

Die nun verbliebenen drei Essener Krankenhäuser mit geburtshilflichen Stationen könnten 600 Geburten gut auffangen, meint auch Prof. Dr. Rainer Kimmig, Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Uniklinik in Essen. „Es ist vielmehr so, dass wir lange Zeit eine massive Überversorgung bei der Frauenheilkunde hatten: Vor 20 Jahren gab es in Essen noch acht Frauenkliniken, jetzt bieten nur noch vier der Krankenhäuser Frauenheilkunde an; und nur drei von ihnen auch die Geburtshilfe. Damit bewegen wir uns nun allmählich auf einem normalen Niveau.“

Hebammen verzweifelt gesucht

Die Stadt sei damit weiter sehr gut versorgt, betont Kimmig. „Es gibt für die Mütter nur keine Garantie, dass sie ihr Kind auch im selben Stadtteil zur Welt bringen können.“ Frauen aus Essens Norden könnten etwa nach Gelsenkirchen ausweichen. Auch die Uniklinik würde sich freuen, „die jungen Familien aus dem Essener Norden betreuen zu dürfen“.

„Essen ist mit drei geburtshilflichen Stationen noch immer sehr gut versorgt“, sagt der Leiter der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Uniklinik Essen, Rainer Kimmig.
„Essen ist mit drei geburtshilflichen Stationen noch immer sehr gut versorgt“, sagt der Leiter der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Uniklinik Essen, Rainer Kimmig. © WAZ FotoPool | Dirk Bauer

Allerdings räumt Kimmig ein, dass der Fachkräftemangel auch der Uniklinik Probleme bereite. Da Hebammen in drei Schichten rund um die Uhr arbeiten, brauche man hier viel Personal. „Wir haben ausreichend Betten und ausreichend Ärzte, was fehlt, sind die Hebammen. Wenn jetzt noch Mitarbeiterinnen an Corona erkranken oder in Quarantäne gehen, wird es auch bei uns mal eng.“


Den Kreißsaal habe man aber noch nie schließen müssen. Damit das so bleibt, bemühe man sich intensiv darum, „Hebammen zu rekrutieren, auch über Leihfirmen oder aus dem Ausland“. Aktuell gäbe es noch eine naheliegendere Lösung: Da die Geburtsstation im Marienhospital seit Ende August geschlossen ist, verlieren ein Dutzend Hebammen ihren Arbeitsplatz. „Es wäre nur logisch, wenn die Hebammen aus dem Marienhospital nun an die anderen Krankenhäuser wechselten“, findet Kimmig.

Vom Klinik-Träger Contilia heißt es dazu, man habe dem Team solche beruflichen Perspektiven frühzeitig aufgezeigt. Rainer Kimmig erlebt das anders: „Tatsächlich hängen die Mitarbeiterinnen wohl in der Luft und können noch nicht an anderen Häusern anfangen.“