Essen. „Roses Revolution“ protestiert gegen Gewalt im Kreißsaal. Essens größte Geburtsklinik setzt auf Gespräche: Mütter mit Trauma sollen sich melden.
- Am „Roses Revolution Day“ setzen Frauen weltweit ein Zeichen gegen Gewalt im Kreißsaal
- Sie berichten von ruppiger Behandlung, fehlender Absprache und Überrumpelung
- Das Elisabeth-Krankenhaus bekommt vor allem positive Rückmeldungen. Nun bietet Essens größte Geburtsklinik allen Frauen das Gespräch an, die keine gute Erinnerung an die Geburt ihres Kindes haben
- Das Geburtsteam betont, dass es immer auf gute Kommunikation setze und jeden Schritt erkläre, auch wenn schnell gehandelt werden müsse, weil das Leben von Mutter und Kind in Gefahr sein könnte
Jedes Jahr kommen im Essener Elisabeth-Krankenhaus um die 3000 Kinder auf die Welt, acht an jedem Tag. Bei aller Routine möchte das Team der Geburtsklinik, dass sich jede Mutter gut aufgehoben fühlt – und das scheint meist zu gelingen. „Wir bekommen sehr viele positive Rückmeldungen“, sagt Ute Roscher, eine der beiden leitenden Hebammen. Zum „Roses Revolution Day“ am 25. November wendet sie sich jedoch bewusst an jene Frauen, die keine schöne Erinnerung an ihre Geburt haben: „Denn dieser Tag ist für traumatisierte Mütter gedacht“, sagt die 36-Jährige.
Mütter legen Rosen vor Kreißsälen ab
Seit zehn Jahren legen dann Frauen weltweit Rosen vor Kliniken ab, um darauf hinzuweisen, dass sie im Kreißsaal körperliche oder seelische Gewalt erlebt hätten. Sie berichten von ruppiger Behandlung, einem barschen Ton, fehlender Absprache, Überrumpelung. All das steht im krassen Kontrast zur Berufsauffassung der im Jahr 2008 examinierten Hebamme. Ute Roscher, die mit Mareike Doerper das gut 40-köpfige Hebammen-Team am Elisabeth-Krankenhaus leitet, sagt: „Wir möchten natürlich niemanden traumatisieren! Es ist schlimm, wenn Frauen unter der Geburt Gewalterfahrungen haben.“
Als gewalttätig erleben Frauen etwa, wenn ihr Kind per Kaiserschnitt geholt wird, obwohl sie sich eine natürliche Geburt gewünscht hätten. Dieser Wunsch werde nie einfach übergangen, betont Ute Roscher. „Aber wenn das Leben von Mutter und Kind bedroht ist, kann der Kaiserschnitt notwendig sein.“ Das erkläre man den Frauen auch – „und dann stimmen sie zu“. Allerdings haben sie bis dahin oft viele schwere Stunden im Kreißsaal hinter sich. Es könne sein, dass da nicht jede Erklärung bei ihnen ankomme.
Manchmal ist eine schmerzhafte Behandlung unvermeidbar
„Auch wir möchten eine schöne, entspannte Geburtsatmosphäre. Nur: Im Notfall kann das nicht immer gewährleistet werden, weil agiert werden muss.“ Auch in solchen Situationen rede sie weiter, erkläre, was geschehen wird. Dennoch bleibt bei manchen Frauen später das Gefühl zurück, sich ausgeliefert und übergangen gefühlt zu haben. Andere glauben, der Kaiserschnitt sei vermeidbar gewesen.
Manchmal lässt sich eine schmerzhafte Behandlung nicht vermeiden, etwa wenn der Mutterkuchen (Plazenta) nicht kommt und sie auf den Bauch der Frau drücken muss, fachgerecht mit dem Credé-Handgriff. „Das tut weh, aber nur eine Minute lang“, erklärt Ute Roscher. „Damit will man eine Not-Operation mit Vollnarkose und viel schmerzhafteren Folgen verhindern.“ Nie verlange man von Müttern, Schmerz einfach auszuhalten. Vielmehr gebe es viele Mittel, um ihn zumindest zu lindern.
Schmerzlich könne auch sein, wenn die Geburt anders verlaufe, als die Frau es erhofft hatte. Manche bringe einen Geburtsplan mit, in dem auch eigens notiert sei, was sie auf keinen Fall wolle. Leider sei ein solcher Plan kein Drehbuch, der Tag könne völlig anders verlaufen: Dann geschehe im Kreißsaal ausgerechnet das, was die Frau zuvor ausgeschlossen hatte. Etwa, wenn das Baby schon auf ihrer Brust liegt, wenn Nähe, Bindung spürbar sind – und der Glücksmoment jäh endet, weil das Neugeborene auf die Kinderstation gebracht wird. Wiederkehrend berichten Mütter, man habe ihnen ihr Kind entrissen, sie hätten nicht gewusst, wo es hinkomme.
Wenn das Baby aus den Armen der Mutter in die Obhut der Ärzte muss
Den Schreck kann Ute Roscher verstehen: „Bonding, Kuscheln, Ankommen, das wünschen wir uns auch für Mutter und Kind.“ Doch wenn das Baby pädiatrisch versorgt werden müsse, wenn es krank oder gar in Lebensgefahr sei, müsse man es aus den Armen der Mutter in die Obhut der Ärzte geben. Die Hebamme ist überzeugt, dass sie Müttern vieles, was als Übergriff empfunden wird, gut erklären könne. „Kommunikation ist so wichtig, nicht nur vor und während der Geburt.“ Auch danach, könne ein Gespräch helfen.
Das Geburtsteam am Elisabeth-Krankenhaus nehme die Erlebnisse, die Traumata der Frauen ernst: „Selbst, wenn die Geburt schon länger zurückliegt, können sich Mütter – und Väter – jederzeit an uns wenden.“ Auch „Roses Revolution Deutschland“ rät zu einer „umsichtigen Betreuung in Form einer Nachbesprechung“; etwa um zu erklären, dass eine als gewaltsam empfundene Maßnahme medizinisch notwendig war: So lasse sich die Situation aufklären, um „psychische Folgen für die Mutter und ihre Familie zu minimieren“.
Klinik bietet den Frauen jederzeit ein Gespräch an
Ans Elisabeth-Krankenhaus haben sich bisher nur wenige Frauen gewandt, um von ihrer Traurigkeit oder ihrer Wut über den Geburtsverlauf zu erzählen. „In solchen Fällen nehmen wir uns Zeit, die Geburt genau durchzusprechen, alles zu erklären. Wir holen auch die Dokumentation dazu“, sagt Ute Roscher. Die Frauen seien dafür sehr dankbar gewesen. Die Hebamme ermutigt darum nun alle Mütter, die sich nicht gern an die Geburt ihres Kindes erinnern, sich zu melden. Nicht nur am 25. November.
Mütter können sich per Mail direkt an die beiden leitenden Hebammen wenden: u.roscher@contilia.de oder m.doerper@contilia.de